Bemessungsgrundlage, Uneinbringlichkeit des Entgeltes, Zeitpunkt der Uneinbringlichkeit, Uneinbringlichkeit erst nach Abschluss eines Insolvenzverfahrens

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 23.11.2017, C-246/16, Enzo di Maura

Praxisproblem

Bei dem italienischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Voraussetzungen der Berichtigung der Bemessungsgrundlage für einen Ausgangsumsatz und entsprechend des Vorsteuerabzugs auf der Empfängerseite nach Art. 11 Teil C Abs. 1 bzw. Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie.

Sachverhalt

Der Kläger hatte im Jahr 2004 einen Umsatz an eine Gesellschaft S in Höhe von 35.000 EUR (netto plus USt) abgerechnet. S zahlte den Rechnungsbetrag nicht, weil S mit Gerichtsurteil v. 30.11.2004 für zahlungsunfähig erklärt und das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Der Kläger berichtigte daraufhin am 31.12.2004 die Bemessungsgrundlage um diesen Betrag, indem er die ursprünglich erstellte Rechnung änderte und die der Änderung entsprechende USt bei der Finanzbehörde in Abzug brachte. Die Finanzbehörde lehnte die Berichtigung ab. Der Kläger könne nach Art. 26 Abs. 2 des ital. Dekrets Nr. 633/72 die der Finanzbehörde im Voraus gezahlte Steuer bei einer Insolvenz des Schuldners durch Berichtigung der Bemessungsgrundlage nur zurückerlangen, wenn sicher feststehe, dass seine Forderung nicht beitreibbar sei. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Verringerung der Bemessungsgrundlage im Fall der Nichtbezahlung von Leistungen schon bei Vorliegen einer Insolvenzeröffnung möglich sei, da die übliche Verfahrensdauer in Insolvenzsachen sehr lang sei.

Das Vorlagegericht war der Auffassung, dass die italienische Regelung nicht mit den Art. 11 und 20 der 6. EG-Richtlinie und den Grundsätzen der Neutralität der USt, der Verhältnismäßigkeit und der Effektivität übereinstimmt. Nach dem Unionsrecht sei für die Minderung der Bemessungsgrundlage und der Steuerberichtigung nur erforderlich, dass sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Steuerbetrags berücksichtigt wurden, nach Abgabe der USt-Erklärung geändert haben. Wenn Italien das Recht auf Berichtigung der Steuer auf das Maß begrenze, das den Minderungen infolge der (vollständigen oder teilweisen) Nichtbezahlung der Gegenleistung, wie sie sich aus erfolglos gebliebenen Insolvenzverfahren oder Vollstreckungsverfahren ergibt, entspricht, füge es eine weitere Bedingung hinzu, nämlich eben die Erschöpfung des Verfahrens, die das Unionsrecht nicht kenne.

Entscheidung

Der EuGH bestätigt seine bisherige Rechtsprechung, dass der Richtliniengeber es den Mitgliedstaaten überlassen hat, zu bestimmen, ob der Fall der Nichtbezahlung des Kaufpreises, die als solche im Gegensatz zur Auflösung oder Annullierung des Vertrags die Parteien nicht in ihre Ausgangslage zurückversetzt, ein Recht auf entsprechende Verminderung der Besteuerungsgrundlage unter den von ihm festgelegten Bedingungen eröffnet oder ob eine solche Verminderung in diesem Fall nicht zulässig ist (vgl. EuGH, Urt. v. 15.05.2014, C-337/13, Almos Agrárkülkereskedelmi). Diese strikt auf den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung beschränkte Abweichungsbefugnis beruht jedoch auf der Erwägung, dass es unter bestimmten Umständen und aufgrund der Rechtslage in dem betreffenden Mitgliedstaat schwierig sein kann, nachzuprüfen, ob die Gegenleistung endgültig oder nur vorläufig nicht erbracht worden ist (vgl. EuGH, Urt. v. 03.07.1997, C-330/95, Goldsmiths). Zwar können sich die Unternehmer unionsrechtlich nicht darauf berufen, dass bei Uneinbringlichkeit des Entgelts die Bemessungsgrundlage gemindert werden darf. Im vorliegenden Urteil stellt der EuGH aber fest, dass die Mitgliedstaaten die Verminderung der Besteuerungsgrundlage gleichwohl nicht einfach ohne Weiteres ausschließen können.

Zwar ergibt es nach der vorliegenden Entscheidung Sinn, dass die Mitgliedstaaten der Unsicherheit über die Endgültigkeit der Nichtbezahlung einer Rechnung entgegenwirken können, doch kann eine solche Abweichungsbefugnis nicht über diese Unsicherheit hinausgehen und sich insbesondere nicht auf die Frage erstrecken, ob eine Verminderung der Besteuerungsgrundlage bei Nichtbezahlung entfallen kann. Würde zugelassen, dass die Mitgliedstaaten jede Verminderung der Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer ausschließen könnten, liefe dies auch dem Grundsatz der Neutralität der USt zuwider, aus dem sich insbesondere ergibt, dass der Unternehmer in seiner Eigenschaft als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten USt entlastet werden muss.

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, müssen die Mittel zur Umsetzung der MwStSystRL bzw. 6. EG-Richtlinie zur Erreichung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele geeignet sein und dürfen nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen. Der EuGH geht davon aus, dass der Unsicherheit über die Endgültigkeit der Nichtbezahlung einer Rechnung im Ausgangsverfahren offenkundig im Wesentlichen dadurch Rechnung getragen wird, dass dem Steuerpflichtigen das Recht auf Verminderung der Besteuerungsgrundlage so lange vorenthalten wird, wie die Forderung nicht endgültig uneinbringlich ist. Derselbe Zweck kann nach Auffassung des EuGH jedoch auch dadurch verfolgt werden, dass die Minderung der Bemessungsgrundlage zulässig ist, wenn der Steuerpflichtige eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Ausfall der Schuld darlegt, aber die Besteuerungsgrundlage heraufgesetzt werden kann, wenn die Zahlung dennoch erfolgen sollte. Es wäre dann Sache der nationalen Behörden, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter richterlicher Kontrolle die Nachweise für eine wahrscheinlich länger dauernde Nichtbezahlung festzulegen, die der Steuerpflichtige unter Berücksichtigung der Besonderheiten des anzuwendenden nationalen Rechts beizubringen hat. Eine solche Ausgestaltung ist nach der Entscheidung des EuGH auch zur Erreichung des verfolgten Ziels wirksam und zugleich weniger belastend für den Steuerpflichtigen, der die Vorfinanzierung der USt sicherstellt, indem er sie für Rechnung des Staates einzieht.

Der EuGH kommt nach alledem zu dem Schluss, dass ein Mitgliedstaat die Verminderung der Besteuerungsgrundlage für die USt nicht davon abhängig machen kann, dass ein Insolvenzverfahren erfolglos geblieben ist, wenn ein solches Verfahren mehr als zehn Jahre dauern kann.

Praxishinweis

Das Urteil hat auch Bedeutung für das deutsche Umsatzsteuerrecht. Die Frage, ob sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz geändert hat, beurteilt sich nach § 10 Abs. 1 bis 5 UStG. Die Pflicht zur Berichtigung der Steuer und des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 1 UStG besteht auch dann, wenn das Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung uneinbringlich geworden ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Uneinbringlichkeit i. S. v. § 17 Abs. 2 UStG liegt insbesondere vor, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist, wenn den Forderungen die Einrede des Einforderungsverzichts entgegengehalten werden kann (vgl. BFH, Beschl. v. 10.03.1983, V B 46/80, BStBl II S. 389) oder wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung ganz oder teilweise jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (vgl. BFH, Urt. v. 20.07.2006, V R 13/04, BStBl 2007 II S. 22). Insoweit sind die Voraussetzungen der Berichtigung nicht so streng, wie offenbar die italienischen Regelungen, nach denen die Uneinbringlichkeit des Entgelts offensichtlich vom Ende eines Insolvenzverfahrens abhängt. Dies hält der EuGH wie ausgeführt für grds. unzulässig und bestätigt damit zugleich indirekt die deutsche Rechtslage.

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