EuGH zur Einheitlichkeit der Leistung und MwSt-Ermäßigung bei Besichtigungstouren in einem Fußballstadion

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 18.01.2018, C-463/16, Stadion Amsterdam CV

Sachverhalt

Im EuGH-Verfahren ging es um die Anwendung des ermäßigten oder des Normalsteuersatzes auf Rundgänge aus einer Führung durch ein Fußballstadion und den Besuch des Stadionmuseums. Das Vorlagegericht wollte wissen, ob bei einer einheitlichen Leistung, die aus zwei oder mehreren konkreten und spezifischen Bestandteilen besteht, für die, sollten sie als getrennte Hauptleistungen erbracht werden, verschiedene Steuersätze gelten, die Besteuerung für dieses Leistungsbündel nach den für die Bestandteile geltenden unterschiedlichen Steuersätzen erfolgen soll, wenn die Gegenleistung für die Dienstleistung nach einem zutreffenden Verhältnis der Bestandteile aufgespalten werden kann.

In den Streitjahren bestanden die Rundgänge aus einer Führung durch das Stadion und einem Besuch des Museums. Während der Führung besuchten die Teilnehmer in Begleitung eines Führers die Tribüne, das Fußballfeld, den Presseraum und den Regieraum. Der Führungsleiter informierte über den Fußballklub, das Stadion und die Musikdarbietungen. Am Ende der Führung durch das Stadion konnten die Teilnehmer unbeschränkt und ohne Begleitung das Museum besuchen. Das Museum gibt einen Überblick über die Geschichte des Fußballklubs. In den Streitjahren war es nicht möglich, das Museum ohne Teilnahme an einem Rundgang zu besuchen.

Die Klägerin besteuerte die Rundgänge zum ermäßigten Steuersatz mit der Begründung, dass diese Dienstleistungen auf dem Gebiet der Kultur oder als Erholung und Vergnügen i. S. v. Pos. b.14 Buchst. c bzw. Buchst. g der Tabelle I zum NL-MwStG anzusehen seien. Für den Fall, dass die Rundgänge nicht als eine dieser Dienstleistungen betrachtet werden können, ist die Klägerin der Ansicht, dass die Rundgänge unter dem Gesichtspunkt der Steuerneutralität diesen gleichzustellen seien.

Die niederländische Finanzbehörde war der Auffassung, dass der Normalsteuersatz anzuwenden sei und setzte dementsprechend eine höhere MwSt fest.

Entscheidung

Der EuGH hat die Frage, ob zwei Bestandteile einer einheitlichen Leistung, der Haupt- und der Nebenbestandteil, zu (für sich genommen) unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen unterliegen würden, verneint. Gerade aus der Einstufung eines aus mehreren Bestandteilen bestehenden Umsatzes als einheitliche Leistung leitet sich ab, dass dieser Umsatz ein und demselben Mehrwertsteuersatz unterliegen muss. Der EuGH verweist hier auf Urt. v. 17.01.2013, C 224/11, BGŻ Leasing, und Urt. v. 10.11.2016, C-432/15, Baštová. Würde den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, auf die einzelnen Bestandteile einer einheitlichen Leistung die verschiedenen für diese Bestandteile geltenden Mehrwertsteuersätze anzuwenden, führte dies zu einer künstlichen Aufspaltung der Leistung und könnte die Funktionalität des Mehrwertsteuersystems beeinträchtigen. Dies gilt nach dem vorliegenden Urteil auch für den Vorlagefall, dass es möglich ist, den Preis für jeden einzelnen Bestandteil einer einheitlichen Leistung zu bestimmen. Dass eine solche Bestimmung möglich ist oder dass die Vertragsparteien sich auf diese Preise einigen, kann eine Ausnahme von dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung nicht rechtfertigen.

Zu seinem Urteil v. 25.2.1999, C-349/99, CPP, hat der EuGH klargestellt, dass diese Entscheidung nicht dahin verstanden werden kann, dass die Anwendung eines eigenen Mehrwertsteuersatzes auf einen spezifischen und konkreten Bestandteil einer einheitlichen Leistung möglich ist. Auch aus Urt. v. 08.05.2003, C-384/01, Kommission/Frankreich, lässt sich, so der EuGH jetzt ausdrücklich, keine Schlussfolgerung zur Möglichkeit der Anwendung eines eigenen Mehrwertsteuersatzes auf separate Bestandteile einer einheitlichen Leistung ziehen. Gleiches gilt für Urt. v. 06.07.2006, C-251/05, Talacre Beach Caravan, und Urt. v. 06.05.2010, C-94/09, Kommission/Frankreich.

Praxishinweis

Bereits nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zur Einheitlichkeit der Leistung war grds. davon auszugehen, dass bei einem einheitlichen Umsatz auch nur ein Steuersatz zur Anwendung kommt. Allerdings hatte der EuGH in Urt. v. 06.07.2006, C-251/05, Talacre Beach Caravan Sales Ltd, mit Blick auf den Ausnahmecharakter von Art. 28 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie möglicherweise bereits die Aufteilbarkeit einer einheitlichen Lieferung nach Lieferelementen zum Nullsatz und solchen zum Normalsteuersatz bejaht. Auch in Urt. v. 06.05.2010, C-94/09 , Kommission/Frankreich, hatte der EuGH zum Begriff der Einheitlichkeit der Leistung ausgeführt, dass die Kriterien, die dabei zu beachten sind, wie etwa die Erwartung eines Durchschnittsverbrauchers, das Funktionieren des Mehrwertsteuersystems angesichts der Vielfalt gewerblicher Umsätze schützen sollen. Die Kriterien der Einheitlichkeit der Leistung könnten sich zwar im Einzelfall eignen, um u. a. zu verhindern, dass die vertragliche Gestaltung durch den Unternehmer und den Kunden zu einer künstlichen Aufspaltung eines Umsatzes, der wirtschaftlich betrachtet eine Einheit bildet, in mehrere steuerliche Umsätze führt. Die Kriterien seien jedoch nicht entscheidend für die Ausübung des Wertungsspielraums, den die bei der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes haben. Dieses Urteil konnte so verstanden werden, dass selbst bei einem einheitlichen Umsatz für einen Teilbereich die Steuerermäßigung in Betracht kommen kann. Entscheidend dabei ist, ob es sich bei diesem Teilbereich (in dem Verfahren ging es um die Beförderung eines Leichnams) um einen konkreten und spezifischen Bereich einer Kategorie von Leistungen i. S. v. Anhang III Nr. 16 MwStSystRL handelt.

Der EuGH hat jedoch die Bedeutung der vorgenannten Urteile relativiert und klargestellt, dass bei einer einheitlichen Leistung auch immer nur ein Steuersatz zur Anwendung kommen kann.

Das vorliegende Urteil ist auch bedeutsam für das deutsche Recht. Danach gilt bisher (insoweit nunmehr durch den EuGH bestätigt), dass für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes eine Aufspaltung in einzelne Lieferungs- oder Leistungsbestandteile nicht zulässig ist. Eine einheitliche Lieferung ist immer auch einheitlich zu beurteilen und es ist nicht zu untersuchen, ob im Rahmen dieser Lieferung einzelne Gegenstände dem allgemeinen und andere Gegenstände dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Bei einer einheitlichen Lieferung ist der Gegenstand der Hauptleistung zu bestimmen und zu untersuchen, ob dieser ggf. unter die Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 UStG fällt. Auf die Nebenleistungen (Nebenlieferungen) ist ebenfalls der ermäßigte Steuersatz anzuwenden, wenn die Hauptleistung in der Lieferung eines begünstigten Gegenstandes besteht. Gleiches gilt (mit Blick auf das vorliegende Urteil) für die Steuerermäßigungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 UStG.

Allerdings stellt die Klarheit des vorliegenden Urteils insbesondere die Regelung in Abschn. 12.16 Abs. 8 UStG infrage. Dort heißt es, dass nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG die Steuerermäßigung für Beherbergungsleistungen nicht für Leistungen gilt, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn es sich um Nebenleistungen zur Beherbergung handelt und diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind (Aufteilungsgebot). Der Grundsatz, dass eine (unselbstständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt, wird nach Auffassung der Verwaltung (und des BFH) von diesem Aufteilungsgebot verdrängt. Das in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG gesetzlich normierte Aufteilungsgebot für einheitliche Leistungen gehe den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistung vor (BFH, Urt. v. 24.04.2013, XI R 3/11, BStBl 2014 II S. 86). Ob dieses Aufteilungsgebot nach dem vorliegenden Urteil haltbar ist, erscheint zweifelhaft. Gleiches gilt für die Überlassung von Sportanlagen durch den Sportanlagenbetreiber an Endverbraucher, die eine einheitliche steuerpflichtige Leistung sein soll (vgl. BFH, Urt. v. 31.05.2001, V R 97/98, BStBl II S. 658). Überlässt ein Unternehmer eine gesamte Sportanlage einem anderen Unternehmer als Betreiber zur Überlassung an Dritte (sog. Zwischenvermietung), ist die Nutzungsüberlassung an diesen Betreiber nach Abschn. 4.12.11 Abs. 2 UStAE in eine steuerfreie Grundstücksüberlassung und eine steuerpflichtige Vermietung von Betriebsvorrichtungen aufzuteilen (vgl. BFH, Urt. v. 11.03. 2009, XI R 71/07, BStBl 2010 II S. 209). Auch dieses Aufteilungsgebot erscheint nunmehr zweifelhaft. Der EuGH hat sehr deutlich entschieden, dass bei Einheitlichkeit einer Leistung (ungeachtet ob es sich um eine Hauptleistung und eine/mehrere Nebenleistungen handelt oder um ein Bündel mehrerer Hauptleistungen, die in einer Leistung aufgehen) immer nur ein Steuersatz gelten kann. Das Aufteilungsgebot ist weiterhin nur dann haltbar, wenn die angesprochenen Nebenleistungen keine (echten) unselbstständigen Nebenleistungen sind, sondern, als Hauptleistungen, neben einer anderen Hauptleistung erbracht werden, die einem anderen Steuersatz unterliegt. Dies könnte jedenfalls für die Abgabe eines Frühstücks im Zusammenhang mit einer Beherbergungsleistung nach wie vor der Fall sein.

Die Auswirkungen dieses EuGH Urteils sind u. E. vielseitig und weitreichend. Welche bisherigen Verwaltungsauffassungen angepasst werden müssen, bleibt abzuwarten. Betroffenen ist eine kritische Analyse und Herangehensweise zu empfehlen. Das Team der AWB steht Ihnen dabei gern zur Seite.  

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