Direktanspruch in der Umsatzsteuer

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 22.08.2019, V R 50/16

Praxisproblem

Hat ein nach seiner Unternehmenstätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigter Rechnungsempfänger eine gesetzlich nicht geschuldete, aber gleichwohl in einer -ansonsten ordnungsgemäßen - Rechnung ausgewiesene USt gezahlt, kann er im Rahmen eines sog. Direktanspruchs entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma (Urt. v. 15.03.2007, C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken) eine "Rückzahlung" von der Finanzverwaltung verlangen, wenn eine Rückforderung vom Rechnungsaussteller insbes. im Hinblick auf dessen Zahlungsunfähigkeit übermäßig erschwert ist. Hierüber ist im Billigkeitsverfahren nach § 163 AO zu entscheiden (vgl. BFH v. 30.06.2015, VII R 30/14). Der EuGH hatte auch in seinem Urteil vom 31.05.2018, verb. Rs. C-660/16 und C-661/16, Kollroß und Wirtl, entschieden: Hat der (vermeintlich) Leistende zu Unrecht USt in Rechnung gestellt und ist es für den (vermeintlichen) Leistungsempfänger unmöglich oder übermäßig schwierig, die Steuer von seinem Vertragspartner zurückzuerhalten, steht dem Leistungsempfänger ein Anspruch auf Erstattung unmittelbar gegen der Finanzbehörde zu.

Sachverhalt

In dem vorliegenden BFH-Verfahren war fraglich, ob dieser Direktanspruch auch dann gilt, wenn durch den Rechnungsaussteller keine Leistung erbracht worden ist, während im Fall des EuGH-Urteils Reemtsma tatsächlich Leistungen seitens der als Leistungserbringer auftretenden Unternehmers erbracht worden waren, allerdings mit einem anderen als dem ursprünglich angenommenen Leistungsort.

Entscheidung

Der BFH hat entschieden, ein sich aus dem Unionsrecht entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma ergebender Direktanspruch setzt voraus, dass der Rechnungsaussteller eine Leistung an den Rechnungsempfänger erbracht hat, für die er USt in der Rechnung zu Unrecht ausgewiesen hat. Hieran fehlte es im Streitfall.

Praxishinweis

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG berechtigt nur die in einer Rechnung ausgewiesene Steuer zum Vorsteuerabzug, die für die in Rechnung gestellte Leistung auch gesetzlich geschuldet wird. Folge dieser dem Unionsrecht nach dem EuGH-Urteil Genius Holding v. 13.12.1989, C-342/87, entsprechende Rechtslage ist, dass der Leistungsempfänger eine gezahlte und nur in Rechnung gestellte, nicht aber gesetzlich für die in Rechnung gestellte Leistung geschuldete USt vom Rechnungsaussteller zurückzufordern hat. Für den Fall, dass die Erstattung der MwSt unmöglich oder übermäßig erschwert wird, müssen die Mitgliedstaaten allerdings nach dem EuGH-Urteil Reemtsma Mittel vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen. Dabei wird die Erstattung der MwSt insbes. im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers unmöglich oder übermäßig erschwert. Es kann dann geboten sein, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richtet. Der Direktanspruch setzt aber voraus, dass der Rechnungsaussteller die in der Rechnung als steuerpflichtig abgerechnete Leistung auch erbracht hat. Damit genügt der bloße Steuerausweis in einer Rechnung für die Entstehung des Direktanspruchs nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der Rechnungsaussteller auch eine Leistung erbracht hat, für die mangels Steuerbarkeit oder aufgrund einer Steuerfreiheit oder Steuersatzermäßigung die in der Rechnung ausgewiesene Steuer nicht gesetzlich entstanden ist.

 

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