MwSt-E-Commerce-Implementierungspaket / Digitalpaket Teil II

Anmerkung zu Richtlinie (EU) 2019/1995 und zu Durchführungsverordnung (EU) 2019/2026

Praxisproblem

Mit der RL (EU) 2017/2455 (Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates v. 05.12.2017 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG und der Richtlinie 2009/132/EG in Bezug auf bestimmte mehrwertsteuerliche Pflichten für die Erbringung von Dienstleistungen und für Fernverkäufe von Gegenständen, ABl. EU 2017 Nr. L 348 S. 7) waren Regelungen zur Besteuerung grenzüberschreitender Dienstleistungen an Privatverbraucher innerhalb der EU i. R. d. One-Stop-Shop-Verfahrens (OSS) und innergemeinschaftlicher Fernverkäufe von Gegenständen sowie von Fernverkäufen von aus Drittgebieten oder Drittländern eingeführten Gegenständen geschaffen worden, die ab 01.01.2021 gelten. Das Maßnahmenpaket wird als sog. MwSt E-Commerce-Implementierungspaket oder Digitalpaket bezeichnet. Rat und Kommission hatten in einer Protokollerklärung zu der RL (EU) 2017/2455 u. a. zum Ausdruck gebracht, dass der spätere Erlass näherer Durchführungsbestimmungen zu dem Digitalpaket notwendig sei. Mit der RL 2017/2455 (EU) ist u. a. festgelegt worden:

  • Ausweitung des Anwendungsbereichs der Sonderregelungen für nicht in der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige, die Telekommunikations-, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen oder elektronische Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige gem. Art. 358 bis 369k MwStSystRL (sog. Mini-One-Stop-Shop, MOSS) erbringen, auf alle Arten von Dienstleistungen sowie auf innergemeinschaftliche Fernverkäufe von Gegenständen und Fernverkäufe von aus Drittgebieten oder Drittländern eingeführten Gegenständen und Umwandlung des MOSS in eine einzige Anlaufstelle (OSS);
  • Einführung von Sonderbestimmungen für Unternehmer, die durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle, z. B. eines Marktplatzes, einer Plattform, eines Portals oder Ähnlichem, bestimmte Lieferungen an Nichtunternehmer durch andere Unternehmer unterstützen.

Entscheidung

Die vom Rat am 21.11.2019 verabschiedete Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1995 des Rates v. 21.11.2019 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 in Bezug auf Vorschriften für Fernverkäufe von Gegenständen und bestimmte inländische Lieferungen von Gegenständen, ABl. EU 2019 Nr. L 310/1), die zum 01.01.2021 in nationales Recht umgesetzt werden muss, stellt eine Ergänzung zu dem sog. Digitalpaket in Form der RL Richtlinie (EU) 2017/2455 dar. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der Klärung rechtlicher Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Einbezug elektronischer Plattformen in die mehrwertsteuerliche Leistungskette ergeben sowie auf der Schaffung detaillierter Bestimmungen für die Anwendung des stark ausgeweiteten One-Stop-Shops. Hinsichtlich der Plattformregelung wird die Zuordnung der bewegten Lieferung in der Lieferkette geregelt sowie eine Steuerbefreiung mit Vorsteuerabzug für die vorangehende fingierte Lieferung des Drittlandunternehmers geschaffen.

Mit der Durchführungsverordnung (EU) 2019/2026 (Durchführungsverordnung (EU) 2019/2026 des Rates zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 bezüglich der über elektronische Schnittstellen unterstützten Lieferung von Gegenständen oder Erbringung von Dienstleistungen sowie bezüglich der Sonderregelungen für Steuerpflichtige, die Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige erbringen sowie Fernverkäufe von Gegenständen und bestimmte Lieferungen von Gegenständen innerhalb der Union tätigen, ABl. EU 2019 Mr. L 313/14), die die MwStDVO 282/2011 in der Fassung der VO (EU) 2017/2459 (ABl. EU 2017 Nr. L 348/32) ergänzt, wurden insbes. nähere Bestimmungen zu den Anwendungsfällen der Regelung über die elektronischen Marktplätze sowie zu den Aufzeichnungspflichten des Plattformbetreibers geschaffen. Die in der MwStSystRL enthaltenen Begriffsbestimmungen für „innergemeinschaftliche Fernverkäufe von Gegenständen“ und „Fernverkäufe von aus Drittgebieten oder Drittländern eingeführten Gegenständen“ umfassen auch Lieferungen von Gegenständen, bei denen der Lieferer mittelbar an der Versendung oder Beförderung an den Erwerber beteiligt ist. Mit Art. 5a neu VO 2019/2026 wurde auch die Bedeutung des Begriffs „mittelbar“ in diesem Zusammenhang präzisiert. Auch für Betreiber elektronischer Marktplätze, die die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der Gemeinschaft unterstützen, wurde mit Art. 5b neu VO 2019/2026 die Bedeutung des Begriffs „unterstützen“ genauer definiert zu bestimmt, in welchem Fall nicht davon auszugehen ist, dass ein Steuerpflichtiger die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen über eine elektronische Schnittstelle unterstützt. Ansonsten enthält die VO 2019/2026 zahlreiche weitere Änderungen (insbes. in einem neuen Abschnitt 1B mit Aufzeichnungspflichten gem. der Art. 241 bis 249 MwStSystRL, eine Neufassung des Kapitels XI Abschn. 2 zu den Sonderregelungen für Steuerpflichtige, die Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige erbringen oder Fernverkäufe von Gegenständen oder bestimmte Lieferungen von Gegenständen innerhalb der Union tätigen gemäß Art. 358 bis 369.

Praxishinweis

Nach Art. 14a MwStSystRL i. d. F. der RL 2017/2455 werden Steuerpflichtige, die durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle, z. B. eines Marktplatzes, einer Plattform, eines Portals oder Ähnlichem, Fernverkäufe von aus Drittgebieten oder Drittländern eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Einzelwert von nicht mehr als 150 EUR unterstützen oder die Lieferung von Gegenständen innerhalb der Gemeinschaft durch einen nicht in der Gemeinschaft ansässigen Steuerpflichtigen an einen Nichtsteuerpflichtigen unterstützen (Online-Marktplatzbetreiber) so behandelt, als ob sie diese Gegenstände selbst erhalten und geliefert hätten. Da durch Art. 14a MwStSystRL eine einzige Lieferung von Gegenständen in zwei Lieferungen aufgeteilt wird, musste noch festgelegt werden, welcher dieser Lieferungen die Versendung oder Beförderung der Gegenstände zugeschrieben wird, um den Ort der Lieferung ordnungsgemäß zu bestimmen. Außerdem musste sichergestellt werden, dass der Steuertatbestand in Bezug auf diese beiden Lieferungen gleichzeitig eintritt. Demzufolge regelt Art. 36b neu MwStSystRL, für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger gem. Art. 14a MwStSystRL so behandelt wird, als ob er Gegenstände erhalten und geliefert hätte, dass die Versendung oder Beförderung der Gegenstände der Lieferung (sog. bewegte Lieferung) durch diesen Steuerpflichtigen zugeschrieben wird.

Art. 66a MwStSystRL in seiner Neufassung regelt in diesem Zusammenhang, dass abweichend von den Art. 63, 64 und 65 MwStSystRL der Steuertatbestand und der Steueranspruch in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen durch einen Steuerpflichtigen, der nach Art. 14a MwStSystRL behandelt wird, als ob er diese Gegenstände erhalten und geliefert hätte sowie in Bezug auf die Lieferung von Gegenständen an diesen Steuerpflichtigen zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Zahlung angenommen wurde. Hier wird also ein Istversteuerungstatbestand (Steuerentstehung mit Vereinnahmung des Entgelts) angenommen.

Da Betreiber von elektronischen Marktplätzen die durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle die Lieferung von Gegenständen an einen Nichtsteuerpflichtigen in der Gemeinschaft unterstützen, nach den geltenden Vorschriften die an nicht in der Gemeinschaft ansässige Zulieferer entrichtete MwSt als VSt abziehen könnten, besteht das Risiko, dass die Lieferer aus dem Drittland die MwSt auf ihrer Ausgangsseite (die sie dem Marktplatzbetreiber in Rechnung stellen müssten) möglicherweise nicht an den Fiskus abführen. Um dieses Risiko zu vermeiden, soll die Lieferung des Lieferers, der Gegenstände durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle (fiktiv an den Marktplatzbetreiber) verkauft, steuerfrei gestellt werden und der Lieferer soll das Recht auf Abzug der VSt erhalten, die er für den Kauf oder die Einfuhr der gelieferten Gegenstände entrichtet hat. Für diese Zwecke soll der Lieferer stets in dem Mitgliedstaat registriert sein, in dem er die Gegenstände erworben oder in den er sie eingeführt hat. Zu diesem Zweck regelt Art. 136a neu MwStSystRL: Wird ein Steuerpflichtiger gem. Art. 14a Abs. 2 MwStSystRL behandelt, als ob er Gegenstände erhalten und geliefert hätte (also der Marktplatzbetreiber), befreien die Mitgliedstaaten die Lieferung dieser Gegenstände an diesen Steuerpflichtigen von der Steuer. Entsprechend ist nach der Neufassung von Art. 169 Buchst. b MwStSystRL das Vorsteuerabzugsrecht bzgl. der dort genannten Ausgangsumsätze auf nach Art. 136a MwStSystRL steuerfreie Umsätze ausgedehnt worden. Hinsichtl. der Registrierung ist Art. 204 Abs. 1 Unterabs. 3 MwStSystRL neugefasst worden.

Beispiel

Der in China ansässige Unternehmer U liefert am 10.05.2021 über den elektronischen Marktplatz des Betreibers A Ware, die sich zum Zeitpunkt des Beginns des Transports an den Endkunden K bereits in Deutschland befindet, an den Endkunden S (Privatperson) in Spanien. Die Ware wird am 10.05.2021 von einem Kurierdienst im Lager des U in Deutschland entnommen und an S versandt. S zahlt die Ware am 10.06.2021. Nach Art. 36b MwStSystRL wird diese Lieferung so behandelt, als ob U die Ware an A geliefert hat (ruhende Lieferung) und A die Ware weiter an S geliefert hat (bewegte Lieferung). Die Lieferung von U an A wird als steuerfrei behandelt. U hat dennoch einen Vorsteuerabzug aus dem Erwerb der Ware oder unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 aus der entstandenen EUSt bei Einfuhr der Ware nach Deutschland. A hat die Lieferung an S im Monat der Vereinnahmung des Entgelts (Juni 2021) zu versteuern.

 

 

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