BFH zum insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbot bei unberechtigtem Steuerausweis i.S.d. § 14c Abs. 2 UStG

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 08.11.2016, VII R 34/15

Praxisproblem

Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag ausweist, obwohl er dazu nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet den ausgewiesenen Betrag (§ 14c Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG). Dies betrifft vor allem Kleinunternehmer, bei denen die Umsatzsteuer nach § 19 Abs. 1 UStG nicht erhoben wird, gilt aber auch, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt. Soweit der Aussteller der Rechnung den unberechtigten Steuerausweis gegenüber dem Belegempfänger für ungültig erklärt hat und die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt wurde, ist dem Schuldner des Steuerbetrags die Möglichkeit zur Berichtigung einzuräumen (§ 14c Abs. 2 Satz 3 ff. UStG). Die Gefährdung des Steueraufkommens ist beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an das Finanzamt zurückgezahlt worden ist. Die nach § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG erforderliche Zustimmung ist nicht von einer Rückzahlung eines vereinnahmten Betrags durch den Steuerschuldner an den Belegempfänger abhängig. Kommt es zu einer Rechnungsberichtigung, so wirkt diese erst für den Besteuerungszeitraum der Berichtigung ohne Rückwirkung auf den Besteuerungszeitraum der Rechnungserteilung. Die Berichtigung der Rechnung führt nicht dazu, dass die nach § 14c UStG geschuldete Steuer rückwirkend auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung entfällt.

Der BFH hatte zu entscheiden, wann der Umsatzsteuervergütungs- bzw. -erstattungsanspruch nach § 14c Abs. 2 Sätze 3 bis 5 UStG entsteht und ob eine Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig ist, wenn dieser Anspruch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und damit der Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist.

Sachverhalt

Die Schuldnerin schrieb im Jahr 2002 Rechnungen über Lieferungen von Fahrzeugen, in denen sie Umsatzsteuer auswies. Das Finanzamt ging davon aus, dass die Schuldnerin keine Lieferungen erbracht und daher zu Unrecht die Umsatzsteuer ausgewiesen habe und lehnte einen Vorsteuererstattungsanspruch des Rechnungsempfängers ab. Die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer werde daher nach § 14c Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG geschuldet. Das beklagte Finanzamt hatte unstreitige Ansprüche aus Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden für Oktober bis Dezember 2002 gegen die Schuldnerin i.H.v. rund 125 T €. Im Jahr 2003 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Anfang 2009 – nachdem in dem Klageverfahren betreffend des Vorsteuererstattungsanspruchs des Rechnungsempfängers das rechtskräftige Urteil des FG Hamburg, 5 K 74/06 ergangen war, wonach keine Lieferungen der Schuldnerin an die Rechnungsempfängerin vorlagen – berichtigte der Kläger die von der Schuldnerin erstellten Rechnungen.

Mit der Umsatzsteuererklärung für 2008 beantragte der Kläger die Berichtigung der nach § 14c Abs. 2 Sätze 1 und 2 UStG geschuldeten Beträge. Am 20.06.2014 erging der Umsatzsteuerbescheid 2008 durch den sich ein Restguthaben i.H.v. knapp 650.000 € zzgl. Erstattungszinsen ergab. Das beklagte Finanzamt erklärte die Aufrechnung seiner Forderungen aus Umsatzsteuer 2002 gegen das Umsatzsteuerguthaben der Schuldnerin aus 2008 und erließ einen entsprechenden – hier streitigen – Abrechnungsbescheid.

Entscheidung

Der BFH hat wie zuvor das FG Hamburg (Urt. v. 25.11.2015, 6 K 167/15) entschieden, dass die Aufrechnung unzulässig war. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Fall einer Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG ist nach dem BFH-Urteil entscheidend, wann die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist; die Steuerberichtigung wirkt insolvenzrechtlich nicht auf den Zeitpunkt der Rechnungsausstellung zurück. Ob ein Insolvenzgläubiger bereits bis zu der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist oder erst danach, bestimmt sich nach der geänderten Rechtsprechung des BFH zu § 17 Abs. 2 UStG danach, ob der Tatbestand, der den betreffenden Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist (BFH, Urt. v. 25.70.2012, VII R 29/11, BStBl. II 2013, 36; vgl. auch BFH, Urt. v. 18.08.2015, VII R 29/14, BFH/NV 2016, 87). Entscheidend ist insoweit, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt gewesen sind (BFH, Urt. v. 21.3.2014, VII B 214/12, BFH/NV 2014, 1088). Der Beklagte ist erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in 2003 etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden, denn der Umsatzsteuererstattungsanspruch des Klägers ist nach dem BFH-Urteil in 2008 und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden.

Im Streitfall ist der Umsatzsteuervergütungs- bzw. -erstattungsanspruch des Klägers erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, da es an einer materiell-rechtlichen Voraussetzung für die Entstehung des Umsatzsteuervergütungs- bzw. –erstattungsanspruchs fehlte. Denn materiell-rechtliche und nicht verfahrensrechtliche Voraussetzung für eine Berichtigung gem. § 14c Abs. 2 UStG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 UStG ist, dass die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Dies war erst mit Rechtskraft des Urteils des FG Hamburg vom 29.04.2008, 5 K 74/06 eingetreten. Erst mit der Rechtskraft war die vollständige Verwirklichung des den Umsatzsteueranspruch begründenden Tatbestands des § 14c Abs. 2 S. 5 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG erfolgt.

Der BFH hat offen gelassen, ob die Rechnungsberichtigung zu den materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen gehört, die erfüllt sein müssen, damit ein Erstattungsanspruch nach § 14c Abs. 2 UStG entsteht (vgl. etwa EuGH-Urteile v. 18.06.2009, C-566/07,  Stadeco, BFH/NV 2009, 1371 und v. 11.04.2013, C-138/12, Rusedespred, HFR 2013, 546). Zwar hatte der Kläger im Streitfall die maßgeblichen Rechnungen erst zu Beginn des Jahres 2009 berichtigt. Doch bliebe es auch insoweit bei dem Ergebnis, dass die Gefährdung des Steueraufkommens erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beseitigt worden ist.

Praxishinweis

Wann ein Anspruch i.S.d. § 96 InsO entsteht, richtet sich nach § 38 InsO. Nach der ständigen Rechtsprechung des V. und XI. Senats des BFH bestimmt sich die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen danach, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Der für die Aufrechnung zuständige VII. Senat des BFH hatte zunächst eine andere Abgrenzung vorgenommen. Hiernach wäre nicht entscheidend gewesen, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden ist, sondern ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt gewesen ist. Mit dem Urteil vom 25.07.2012, VII R 29/11)hatte der VII. Senat des BFH seine Rechtsprechung, die der Rechtsprechung des V. Senats zum Teil widersprach, aufgegeben und einen Einklang zwischen der Auslegung des § 38 InsO und der Auslegung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO hergestellt. Maßgeblich ist nunmehr nach der Rechtsprechung aller drei für die Schnittstelle Umsatzsteuer und Insolvenzrecht zuständigen BFH-Senate, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt waren.

Zweck des § 14c UStG ist die Sicherung des Steueraufkommens. Mit dem BFH-Urteil tritt zum Nachteil der Verwaltung das Ergebnis ein, dass das Finanzamt eine Umsatzsteuererstattung (aus der Berichtigung einer allein nach § 14c UStG geschuldeten Steuer) an die Insolvenzmasse leisten muss, die korrespondierende unbefriedigte Forderung der nach § 14c UStG geschuldeten Steuer jedoch lediglich als Insolvenzforderung geltend machen kann und hinnehmen muss, mit ihr ganz oder teilweise auszufallen. Zwar sieht § 14c Abs. 2 UStG gleichzeitig mit der Auferlegung der Steuerschuld nach den Sätzen 1 und 2 in den Sätzen 3 bis 5 die Möglichkeit der Berichtigung dieser Steuer vor. Daraus hätte abgeleitet werden können, dass der Erstattungsanspruch seinem Kern nach gleichzeitig mit der Steuerschuld – und damit im Ausgangsfall vor Insolvenzeröffnung – begründet wird. Der BFH sieht dies strenger. Es muss endgültig feststehen, dass jedwede Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen ist Bei dem Erfordernis der Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens handelt es sich somit nicht lediglich um eine aufschiebende Bedingung und verfahrensrechtliche Voraussetzung des dem Kern nach gleichzeitig mit der Steuerschuld begründeten Erstattungsanspruchs.

Fälle, in denen der nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldete Steuerbetrag nicht oder nur teilweise gezahlt wurde und eine Aufrechnung des Erstattungsanspruchs nach erfolgter Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens mit dem nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldeten Steuerbetrag z.B. aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Insolvenz nicht (mehr) erfolgen kann, dürften in der Praxis keine Seltenheit besitzen. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber ggf. aus der Entscheidung die Konsequenz zieht, dass die Berichtigung der Steuer auf das Erlöschen des Steueranspruchs nach § 14c Abs. 2 UStG beschränkt wird.

Der BFH hat im Streitfall auch offen gelassen, ob sich das Ergebnis, dass die Gefährdung des Steueraufkommens erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beseitigt wurde, bereits aus dem Umstand ergibt, dass das Finanzamt die nach § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG erforderliche Zustimmung zu der Steuerberichtigung für den Besteuerungszeitraum 2008 erteilt hatte. Nach der Verwaltungsauffassung zur Anwendung des § 14c UStG entscheidet das Finanzamt im Anschluss an die von ihm vorzunehmende Prüfung nicht nur darüber, ob die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist, sondern auch darüber, für welchen Besteuerungszeitraum und in welcher Höhe die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags vorgenommen werden kann (Abschn. 14c.2 Abs. 5 Satz 4 UStAE). Diese Entscheidung ist ein Verwaltungsakt. Wenn aber das Finanzamt in einem besonderen Verfahren mittels Verwaltungsakt darüber entscheidet, für welchen Besteuerungszeitraum eine Steuerberichtigung vorzunehmen ist, dann spricht nach Auffassung des BFH einiges dafür, dass dieser Entscheidung, wenn sie bestandskräftig geworden ist, Bindungswirkung für das weitere Verfahren zukommt, sei es als Grundlagenbescheid oder als Freistellungsbescheid. Andernfalls sei es nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber mit § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG ein eigenständiges, antragsabhängiges Zustimmungsverfahren geschaffen hat.

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