Umsatzsteuer: Zuordnung der Warenbewegung beim Reihengeschäft – BFH entscheidet abschließend über Zuordnungskriterien und Vertrauensschutz

BFH: Entscheidung in der Rs. „VStR“ XI R 15/14 sowie in der Revision XI R 30/13

Der BFH urteilt in zwei Entscheidungen vom 25.02.2015, XI R 15/14 und XI R 30/13 darüber, anhand welcher Kriterien die Warenbewegung einer der Lieferungen zugeordnet wird, wenn der Erst- oder der Zweiterwerber den Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet. Zudem gibt er einen Hinweis, wie der inländische Unternehmer über Erklärungen des Erwerbers Vertrauensschutz erlangen kann.

Eine innergemeinschaftliche Lieferung ist grundsätzlich nach § 4 Nr. 1 Buchst. b) i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG steuerfrei, wenn der Gegenstand der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befördert oder versendet wird und der Warenempfänger erwerbssteuerpflichtiger Abnehmer (i.d.R. Unternehmer) ist. Auch die Ausfuhrlieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. a) i.V.m. § 6 UStG setzt eine Warenbewegung im Rahmen der Lieferung, für welche die Steuerbefreiung begehrt wird, voraus.

Bei einem Reihengeschäft i.S.d. § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG mit beispielsweise drei Beteiligten (A, B und C) besteht die Besonderheit, dass es zwei Lieferungen (A an B und B an C) gibt, aber nur eine dieser Lieferung als warenbewegte Lieferung die steuerbefreite Lieferung sein kann. Nach Auffassung des EuGH und des BFH muss auch im Anwendungsbereich von Reihengeschäften sichergestellt sein, dass die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten klar voneinander abgegrenzt wird (zuletzt BFH, Urt. v. 25.02.2015, XI R 15/14). Unsicherheit herrschte bisher, anhand welcher Kriterien bestimmt wird, welche der Lieferungen in einem Reihengeschäft die warenbewegte und damit steuerbefreite Lieferung ist.

Die teilweise divergierende Rechtsprechung des EuGH (Euro Tyre Holding; VStR) oder des BFH (Entscheidung V R 3/10; XI R 11/09) sowie der Finanzgerichte führte in der Vergangenheit für den Rechtsanwender zu erheblicher Unsicherheit bei der Abwicklung von Reihengeschäften über die Grenze.

Mit den Urteilen vom 25.02.2015, XI R 15/14 und XI R 30/13, setzt der BFH zum einen einen Schlussstrich unter die „Ära“ der VSTR-Entscheidungen und nimmt zum anderen Stellung zu der Frage, wie die Zuordnung der Warenbewegung erfolgen muss, wenn der letzte Abnehmer in der Kette den Transport beauftragt und bezahlt.

Nach Auffassung des XI. Senats des BFH ist § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG eine gesetzliche Vermutung dergestalt zu entnehmen, dass regelmäßig die Lieferung an den Ersterwerber die warenbewegte und damit steuerfreie Lieferung sei. Gemäß § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 UStG kann diese Vermutung widerlegt werden. Ob der Ersterwerber den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat, ist anhand einer umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls, mithin der objektiven Umstände festzustellen. Ein Abstellen auf die „Verpflichtungen und Absichtsbekundungen“ des Lieferers und des Erwerbers komme nicht in Betracht, da es sich bei der Prüfung des Vorliegens einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung um objektive Voraussetzungen handele.

Nach Ansicht des BFH ist bei Reihengeschäften unter Bezugnahme auf die gesetzliche Vermutung des § 3 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 1 UStG grundsätzlich die Lieferung von A an B steuerfrei. Etwas anderes gilt, wenn im Verhältnis zwischen B und C der B dem C bereits Verfügungsmacht an der Ware verschafft hat, bevor die Ware das Inland verlassen hat. Die erste Lieferung ist unter Berücksichtigung des Merkmals des Zeitpunkts der Verschaffung der Verfügungsmacht nur dann die grenzüberschreitende steuerbefreite Lieferung, sofern dem Zweiterwerber im Inland keine Verfügungsmacht übertragen wird.

Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG könne der erste Unternehmer in der Kette aber dadurch erlangen, dass er von dem Ersterwerber die Bestätigung einholt, dass dieser die Verfügungsmacht nicht auf einen Dritten übertrage, solange sich der Gegenstand der Lieferung noch im Inland befinde.

Das Merkmal der Übertragung der Befugnis, über den Gegenstand der Lieferung wie ein Eigentümer zu verfügen, gilt nach Auffassung des BFH als Zuordnungskriterium der warenbewegten Lieferung auch in den Fällen, in denen der Zweiterwerber eine Spedition mit der Abholung der Waren beim ersten Unternehmer in der Kette beauftragt hat. In der Entscheidung XI R 30/13 stellt der BFH klar, dass auch dann wenn ein Zweiterwerber/letzter Abnehmer (hier C – bei einer Lieferkette A – B – C) die Waren per Spedition abholt, die Warenbewegung im Verhältnis der ersten Lieferung (hier A – B) sein könne, wenn im Verhältnis des Ersterwerbers an den Zweiterwerber die Verfügungsmacht im Inland noch nicht übertragen wurde. Er selbst nennt diesen Fall aber als unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

Die Auswirkungen auf die bisherige Praxis und die Umsetzung dieser Kriterien in die Geschäftsabläufe gilt es nun zu prüfen. Es ist Handlungsbedarf gegeben, da die Entscheidung durchaus Grundsätze der Verwaltungsanweisung (Abschn. 3.14. UStAE) in Frage stellt. Der BFH verweist darauf, dass der Gesetzgeber handeln könne/müsse. Auch die vorgenannte Möglichkeit, Vertrauensschutz durch Versicherung des Erstabnehmers (des B) dadurch zu erlangen, dass dieser gegenüber dem Erstlieferanten A erklärt, im Inland keine Verfügungsmacht an einen Dritten zu verschaffen, muss zunächst praxistauglich umgesetzt werden. Für alle Unternehmer gilt es deshalb, die Kriterien der Rechtsprechung möglichst rechtssicher mit in die Geschäftsabläufe einzubeziehen.

Quellen:

BFH, Urt. v. 25.02.2015, XI R 15/14

BFH, Urt. v. 25.02.2015, XI R 30/13