Vorsteuerabzug, Umsatzsteuerausweis in einer Rechnung über einen Reverse-Charge-Umsatz

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 11.04.2019, C-691/17, PORR Építési Kft

Praxisproblem

Bei dem ungarischen Verfahren ging es um das Recht auf Vorsteuerabzug bei fehlerhafter Nichtanwendung des Reverse-Charge-Verfahrens. Im Ausgangsverfahren hatte die ungarische Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung MwSt auf Eingangsumsätze nachträglich festgesetzt, die dem Reverse-Charge-Verfahren unterliegen und der Klägerin insoweit den Vorsteuerabzug gewährt. Den Vorsteuerabzug aus der vom Rechnungsaussteller fälschlicherweise in Rechnung gestellten MwSt versagte die Steuerbehörde dagegen. Die Klägerin habe von der Möglichkeit, den Rechnungsaussteller zur Berichtigung der Rechnungen aufzufordern, keinen Gebrauch gemacht.

Sachverhalt

Die Steuerbehörde stellte fest, dass die in den Rechnungen von mehreren Unternehmern aufgeführten Umsätze mit der aus Bautätigkeiten bestehenden Haupttätigkeit im Zusammenhang stünden und die Klägerin aus diesem Grund im Reverse-Charge-Verfahren zu besteuern sei. Die Rechnungsaussteller hätten die Rechnungen ohne MwSt-Ausweis oder mit dem Hinweis ausstellen müssen, dass die in ihnen ausgewiesenen Umsätze dem Reverse-Charge-Verfahren unterliegen. Die Klägerin stehe auf der Grundlage dieser Rechnungen kein Vorsteuerabzug gem. § 120 Buchst. a des HU-UStG zu, sie sei aber nach § 120 Buchst. b HU-UStG zum Steuerabzug berechtigt. Die Klägerin werde nicht doppelt besteuert und eine fehlerhafte Rechnungsstellung entlaste die Klägerin nicht von den Rechtsfolgen. Bei den Rechnungsausstellern handele es sich um weiterhin bestehende Unternehmen, infolgedessen könne von den Rechnungsausstellern eine Berichtigung der streitigen Rechnungen verlangt werden.

Vor diesem Hintergrund wollte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Vorsteuerabzug aus einer nach den regulären MwSt-Vorschriften ausgestellten Rechnung versagt werden kann, weil die Rechnung richtigerweise nach den Regelungen über die Reverse-Charge-Regelung hätte ausgestellt werden müssen, ohne zu prüfen,

  • ob der Rechnungsaussteller in der Lage ist, dem Rechnungsempfänger die irrtümlich entrichtete MwSt zu erstatten und
  • ob eine Rechnungs- und MwSt-Berichtigung seitens des Rechnungsausstellers nach den nationalen Vorschriften überhaupt möglich ist, bzw. ohne dass die Finanzbehörde dem Rechnungsaussteller die irrtümlich abgeführte MwSt zurückerstattet.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass der Neutralitäts- und der Effektivitätsgrundsatz einer Verwaltungspraxis nicht entgegenstehen, wonach (ohne dass ein Betrugsverdacht vorliegt), einem Unternehmer der Vorsteuerabzug verweigert wird, wenn der Unternehmer als Leistungsempfänger in einer Rechnung ausgewiesene MwSt gezahlt hat, obwohl der Umsatz dem Mechanismus dem Reverse-Charge-Verfahren unterlag, ohne dass die Finanzbehörde

  • vor der Ablehnung des Vorsteuerabzugs prüft, ob der Aussteller der falschen Rechnung dem Leistungsempfänger die rechtsgrundlos gezahlte MwSt erstatten und die falsche Rechnung nach den Regeln des nationalen Rechts berichtigen konnte, um die rechtsgrundlos an den Fiskus abgeführte MwSt zurückzuerhalten, oder
  • beschließt, selbst dem Rechnungsempfänger die MwSt zu erstatten, die dieser rechtsgrundlos an deren Aussteller gezahlt und dieser anschließend rechtsgrundlos an den Fiskus abgeführt hat.

Diese Grundsätze erfordern allerdings, dass der Leistungsempfänger seinen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten MwSt unmittelbar an die Steuerbehörde richten kann, falls sich die Rückzahlung der Steuer durch den leistenden Unternehmer an den Leistungsempfänger – insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des leistenden Unternehmers – als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist.

Praxishinweis

Zum Vorsteuerabzug bei fehlerhafter Nichtanwendung des Reverse-Charge-Verfahrens hatte sich der EuGH bereits mehrfach geäußert, vgl. zuletzt EuGH v. 26.04.2017, C-564/15, Farkas, sowie EuGH-Beschl. v. 23.11.2017, C-314/17, Geocycle Bulgaria. Danach besteht kein Recht auf Vorsteuerabzug aus einer fälschlicherweise an einen Verkäufer gezahlten MwSt, wenn diese nicht geschuldet und ein materielles Erfordernis des Reverse-Charge-Verfahrens missachtet wurde. Allerdings kann der Rechnungsempfänger nach (dem nicht harmonisierten) nationalem (Verfahrens-)Recht die Rückzahlung der rechtsgrundlos an den Verkäufer gezahlten Steuer verlangen. Der EuGH verweist auf seine Rechtsprechung, wonach ein System, nach dem zum einen der Verkäufer eines Gegenstandes die Erstattung von irrtümlich an die Steuerbehörden entrichteter MwSt verlangen und zum anderen der Erwerber eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung erheben kann, grds. die Grundsätze der Neutralität und Effektivität beachtet. Wenn allerdings die Erstattung der MwSt unmöglich oder übermäßig schwierig wird, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Verkäufers, kann der Grundsatz der Effektivität es gebieten, dass der Erwerber seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann und es müssten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel und Verfahrensmodalitäten vorsehen, die es dem Erwerber ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte MwSt erstattet zu bekommen.

Es war nicht zu erwarten, dass der EuGH im vorliegenden Verfahren über seine bisherigen Grundsätze zum (fehlenden) Vorsteuerabzugsrecht bei fehlerhafter Nichtanwendung des Reverse-Charge-Verfahrens hinaus ging. Der EuGH hat seine ständige Rechtsprechung bestätigt. Auch nach deutschem Recht ist bei Nichtbeachtung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers neben einer Nacherhebung der Steuer beim Leistungsempfänger grds. auch eine USt-Berichtigung beim Rechnungsaussteller möglich.

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