BMF zur zeitlichen Grenze für die Erklärung der Option zur Steuerpflicht und der Rücknahme einer Option

Anmerkung zu: BMF-Schreiben v. 02.08.2017

Praxisproblem

Mit Urteilen vom 19.12.2013, V R 6/12 und V R 7/12, hatte der BFH entschieden, dass die Ausübung des Verzichts auf eine Steuerbefreiung gem. § 9 UStG (Option), aber auch die Rücknahme der Option möglich ist, solange die Steuerfestsetzung materiell änderbar ist. Der BFH widersprach damit der Verwaltungsauffassung, die die Optionsausübung bzw. deren Widerruf bisher nur bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft zuließ (vgl. Abschn. 9.1 Abs. 3 UStAE alt). Zudem stellte sich infolge dieser Rechtsprechung die Frage, ob weiterhin von einem Gleichklang der Optionsfristen bei § 9 und § 20 UStG (hier begrenzt der BFH lt. Urt. v. 10.12.2008, XI R 1/08, die Optionsausübung anhand der formellen Bestandskraft) auszugehen ist – ggf. durch entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen (vgl. hierzu die Aussagen BFH, Urt. v. 19.12.2013, V R 6/12, Rz. 23 und BFH, Urt. v. 19.12.2013, V R 7/12, Rz. 22.

In einem weiteren Urteil vom 21.10.2015, XI R 40/13, das am 23.12.2015 auf der Internetseite des BFH veröffentlicht wurde, lässt der BFH für Zeiträume ab dem 01.01.2004 den Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Lieferung eines Grundstücks außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens nach Maßgabe des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG nur in dem dieser Grundstückslieferung zugrunde liegenden notariell zu beurkundenden Vertrag zu. Ein späterer Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung ist unwirksam, auch wenn er notariell beurkundet wird.

Optionsfälle bei Grundstückslieferungen sind ein in der Praxis häufig vorkommender Fall. Bisher herrschte in der Praxis zuweilen Unklarheit zur Anwendung der genannten BFH-Urteile. Es konnten Sachverhalte vorkommen, in dem beide Rechtsprechungen einschlägig sind – also Optionserklärungen für Grundstückslieferungen in anderen notariellen Verträgen als dem ursprünglichen Kaufvertrag nach Eintritt der formellen, aber vor Ablauf der materiellen Bestandskraft.

Sachverhalt

Aufgrund des BFH-Urteils v. 10.12.2008, XI R 1/08, war Abschn. 9.1. Abs. 3 Satz 1 UStAE mit BMF-Schreiben vom 01.10.2010, BStBl I S. 768, dahingehend geändert worden, dass sowohl die Erklärung zur Option nach § 9 UStG als auch deren Widerruf (nur) bis zur formellen Bestandskraft der jeweiligen Jahressteuerfestsetzung zulässig ist. In seinen Urteilen v. 19.12.2013, V R 6/12 und 7/12, vertrat der BFH die Auffassung, dass die Rücknahme des Verzichts auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG möglich ist, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar (noch nicht formell bestandskräftig) oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 AO noch änderbar ist. Die Finanzverwaltung hatte sich bisher zu diesen Urteilen noch nicht positioniert. Möglicherweise sollte eine Anpassung des UStAE bis zur Entscheidung in dem Revisionsverfahren XI R 40/13 des BFH aufgeschoben werden.

Hier ging es um die Frage der zeitlichen Grenze für die Erklärung des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung einer Grundstückslieferung. Mit Urteil vom 21.10.2015, XI R 40/13, hat der BFH zur dort strittigen Frage der Wirksamkeit einer Option zur Steuerpflicht eines Grundstücksumsatzes nach § 4 Nr. 9. a) UStG nach formeller Bestandskraft entschieden, dass der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Lieferung eines Grundstücks (außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens) nach Maßgabe des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG nur in dem dieser Grundstückslieferung zugrunde liegenden notariell zu beurkundenden Vertrag erklärt werden kann. Ein späterer Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung sei unwirksam, auch wenn er notariell beurkundet wird. Darüber hinaus stellte der BFH klar, dass vor dem Hintergrund dieser zu § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG und der vom 5. Senat getroffenen Entscheidungen zu § 9 Abs. 1 UStG (BFH, V R 6/12 und V R 7/12),

  • die norminterpretierende Verwaltungsanweisung im BMF-Schreiben vom 31.3.2004 (BStBl I 2004, 453), wonach im Fall einer Grundstückslieferung außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens bei nach dem 31.12.2003 ausgeführten Umsätzen, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, die Option entweder im notariell zu beurkundenden Vertrag oder einer notariell zu beurkundenden (späteren) Vertragsergänzung oder -änderung zu erklären sei, und
  • die Aussage der Finanzverwaltung in Abschnitt 9.1. Abs. 3 Satz 1 UStAE, wonach die Erklärung zur Option nach § 9 UStG als auch ihr Widerruf (nur) bis zur formellen Bestandskraft der jeweiligen Jahressteuerfestsetzung zulässig seien,

nicht mit den rechtlichen Vorgaben und Schlussfolgerungen des BFH übereinstimmt.

Vor diesem Hintergrund hat die Verwaltung das BMF-Schreiben vom 01.10.2010 (BStBl I 2010, 768), welches zur Umsetzung der BFH-Entscheidung vom 10.12.2008, XI R 1/08, ergangen war, ersetzt und die entsprechenden Aussagen in dem BMF-Schreiben vom 31.03.2004 aufgehoben und den Abschnitt 9.1. Abs. 3 Satz 1 und 4 und Abschnitt 9.2. Abs. 9 UStAE angepasst.

Entscheidung

Abschnitt 9.1 Abs. 3 Satz 1 UStAE regelt nun: Die Erklärung zur Option nach § 9 UStG sowie die Rücknahme dieser Option sind zulässig, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder auf Grund eines Vorbehalts der Nachprüfung nach § 164 AO noch änderbar ist. Die weiteren Ausführungen in Abschnitt 9.1 Abs. 3 UStAE zur Option im Rahmen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen und zur Form der Ausübung der Option sind unverändert geblieben.

In dem neugefassten Absatz 9 von Abschnitt 9.3 regelt die Verwaltung nun: Der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Lieferung eines Grundstücks außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens kann nur in dem dieser Grundstückslieferung zu Grunde liegenden notariell zu beurkundenden Vertrag erklärt werden. Ein späterer Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung ist unwirksam, auch wenn er notariell beurkundet wird. Gleiches gilt für die Rücknahme des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung.

Praxishinweis

Fraglich ist nach Ergehen des BMF-Schreibens wohl immer noch, ob ein wirksamer Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung nach § 9 Abs. 3 UStG laut ursprünglich notariell beurkundetem Grundstückskaufvertrag später widerrufen werden kann. Gegen diese Auffassung spricht, dass der Abschluss dieses allein maßgeblichen Vertrags nach dem BFH-Urteil XI R 40/13 den letztmöglichen Zeitpunkt darstellt, um die Option auszuüben. Der BFH führt in seinen Urteilen vom 19.12.2013, V R 6/12 und 7/12, aus, der Verzicht und sein Rückgängigmachen als actus contrarius seien mit Blick auf die zeitlichen Grenzen ihres Ausübens gleich zu behandeln (Rz. 22 bzw. Rz. 21 der Urteile). Nach dem BFH-Urteil vom 21.10.2015, XI R 40/13, wollte der Gesetzgeber die Möglichkeit der Option zur Steuerpflicht in den Fällen des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG nicht nur in formaler, sondern auch in zeitlicher Hinsicht beschränken. Dies ergebe sich auch aus dem systematischen Zusammenhang des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG mit dem unmittelbar vorangehenden § 9 Abs. 3 Satz 1 UStG, nach dem bei Lieferungen von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 UStG nur "bis zur Aufforderung zur Abgabe von Geboten im Versteigerungstermin zulässig" sei, sowie dessen Stellung im Gesetz. In § 9 Abs. 3 Satz 1 UStG habe der Gesetzgeber eine Regelung hinsichtlich des (spätesten) Zeitpunkts der Option zur Steuerpflicht bei Lieferungen von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren getroffen ("bis"). Danach sei die unmittelbar anschließende Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG so zu verstehen, dass der Gesetzgeber auch dort für andere Umsätze i. S. v. § 4 Nr. 9a) UStG ebenfalls eine Regelung getroffen habe, die den Zeitpunkt der Optionsausübung bestimme – und nicht lediglich deren Form. Die Option zur Steuerpflicht nach § 9 Abs. 1 UStG habe in diesen Fällen, was den Zeitpunkt der Erklärung betreffe, "in dem" gem. § 311b Abs. 1 BGB notariell zu beurkundenden Vertrag zu erfolgen (Rz. 42 und 43 der Urteile). Somit könnte der Abschluss eines Grundstückskaufvertrags auch der letztmögliche Zeitpunkt sein, um die Option nicht auszuüben. In diese Richtung scheint der neu gefasste Absatz 9 in Abschnitt 9.2 UStAE zu tendieren.

Andererseits kann nach allgemeiner Ansicht der Verzicht auf die Steuerbefreiung grundsätzlich wieder rückgängig gemacht werden (BFH, Urt. v. 19.12.2013, V R 6/12 und V R 7/12). Dass die Option zur Steuerpflicht und ihre Rückgängigmachung als „actus contarius“ zu behandeln sind, könnte nur für Fälle gelten, in denen der Zeitpunkt der Option oder dessen Widerruf gesetzlich nicht geregelt sind. Die Begrenzung der Rücknahme der Option auf den Zeitpunkt des notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag könnte einen Steuerpflichtigen unverhältnismäßig in der Ausübung seines Wahlrechts einschränken. Eine derartig enge Eingrenzung könnte grundsätzlich nur dann zulässig sein, wenn sie im Gesetz vorgesehen ist – wie in § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG für die Option des Kleinunternehmers zur Regelbesteuerung oder in § 23 Abs. 3 Satz 1 UStG für die Option zur Besteuerung nach Durchschnittssätzen. In beiden Fällen muss bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 und 4 UStG) und damit innerhalb der formellen Bestandskraft widerrufen werden. Da § 9 UStG lediglich in Abs. 3 den Zeitpunkt des Verzichts auf die Steuerbefreiung bei der Lieferung von Grundstücken regelt, jedoch keine gesetzliche Regelung bzgl. dessen Widerrufs enthält, könnte der Unternehmer berechtigt sein, die Rücknahme des Verzichts auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9. a) UStG solange geltend zu machen, wie die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 164 AO noch änderbar ist. In diese Richtung scheint der neu gefasste Satz 1 in Abschnitt 9.1 Abs. 3 UStAE zu deuten. Dass die Verwaltung aber eher die strenge Sichtweise verfolgt ergibt sich mglw. aus der Einschränkung in Abschnitt 9.1 Abs. 3 Satz 4 UStAE, wonach für Umsätze nach § 4 Nr. 9 a) UStG die Einschränkungen nach Abschnitt 9.2 Abs. 8 und 9 UStAE zu beachten sind. Andererseits dürfte aber wohl auch zutreffend sein, dass bis zur Erfüllung eines Grundstückskaufvertrags noch kein steuerbarer Umsatz erfolgt. Somit könnten die Beteiligten in der Praxis eine Vertragsänderung auch dadurch bewirken, dass der ursprüngliche Vertrag aufgelöst und dann um den Verzicht auf die Ausübung der Option geändert neu geschlossen wird. Klarheit könnte wohl nur eine gesetzliche Regelung bringen, mit der § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG so angepasst würde, dass die Option und ihr Widerruf im notariellen Änderungs- bzw. Ergänzungsvertrag ausdrücklich zugelassen werden.

Das BMF-Schreiben v. 13.07.2017 enthält eine umfangreiche Anwendungsregelung. Die Grundsätze des Schreibens sind prinzipiell in allen offenen Fällen anzuwenden. Das Schreiben ersetzt das BMF-Schreiben vom 01.10.2010 (BStBl I 2010, 768). Den BFH-Urteilen vom 19.12.2013, V R 6/12 und V R 7/12, und vom 21.10.2015, XI R 40/13, entgegenstehende Verwaltungsanweisungen in dem BMF-Schreiben vom 31.03.2004 (BStBl I 2004, 453) sind nicht mehr anzuwenden. Beruft sich der Unternehmer aber auf für ihn günstigere Verwaltungsanweisungen im BMF-Schreiben vom 31.03.2004, wird die Wirksamkeit der Option in Fällen von notariellen Vertragsergänzungen oder -änderungen für Erklärungen nach dem 31.03.2004 bis zum 31.10.2010 von der Finanzverwaltung nicht beanstandet. Für Zeiträume ab dem 01.11.2010 kommt auf Grund des BMF-Schreibens vom 01.10.2010 ein Vertrauensschutz in Fällen von notariellen Vertragsergänzungen oder -änderungen noch bis zur formellen Bestandskraft der betreffenden Jahressteuerfestsetzung in Betracht, wenn die Erklärungen vor dem 01.01.2018 abgegeben wurden. Somit gilt ein Vertrauensschutz für Fälle, innerhalb derer noch das Optionswahlrecht in Vertragsergänzungen bzw. -änderungen ausgeübt werden kann, auf der Basis des BMF-Schreibens vom 01.10.2010 noch für Optionserklärungen und Widerrufe der Option, die bis zum 31.12.2017 abgegeben werden.

Das Schreiben verdeutlicht, welche Besonderheiten bei der Ausübung der Option zu beachten sind und löst einige Fragen auf. Dennoch gilt es, dass die Beratung im Vorfeld einer Grundstücksübertragung erheblichen Wert hat. Auch nach der Bekanntgabe dieses BMF-Schreibens gibt es Alt- und Neufälle, welche Fragen aufwerfen und bereit von Beginn der Planung an auch umsatzsteuerrechtlich betrachtet werden sollten. Das Team der AWB steht Ihnen mit seiner Projekterfahrung bei Transaktionen gerne beratend zur Seite.

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