Einheitlichkeit der Leistung, Leistungsaustausch, tauschähnliche Umsätze mit werthaltigen Abfällen

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 10.01.2019, C-410/17, A Oy

Praxisproblem

Bei dem finnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c, Art. 14 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL bzw. um die Frage, ob und unter welchen Umständen Abbrucharbeiten und der anschließende Weiterverkauf eines Teils des Abbruchabfalls (z.B. Metallschrott als werthaltige Gegenstände) durch ein darauf spezialisiertes Unternehmen einen steuerbaren Umsatz im Sinne der MwStSystRL darstellen und wie die gegenseitigen Leistungen in diesem Zusammenhang zu beurteilen sind.

Sachverhalt

Im Streitfall erbrachte die Klägerin Abbrucharbeiten gegenüber einem Kunden. In dem Vertrag verpflichtete sie sich, die Gebäude einer alten Fabrik des Kunden abzureißen sowie die Aufgaben des Hauptunternehmers und des für die Baustellendienstleistungen und die Bauleitung verantwortlichen Unternehmers zu übernehmen. Nach den allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen gehörten zu den Pflichten der Klägerin auch der sachgemäße Abtransport und die sachgemäße Verwertung des abzutragenden Materials und des Abfalls. Ein Teil des Materials und der Abfälle fiel unter die in § 8d Abs. 2 des FIN-MwStG aufgeführten Gegenstände, bei deren Verkauf das Reverse-Charge-Verfahren anwendbar ist. Ein Teil der Gegenstände waren solche, die die Klägerin voraussichtlich an Unternehmen weiterverkaufen konnte, die Rücklaufschrott aufkaufen. Die Klägerin war bestrebt, die Menge dieser Gegenstände und den für sie voraussichtlich zu erzielenden Preis im Voraus zu schätzen und im Rahmen der Erstellung des Angebots für die Abbrucharbeiten bei der Festlegung des Preises zu berücksichtigen, damit der Preis des dem Kunden angebotenen Abbruchvertrags möglichst wettbewerbsfähig war. Der geschätzte Preis oder sonstige Wert wurde jedoch nicht mit dem Kunden des Abbruchauftrags verhandelt oder festgelegt, sondern dem Kunden wurde immer ein Gesamtpreis für die Abbrucharbeiten angeboten.

Die Klägerin hatte um verbindliche Auskunft gebeten, ob sie eine mehrwertsteuerpflichtige Dienstleistung erbringt, wenn sie an den Kunden Abbruchleistungen gemäß einem Abbruchvertrag erbringt, und ob daher die MwSt auf der Grundlage des für die Arbeiten vereinbarten Auftragspreises zu entrichten ist – unter der Annahme, dass sich aus der Situation des Kunden nicht ergibt, dass auf die Dienstleistung das Reverse-Charge-Verfahren nach § 8c FIN-MwStG anzuwenden ist. Weiter hatte die Klägerin gefragt, ob sie als Käufer gemäß § 8d FIN-MwStG die MwSt ausschließlich auf der Grundlage des vereinbarten Kaufpreises zu entrichten hat, wenn es sich um Metallschrott und Abfall handelt, die die Klägerin zur Demontage gekauft hat.

Die finnische Steuerbehörde stellte in ihrem Vorbescheid fest, dass die Klägerin eine Abbruchdienstleistung an den Kunden verkaufe und Metallschrott von ihm kaufe, wenn sie diesem gegenüber eine Abbruchdienstleistung erbringe und dafür als Gegenleistung Geld und den Abbruchabfall erhalte, von dem ein Teil Metallschrott im Sinne von § 8d FIN-MwStG sei.. Daher müsse die Klägerin auf die Dienstleistung, die sie an den Kunden erbracht habe, sowie auf den Metallschrott, den sie von diesem gekauft habe, MwSt entrichten (Reverse-Charge). Weiter stellte die Finanzbehörde fest, dass die Klägerin hinsichtlich des Metallschrotts oder –abfalls, den sie zur Demontage gekauft habe, eine Abbruchleistung an den Kunden erbringe und Metallschrott von diesem kaufe. Daher müsse sie auf die Dienstleistung, die sie an den Kunden erbracht habe, sowie auf den Metallschrott, den es von diesem gekauft habe, MwSt entrichten (Reverse-Charge).

Die Klägerin war der Auffassung, es könne nicht angenommen werden, dass der Kunde Schrott oder Abfall an sie verkaufe und dass als Einnahmen des Kunden aus diesem Verkauf die von der Klägerin möglicherweise später aus dem Verkauf dieses Schrotts oder Abfall erzielten Einnahmen oder die von der Klägerin hierzu vorgenommene interne Schätzung des Werts dieses Schrotts oder Abfalls anzusehen seien. Als Besteuerungsgrundlage der Abbruchdienstleistung sei daher nur die dafür vereinbarte Gegenleistung anzusehen. Eine Arbeitsleistung, die auf im Eigentum des Steuerpflichtigen stehende Gegenstände gerichtet sei, könne nicht als eine Dienstleistung an die andere Partei angesehen werden. Auch wenn angenommen werde, dass die fraglichen Abbruch- und Transportarbeiten eine Dienstleistung an den Kunden umfassten, könne es sich in keiner Hinsicht um eine eigenständige Dienstleistung der Klägerin an den Kunden handeln. Es handele sich um mit dem Kauf alter Maschinen oder Geräte eng verbundene und notwendige Handlungen, deren Behandlung als eigenständige Dienstleistung künstlich wäre und dem tatsächlichen Wesen des Sachverhalts widerspräche. Unter welchen Liefer- oder sonstigen Vertragsbedingungen der Verkauf alter Maschinen oder Geräte erfolge, spiele für die Beurteilung dieses Umstands keine Rolle. Der Preis der alten Maschinen und Geräte, die die Klägerin nach dem Vertrag über den „Kauf zur Demontage“ gekauft habe, sei die für diese vereinbarte Gegenleistung. Diese Gegenleistung sei auch der Wert, für den die Klägerin als Käufer Steuerschuldner sei, wenn die gekauften Waren unter die in § 8d Abs. 2 FIN-MwStG aufgezählten Gegenstände fielen.

Das Vorlagegericht wollte im Wesentlichen wissen:

  1. Ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen, dass Abbrucharbeiten nur einen Umsatz umfassen, wenn das Abbruchunternehmen nach den Bedingungen des Vertrags zwischen ihm und dem Besteller verpflichtet ist, den Abbruchabfall abzutransportieren, und – soweit der Abbruchabfall Metallschrott enthält – den Metallschrott an Unternehmen, die Rücklaufschrott aufkaufen, weiterverkaufen kann? Oder ist ein derartiger Vertrag über Abbrucharbeiten unter Berücksichtigung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen, dass er zwei Umsätze umfasst, nämlich zum einen die Dienstleistung des Abbruchunternehmens an den Besteller der Abbrucharbeiten und zum anderen den Kauf des weiterzuverkaufenden Metallschrotts durch das Abbruchunternehmen von dem Besteller der Abbrucharbeiten?
  2. Ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL in einem Fall, in dem ein Unternehmen mit dem Eigentümer eines Abbruchobjekts vereinbart, dass das Abbruchunternehmen das Abbruchobjekt kauft, und sich unter Vereinbarung einer Vertragsstrafe verpflichtet, das Objekt innerhalb eines im Vertrag festgelegten Zeitraums abzureißen und den Abbruchabfall abzutransportieren, dahin auszulegen, dass es sich um nur einen Umsatz handelt, der den Verkauf von Gegenständen durch den Eigentümer des Abbruchobjekts an das Abbruchunternehmen umfasst?
    Oder ist ein derartiger Vertrag unter Berücksichtigung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen, dass er zwei Umsätze umfasst, nämlich zum einen den Verkauf von Gegenständen durch den Eigentümer des Abbruchobjekts an das Abbruchunternehmen und zum anderen die von dem Abbruchunternehmen an den Verkäufer der Gegenstände erbrachte Abbruchdienstleistung?

Entscheidung

Zur ersten Frage hat der EuGH entschieden, dass zwei Umsätze vorliegen. Wenn ein Abbruchunternehmen vertraglich verpflichtet ist, Abbrucharbeiten durchzuführen, und, soweit der Abbruchabfall Metallschrott enthält, diesen weiterverkaufen darf, wird eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wird, nämlich die Abbrucharbeiten, und darüber hinaus eine Lieferung gegen Entgelt, nämlich die Lieferung des Metallschrotts. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass der Erwerber, d. h. das Abbruchunternehmen, dieser Lieferung einen Wert beimisst, den er bei der Festlegung des Preises, zu dem er die Abbrucharbeiten anbietet, berücksichtigt. Zudem unterliegt diese Lieferung nur dann der MwSt, wenn sie von einem Unternehmer als solchem erbracht wird. Die Bemessungsgrundlage der Abbruchleistung ist der von dem Kunden tatsächlich gezahlte Preis sowie der Wert, den das Abbruchunternehmen dem Rücklaufschrott beimisst, wie er in dem Betrag zum Ausdruck kommt, um den der in Rechnung gestellte Preis der Abbruchleistung herabgesetzt wird. Die Menge und der Wert des in dem Abbruchabfall möglicherweise enthaltenen Metallschrotts muss im Abbruchvertrag nicht vereinbart worden sein.

Zur zweiten Frage hat der EuGH ebenfalls entschieden, dass zwei Umsätze vorliegen. Ein Vertrag über den Kauf zur Demontage, wenn der Erwerber – ein Abbruchunternehmen – im Rahmen dieses Vertrags ein zu demontierendes Objekt kauft und sich bei Vertragsstrafe verpflichtet, dieses Objekt innerhalb einer in dem Vertrag festgelegten Frist zu demontieren und abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen, führt zur einer entgeltlichen Lieferung des zu demontierenden Gegenstands, die der MwSt nur unterliegt, wenn ein Unternehmer als solcher diese Lieferung tätigt. Soweit der Erwerber verpflichtet ist, diesen Gegenstand zu demontieren und abzutransportieren sowie den dabei anfallenden Abfall zu entsorgen, und damit spezifisch den Bedürfnissen des Verkäufers Rechnung trägt, umfasst dieser Vertrag darüber hinaus eine entgeltliche Dienstleistung, nämlich die Durchführung von Demontage- und Entsorgungsarbeiten, wenn der Erwerber diesen Arbeiten einen Wert beimisst, den er in dem von ihm angebotenen Preis als Faktor berücksichtigt, der den Kaufpreis des zu demontierenden Gegenstands mindert. Die Bemessungsgrundlage der Lieferung des Demontageobjekts entspricht dem für dieses Objekt tatsächlich gezahlten Kaufpreis und dem Betrag, der dem Faktor entspricht, um den der Erwerber den angebotenen Kaufpreis (aufgrund seiner Demontageleistung) herabsetzt. Die Kosten der Demontage- und Entsorgungsarbeiten müssen nicht zwischen den Parteien vereinbart werden und der Verkäufer muss den Betrag der Kosten der Demontageleistung, die bei der Festlegung des angebotenen Kaufpreises berücksichtigt werden, nicht kennen.

Praxishinweis

Das Urteil ist von Bedeutung für das deutsche Umsatzsteuerrecht. Es bestätigt die Regelung in Abschnitt 3.16 UStAE, der die Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle beschreibt. Abschnitt 3.16 Abs. 1 UStAE bestimmt: beauftragt ein Abfallerzeuger oder -besitzer einen Dritten mit der ordnungsgemäßen Entsorgung seines Abfalls, erbringt der Dritte mit der Übernahme und Erfüllung der Entsorgungspflicht eine sonstige Leistung im Sinne von § 3 Abs. 9 UStG, sofern der Entsorgung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Ist dem zur Entsorgung überlassenen Abfall ein wirtschaftlicher Wert beizumessen (sog. werthaltiger Abfall), liegt ein tauschähnlicher Umsatz (Entsorgungsleistung gegen Lieferung des Abfalls) ggf. mit Baraufgabe vor, wenn nach den übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragspartner

  • der überlassene Abfall die Höhe der Barvergütung für die Entsorgungsleistung oder
  • die übernommene Entsorgung die Barvergütung für die Lieferung des Abfalls

beeinflusst hat.

Nach Abschnitt 3.16 Abs. 7 UStAE ist  im Falle eines tauschähnlichen Umsatzes der Wert des hingegebenen Abfalls Bemessungsgrundlage für die erbrachte Entsorgungsleistung. Bemessungsgrundlage für die Lieferung des Abfalls ist der Wert der Gegenleistung (Entsorgungsleistung). Der EuGH sieht dies entsprechend.

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