Zeitpunkt der Steuerentstehung und Ermittlung der Bemessungsgrundlage bei Anzahlungen auf Reiseleistungen

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 19.12.2018, C-422/17, Skarpa Travel sp. z o.o.

Praxisproblem

Bei dem polnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung von Art. 65 MwStSystRL hinsichtlich des Zeitpunktes der Steuerentstehung bei Anzahlungen an einen Reiseveranstalter. Das Vorlagegericht stellte 2 Fragen und wollte wissen, ob die Steuerpflicht bei Anzahlungen, die ein Reiseveranstalter bei Reiseleistungen, für die die Steuersonderregelung für Reisebüros gemäß den Art. 306-310 MwStSystRL gilt, vereinnahmt hat, in dem in Art. 65 MwStSystRL bestimmten Zeitpunkt der Vereinnahmung entsteht. Fall dies zu bejahen sei, fragte das Gericht weiter, ob Art. 65 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass eine Anzahlung, die der Reiseveranstalter für Reiseleistungen vereinnahmt hat, für Zwecke der Besteuerung um die in Art. 308 MwStSystRL genannten Kosten für Reisevorleistungen, die dem Unternehmer bis zur Vereinnahmung der Anzahlung tatsächlich angefallen sind, verringert wird?

Sachverhalt

Die Klägerin, ein polnischer Reiseveranstalter beantragte eine Einzelauskunft zu der Frage, zu welchem Zeitpunkt sie die Entstehung der MwSt bei Anzahlungen feststellen solle, die sie für später zu erbringende Reiseleistungen vereinnahme. Sie meinte, dass sie im Zeitpunkt der Vereinnahmung von Anzahlungen für später zu erbringende touristische Dienstleistungen keine Steuerpflicht nach den allgemeinen Regelungen gemäß Art. 19a Abs. 8 PL-MwStG festzustellen und die dafür geschuldete Steuer erst nach der Erbringung der jeweiligen Reiseleistung abzuführen habe, also zu dem Zeitpunkt, zu dem die Marge zwischen den Kosten für Reisevorleistungen und den von ihr für die Reiseleistungen vereinnahmten Beträge, die die Bemessungsgrundlage der Reiseleistungen darstelle, ermittelt werden könne.

Die polnische Finanzbehörde war der Auffassung, die Tatsache, dass ein Reisender die Anzahlung für eine konkrete und genau bestimmte Dienstleistung (Reise, Termin, Preis, Bedingungen usw.) tätige, spreche für die Richtigkeit der Besteuerung der Anzahlung für die Reiseleistung. Die Klägerin habe deshalb die MwSt anhand der vor der Erbringung der Reiseleistung vereinnahmten Anzahlung zu berechnen, wobei zu berücksichtigen sei, dass die Marge die Steuerbemessungsgrundlage darstelle. Die Klägerin könne anstatt der Berechnung der Marge, bei der alle tatsächlich getragenen Kosten berücksichtigt würden, die aufgrund der voraussichtlichen Kosten berechnete Marge zugrunde legen, die sie bei der Bestimmung des Preises der jeweiligen Reise kalkuliert habe. Wenn dann bezüglich der konkreten Reise die für den Erwerb von Reisevorleistungen tatsächlich getragenen Kosten bekannt würden und der unter Berücksichtigung dieser Kosten errechnete Betrag der Marge von der vorher kalkulierten Marge abweiche, dann habe die Klägerin in ihrer Steuererklärung für den Voranmeldungszeitraum, in dem die Reiseleistung erbracht worden sei, eine Berichtigung vorzunehmen.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass mit Ausnahme der Bestimmungen über den Ort der Dienstleistung, die Bemessungsgrundlage und des Vorsteuerabzug alle allgemeine Bestimmungen Mehrwertsteuersystems auf Umsätze angewandt werden, die unter die Sonderregelung für Reiseleistungen fallen. Demzufolge bleiben die Bestimmungen zum Steuertatbestand und zur Entstehung der Steuer auf Lieferungen und Dienstleistungen, die sich u. a. in den Art. 63 und 65 MwStSstRL finden, auch für die Margenbesteuerung bei Reiseleistungen anwendbar. Nach Art. 65 MwStSystRL entsteht der Steueranspruch bei Anzahlungen, die vor Bewirken eines Umsatzes geleistet werden, zum Zeitpunkt der Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag. Diese Vorschrift muss, da sie von der Art. 63 MwStSystRL abweicht, eng ausgelegt werden. Die Entstehung des Steueranspruchs bei Anzahlungen setzt daher voraus, dass alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestands, im vorliegenden Fall der künftigen Reiseleistung, bereits bekannt sind. Die Reiseleistung muss somit insbesondere zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sein. Da im vorliegenden Fall nach den Ausführungen des Vorlagegerichts die Anzahlung zum Zeitpunkt ihrer Vereinnahmung durch den Reiseveranstalter einer entsprechenden Reiseleistung zugeordnet werden konnte, entsteht, so der EuGH der Steueranspruch nach Art. 65 MwStSystRL zum Zeitpunkt der Vereinnahmung der Anzahlung.

Zur Frage der Bemessungsgrundlage bei der Versteuerung der Anzahlung hat der EuGH entschieden, dass die Marge des Reiseveranstalters aufgrund einer Schätzung der tatsächlichen Gesamtkosten bestimmt werden kann, die ihm letztlich entstehen. Bei dieser Schätzung hat der Reiseveranstalter gegebenenfalls die Kosten zu berücksichtigen, die ihm zum Zeitpunkt der Vereinnahmung der Anzahlung bereits tatsächlich entstanden sind. Zieht man, so der EuGH, die geschätzten tatsächlichen Gesamtkosten vom Gesamtpreis der Reise ab, ergibt sich die voraussichtliche Gewinnmarge des Reisebüros. Multipliziert man die Anzahlung mit dem Prozentsatz, der vom Gesamtpreis der Reise auf die voraussichtliche Gewinnmarge entfällt, ergibt sich die Bemessungsgrundlage der bei Vereinnahmung der Anzahlung entstehenden MwSt. Die geschätzten voraussichtlichen Kosten müssen mit der konkreten touristischen Dienstleistung in Zusammenhang stehen, für die die Anzahlung vereinnahmt wird, da die Gewinnmarge und die Bemessungsgrundlage für jede vom Reisebüro erbrachte einheitliche Dienstleistung zu bestimmen sind, d. h. in individueller Form und nicht pauschal für Gruppen von Dienstleistungen oder eine Gesamtheit von Dienstleistungen, die während eines bestimmten Zeitraums erbracht werden. Insoweit wiederholt der EuGH die Grundsätze seines Urteils v. 8.2.2018, C-380/16, Kommission/Deutschland.

Praxishinweis

Das Urteil hat auch Bedeutung für das deutsche Umsatzsteuerrecht. Nach Abschnitt 25.1 Abs. 13 UStAE gilt § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Satz 4 UStG auch für die Besteuerung von Anzahlungen auf Reiseleistungen. Wird die geschuldete Reiseleistung für eine Anzahlung nicht erbracht, setzt die Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Rückzahlung des Entgelts voraus, z.B. bei der Anzahlung auf nicht in Anspruch genommene Flüge (vgl. BFH-Urteil v. 15. 9. 2011, V R 36/09, BStBl II 2012, 365). Wenn gemischte Reiseleistungen aufzuteilen sind und wenn für die unter § 25 UStG fallenden Reiseleistungen die Margenermittlung nach § 25 Abs. 3 UStG durchgeführt wird, wird aus Vereinfachungsgründen zugelassen, dass für solche Reiseleistungen vereinnahmte Anzahlungen nur mit einem sachgerecht geschätzten Anteil der Besteuerung unterworfen werden. Bei der Schätzung kann berücksichtigt werden, dass Anzahlungen auf steuerfreie Eigenleistungen nicht zu besteuern und Anzahlungen auf steuerpflichtige Eigenleistungen (z.B. inländische Streckenanteile von Beförderungsleistungen) – ggf. nur anteilig – zu besteuern sind. Anzahlungen für steuerpflichtige Reiseleistungen, für die die Bemessungsgrundlage nach § 25 Abs. 3 Satz 3 UStG zu ermitteln ist, können mit einem Anteil angesetzt werden, der der steuerpflichtigen Marge des Vorjahres entspricht. Diese Regelungen dürfte dem EuGH-Urteil entsprechen mit Ausnahme dessen, dass Gruppen- oder Gesamtmargenbildungen und somit auch entsprechende Schätzungen bei Anzahlungen nach der EuGH-Rechtsprechung unzulässig sind. Insoweit steht eine entsprechende Änderung von § 25 UStG immer noch aus.

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