BFH zur Differenzbesteuerung beim „Ausschlachten“ von Gebrauchtfahrzeugen

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 23.02.2017, V R 37/15

Praxisproblem

Die in § 25a UStG geregelte sog. Differenzbesteuerung ist eine Sonderregelung für die Besteuerung der Lieferungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG von beweglichen körperlichen Gegenständen einschl. Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten, sofern für diese Gegenstände kein Recht zum Vorsteuerabzug bestand. Die Differenzbesteuerung kommt für solche Gegenstände als Gebrauchtgegenstände in Betracht, weil sie nach der Verkehrsauffassung bereits „gebraucht“ sind. Nach Abschn. 25a.1 Abs. 4 UStAE setzt die Anwendung der Differenzbesteuerung voraus, dass der Wiederverkäufer die Gebrauchtgegenstände im Rahmen einer entgeltlichen Lieferung für sein Unternehmen erworben hat. Wird aus mehreren Einzelgegenständen, die jeweils für sich die Voraussetzungen der Differenzbesteuerung erfüllen, ein einheitlicher Gegenstand hergestellt oder zusammengestellt, unterliegt die anschließende Lieferung dieses „neuen“ Gegenstands nicht der Differenzbesteuerung gem. Abschn. 25a.1 Abs. 4 Satz 4 UStAE. Das gilt auch, wenn von einem erworbenen Gebrauchtgegenstand anschließend lediglich einzelne Teile geliefert werden (z. B. beim Ausschlachten eines Pkw), vgl. Abschn. 25a.1 Abs. 4 Satz 5 UStAE.

Sachverhalt

Der BFH hatte darüber zu entscheiden, ob die Veräußerung von gebrauchten Fahrzeugteilen, die ein Unternehmer zuvor aus von Privatpersonen erworbenen Altfahrzeugen ausgebaut hat, der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG unterliegt. Der Kläger kaufte in den Jahren 2009 bis 2011 (Streitjahre) häufig nicht mehr fahrtüchtige Gebrauchtfahrzeuge von Privatpersonen im ganzen Bundesgebiet an, zerlegte sie in ihre Einzelteile und verkaufte diese Einzelteile, insbesondere über eine Auktionsplattform. Das FA war der Auffassung, dass der Kläger die Umsätze mit durch Zerlegen von Fahrzeugen gewonnenen Einzelteilen zu Unrecht der Differenzbesteuerung gem. § 25a UStG unterworfen habe. Das FG Berlin-Brandenburg hatte mit seinem Urteil vom 01.10.2015, 7 K 7183/13, entschieden, dass die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG für die Veräußerung von Fahrzeugeinzelteilen, welche durch Zerlegen von Altfahrzeugen gewonnen wurden, nicht angewandt werden kann. Vielmehr unterliege der Steuerpflichtige mit dieser Betätigung der Regelbesteuerung.

Entscheidung

Der BFH hat unter Bezugnahme auf das EuGH-Urteil v. 18.01.2017, C-471/15, Sjelle Autogenbrug I/S, in dem es um einen ähnlich gelagerten Fall ging (Verkauf von Ersatzteilen, die Altfahrzeugen entnommen werden, die entweder von einer Privatperson oder von einer Versicherungsgesellschaft erworben wurden) entschieden, dass die Differenzbesteuerung auch dann anwendbar ist, wenn ein Unternehmer Gegenstände liefert, die er gewonnen hat, indem er zuvor von ihm erworbene Gebrauchtfahrzeuge zerlegt hat.

Nach § 25a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 UStG wird bei der Differenzbesteuerung der Umsatz nach dem Betrag bemessen, um den der Verkaufspreis den Einkaufspreis für den Gegenstand übersteigt. Der Wiederverkäufer kann nach § 25a Abs. 4 Satz 1 UStG die gesamten innerhalb eines Besteuerungszeitraums ausgeführten Umsätze nach dem Gesamtbetrag bemessen, um den die Summe der Verkaufspreise und der Werte nach § 10 Abs. 4 Nr. 1 UStG die Summe der Einkaufspreise dieses Zeitraums übersteigt (Gesamtdifferenz). Die Besteuerung nach der Gesamtdifferenz ist gem. § 25a Abs. 4 Satz 2 UStG nur bei solchen Gegenständen zulässig, deren Einkaufspreis 500,00 € nicht übersteigt. Nach den weiteren Ausführungen des BFH steht es der Besteuerung nach der Gesamtdifferenz nicht schon entgegen, dass die Einkaufspreise für die vom Kläger erworbenen Fahrzeuge 500,00 € überstiegen. Werden mehrere Gegenstände für einen Gesamteinkaufspreis erworben und anschließend einzeln verkauft, folgt der BFH der Verwaltungsauffassung, dass für Zwecke der Differenzbesteuerung der Gesamteinkaufspreis grundsätzlich im Wege sachgerechter Schätzung auf die einzelnen Gegenstände aufzuteilen (ebenso Abschn. 25a.1 Abs. 12 Satz 6 UStAE). Dabei ist es ohne Bedeutung, ob mehrere Gegenstände als Gesamtheit erworben werden oder -wie im Streitfall- ein Gegenstand erworben und dann in mehrere Gegenstände zerlegt wird. Überschreitet der Kaufpreis für einen einzelnen Gegenstand nach der Aufteilung weiterhin 500,00 €, kann dieser Gegenstand nicht mehr der Besteuerung nach der Gesamtdifferenz unterworfen werden.

Praxishinweis

Der BFH hat sich wegen des Gebots der unionsrechtskonformen Auslegung von § 25a UStG an dem EuGH-Urteil v. 18.01.2017, C-471/15, Sjelle Autogenbrug I/S, orientieren müssen. Dieses Urteil und damit auch das vorliegende BFH-Urteil widersprechen der bisherigen Verwaltungsauffassung in Abschn. 25a.1 Abs. 4 Satz 5 UStAE, wonach beim Ausschlachten eines Pkw und Weiterverkaufs einzelner Autoteile die Differenzbesteuerung nicht in Betracht kommt. Der EuGH hatte entschieden, dass Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass gebrauchte Teile, die aus Altfahrzeugen stammen, die ein Autoverwertungsunternehmen von einer Privatperson erworben hat und als Ersatzteile verkauft werden sollen, „Gebrauchtgegenstände“ im Sinne dieser Bestimmung sind, mit der Folge, dass die Lieferungen solcher Teile durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer der Differenzbesteuerung unterliegen. Nach dem Wortlaut des Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL sind „Gebrauchtgegenstände“ „bewegliche körperliche Gegenstände, die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind“. Aus dieser Bestimmung folgt nach dem EuGH-Urteil nicht, dass der Begriff „Gebrauchtgegenstände“ bewegliche körperliche Gegenstände, die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind, ausschließt, wenn sie von einem anderen Gegenstand stammen, dessen Bestandteile sie waren. Dass ein gebrauchter Gegenstand, der Bestandteil eines anderen Gegenstands ist, von diesem getrennt wird, stellt nach dem Urteil die Einstufung des entnommenen Gegenstands als „Gebrauchtgegenstand“ nicht in Frage, sofern er „in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung“ erneut verwendbar ist.

Für die Einordnung als „Gebrauchtgegenstand“ ist nur erforderlich, dass dem gebrauchten Gegenstand unverändert die Funktionen zukommen, die er im Neuzustand hatte, und dass er daher in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar ist. Dies ist bei Autoteilen, die aus einem Altfahrzeug entnommen wurden, nach dem Urteil der Fall, weil ihnen, auch wenn sie von diesem Fahrzeug getrennt werden, unverändert die Funktionen zukommen, die sie im Neuzustand hatten und sie somit zu denselben Zwecken erneut verwendbar sind. Das Argument der dänischen Regierung, die Einordnung als „Gebrauchtgegenstand“ i. S. v. Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL setze eine Identität zwischen dem angekauften und dem verkauften Gegenstand voraus, was beim Ankauf eines vollständigen Kraftfahrzeugs und dem Wiederverkauf von Teilen, die aus diesem Fahrzeug entnommen wurden, nicht der Fall sei, hat der EuGH zurückgewiesen. Würden Lieferungen solcher Ersatzteile durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer mit MwSt belegt, hätte dies eine Doppelbesteuerung zur Folge, weil zum einen im Verkaufspreis dieser Teile schon zwangsläufig die MwSt berücksichtigt wurde, die bereits im Vorfeld durch eine Person, die unter Art. 314 a) MwStSystRL fällt, beim Kauf des Fahrzeugs entrichtet wurde, und zum anderen, weil dieser Betrag weder von dieser Person noch vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer abgezogen werden konnte.

In seinem Urteil C-320/02, Stenholmen, hatte der EuGH den Begriff „Gebrauchtgegenstand“ im Zusammenhang mit lebenden Tieren ausgelegt. Er hatte festgestellt, dass Art. 26a der 6. EG-Richtlinie (jetzt: Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL) dahin auszulegen ist, dass ein Pferd, das von einer Privatperson (die nicht der Züchter ist) gekauft worden ist und nach der Ausbildung zum Reitpferd weiterverkauft wird, als Gebrauchtgegenstand i. S. d. Richtlinie anzusehen ist. Aus der Rechtsprechung des EuGH und des BFH- kann gefolgert werden, dass der Anwendungsbereich der Differenzbesteuerung eher weit ist. Für die Frage, ob ein Gebrauchtgegenstand i. S. v. Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL vorliegt, dürfte es demnach in erster Linie darauf ankommen, ob dieser Gegenstand ohne Vorsteuerabzugsrecht erworben worden ist. Für einen eher weiten Anwendungsbereich der Differenzbesteuerung spricht nach dem Urteil des EuGH, C-320/02, Stenholmen, auch der Zweck der Mehrwertbesteuerung, den wirtschaftlichen Mehrwert zu besteuern. Diesem Ziel wäre nicht gedient, wenn der Anwendungsbereich der Differenzbesteuerung eingeschränkt wäre, mit der Folge, dass die jeweiligen Verkaufserlöse in voller Höhe der Umsatzbesteuerung unterliegen.

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