BFH zum Vorsteuerabzug und zur Berichtigung bei Anzahlungen

Anmerkung zu: BFH, Beschl. v. 21.09.2016, V R 29/15 und v. 21.09.2016, XI R 44/14

Praxisproblem

Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt wurden, als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG). Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt (Anzahlung), ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG). Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 UStG). Ebenfalls ist der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt wurde, zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 UStG). Die Berichtigungen sind für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist (§ 17 Abs. 1 Satz 7 UStG). Dies gilt nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG sinngemäß, wenn für eine vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch nicht ausgeführt worden ist.

Sachverhalt

In den Revisionsverfahren V R 29/15 und XI R 44/14 geht es um die Berechtigung des Vorsteuerabzugs bzw. um eine etwaige Berichtigung des Vorsteuerabzugs aus Anzahlungen auf Leistungen, die später nicht erbracht wurden.

In der Sache V R 29/15 geht es um den Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung für ein nicht geliefertes Blockheizkraftwerk. Der Kläger bestellte am 10.04.2010 bei einer G-GmbH die Lieferung eines Blockheizkraftwerks. Die G-GmbH bestätigte den Auftrag am 12.04.2010 und erteilte für den Liefergegenstand eine Vorausrechnung über 30.000 € mit einem gesonderten Steuerausweis über 5.700 €. Der Kläger meldete zeitgleich ein Gewerbe zur Erzeugung erneuerbarer Energien an und entrichtete die geforderte Anzahlung an die G-GmbH am 19.04.2010. Der Kläger beabsichtigte zunächst einen Eigenbetrieb der Anlage durch entgeltliche Stromlieferungen. Die Lieferung der Anlage unterblieb. Über das Vermögen der G-GmbH wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und mangels Masse eingestellt. Die für die G-GmbH handelnden Personen wurden wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in 88 Fällen und wegen vorsätzlichen Bankrotts zu Lasten der Käufer der Blockheizkraftwerke, nicht aber wegen Steuerhinterziehung, strafrechtlich verurteilt. Der Kläger machte für das Streitjahr 2010 den Vorsteuerabzug aus seiner Anzahlung geltend. Das FA erließ eine Nullfestsetzung, gegen die der Kläger erfolglos Einspruch einlegte. Im Klageverfahren ging das FG davon aus, dass der Kläger aus der Anzahlung zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Er habe beabsichtigt, unternehmerisch tätig zu werden. Eine ordnungsgemäße Anzahlungsrechnung liege vor. Die Absicht der G-GmbH, die Kunden – wie den Kläger – zu betrügen, stehe dem Vorsteuerabzug nicht entgegen. Nach dem EuGH-Urt. Firin vom 13.03.2014, C-107/13 liege kein unberechtigter Steuerausweis i.S.v. § 14c Abs. 2 UStG vor.

Der V. Senat des BFH ist sich unionsrechtlich nicht sicher, ob die weiteren Umstände, unter denen der Kläger die Anzahlung geleistet hat, aus Gründen des Unionsrechts dem Vorsteuerabzug entgegenstehen oder ggf. eine Berichtigungspflicht begründen. Die Steuerentstehung gem. Art. 65 MwStSystRL – und damit auch der sich hieraus ergebende Vorsteuerabzug gem. Art. 167 MwStSystRL – setzt nach dem EuGH-Urteil Firin voraus, dass der Eintritt des Steuertatbestandes – und damit das Bewirken einer Lieferung – nicht unsicher ist, was nach Auffassung des EuGH bei einem „betrügerischen Verhalten“ gegeben sein könne. Die Generalanwältin führte in dem EuGH-Verfahren Firin dabei für das Erfordernis einer bei der Anzahlung nicht unsicheren Leistungsbewirkung insbesondere an, dass Art. 65 MwStSystRL nicht anzuwenden sei, wenn der Käufer den Vertrag, der der zu erbringenden Leistung zugrunde liegt, jederzeit kündigen könne. Darüber hinaus stellt der EuGH in seinem Urteil Firin im Zusammenhang mit einem steuerbetrügerischen Verhalten darauf ab, ob der Anzahlende den Steuerbetrug des Leistenden kennt oder kennen musste.


In der Sache XI R 44/14 geht es ebenfalls um den Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung für ein nicht geliefertes Blockheizkraftwerk. Zur Lieferung, Verpachtung und zum Betrieb des Blockheizkraftwerks kam es – wie auch in den beim BFH anhängigen weiteren Revisionsverfahren XI R 8/14, XI R 10/16 und V R 27/15 betreffenden und allen übrigen (zahlreichen) Fällen – nicht.

Entscheidung

In der Sache V R 29/15 legt der BFH dem EuGH mit Beschluss v. 21.9.2016 die Frage vor, ob die Anforderungen an die Sicherheit einer Leistungserbringung als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung i.S.d. EuGH-Urteils Firin (C-107/13) rein objektiv oder aus Sicht des Anzahlenden nach den für ihn erkennbaren Umständen zu bestimmen sind. Diese Frage ergibt sich dadurch, dass dem Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung nach dem EuGH-Urteil ggf. bereits entgegensteht, dass die spätere Leistungserbringung unsicher ist. Die Vorsteuer aus einer Anzahlung wäre dann nur abziehbar, wenn die spätere Leistungserbringung im Zeitpunkt der Anzahlung „sicher“ ist. Dabei stellt sich für den BFH die Frage, ob die Anforderungen an die Sicherheit einer Leistungserbringung als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung rein objektiv oder aus Sicht des Anzahlenden nach den für ihn erkennbaren Umständen zu bestimmen sind. Insoweit gibt der BFH zu bedenken, ob eine rein objektive Betrachtung unabhängig von der Sichtweise und den Erkenntnismöglichkeiten des Anzahlenden den Geschäftsverkehr unzumutbar belastet. Denn der Anzahlende werde eine Geldzahlung an den Anzahlungsempfänger – abgesehen von dem hier nicht vorliegenden, aber ggf. in der Rechtssache Firin gegebenen einvernehmlichen Betrug – nur dann leisten, wenn er auch von der späteren Leistungserbringung ausgeht. Dies könne es ggf. rechtfertigen, in Bezug auf die Sicherheit der späteren Leistungserbringung auf die dem Anzahlenden bekannten oder zumindest erkennbaren Umstände abzustellen. Eine Beurteilung auf der Grundlage objektiver Umstände, die für den Anzahlenden – wie im Streitfall die Betrugsabsicht der G-GmbH – nicht erkennbar waren, käme dann nicht in Betracht.

Weiter will der BFH wissen, ob die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der zeitgleichen Entstehung des Steueranspruchs und des Rechts auf Vorsteuerabzug gem. Art. 167 MwStSystRL und der ihnen nach Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 2 und nach Art. 186 MwStSystRL zustehenden Regelungsbefugnisse berechtigt sind, die Berichtigung von Steuer und Vorsteuerabzug gleichermaßen von einer Rückzahlung der Anzahlung abhängig zu machen. Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BFH setzt die Vorsteuerberichtigung aus einer Anzahlung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 1 Satz 2 UStG eine Rückzahlung der Anzahlung voraus. Der BFH habe dies bisher daraus abgeleitet, dass die Änderung der Bemessungsgrundlage gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG bei einem bereits vereinnahmten Entgelt nicht bereits aufgrund einer geänderten Entgeltvereinbarung, sondern erst aufgrund einer Entgeltrückgewähr vorliegt. In seinem Urteil Firin hat der EuGH die Berichtigung des Steueranspruchs beim Anzahlungsempfänger erst mit Rückzahlung bejaht. Demgegenüber soll der Anzahlende den Vorsteuerabzug bereits aufgrund des Ausbleibens der Leistung ohne Rückzahlung berichtigen. Der BFH meint in diesem Zusammenhang aber, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, einen Gleichklang zwischen Steuer- und Vorsteuerabzugsberichtigung herzustellen. Denn in Bezug auf die vollständige Zahlung, die zur Steuerberichtigung nach Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL führt, könnten die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL eine Berichtigung verlangen. So ist es im nationalen Recht, das für diesen Fall als sog. Uneinbringlichkeit i.S.v. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG eine bedingungsgleiche Berichtigung von Steueranspruch und Vorsteuerabzug anordnet. Wäre der Kläger zu einer Berichtigung seines Vorsteuerabzugs unabhängig von einer Rückzahlung verpflichtet, träte eine dauerhafte Bereicherung des Fiskus ein. Der Fiskus behielte den mangels Rückzahlung nicht zu berichtigenden Steueranspruch gegen die G-GmbH, von der im Streitfall davon auszugehen ist, dass sie ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen ist. Zugleich wäre der Fiskus befugt, den Vorsteuerabzugsbetrag vom Kläger zurückzufordern. Dieses Ergebnis kann nach Auffassung des BFH gegen Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL und den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen. Denn spiegelt sich der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer in der Regelung über den Vorsteuerabzug wider, könnte dies auch bei der Berichtigung des Vorsteuerabzugs zu beachten sein, da die Berichtigung die Genauigkeit des Vorsteuerabzugs erhöhen soll.

Schließlich möchte der BFH noch geklärt haben, ob das für den Anzahlenden zuständige FA dem Anzahlenden die Umsatzsteuer erstatten muss, wenn er vom Anzahlungsempfänger die Anzahlung nicht zurückerhalten kann. Falls ja, fragt der BFH, ob dies im Festsetzungsverfahren erfolgen muss oder ob hierfür ein gesondertes Billigkeitsverfahren ausreicht. Bei der Entscheidung über das Bestehen einer Berichtigungspflicht könne auch zu berücksichtigen sein, dass der Anzahlende – abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall eines einvernehmlich betrügerischen Verhaltens –immer versuchen werde, seinen Rückforderungsanspruch gegen den Anzahlungsempfänger durchzusetzen. Wäre daher eine Berichtigungspflicht unabhängig von einer Rückzahlung zu bejahen und kann der Anzahlende seinen Rückforderungsanspruch wie im Streitfall aufgrund einer Insolvenz des Anzahlungsempfängers nicht durchsetzen, müsse die Befolgung der Grundsätze des EuGH-Urteils Reemtsma (EuGH, Urt. v. 15.03.2007, C-35/05) dazu führen, dass das FA als erstattungsverpflichtet angesehen wird.

In der Sache XI R 44/14 stellt der BFH dem EuGH ähnliche Fragen wie in der Sache V R 29/15. Der BFH begehrt zu wissen, ob das EuGH-Urteil Firin dahingehend zu verstehen ist, dass nach dem Unionsrecht eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs, den der Anzahlende aus seiner auf eine Lieferung von Gegenständen ausgestellten Anzahlungsrechnung vorgenommen hat, nicht die Rückzahlung der geleisteten Anzahlung voraussetzt, wenn diese Lieferung letztlich nicht bewirkt wird. Falls diese Frage zu bejahen ist, möchte der BFH wissen, ob Art. 186 MwStSystRL, der es den Mitgliedstaaten gestattet, die Einzelheiten der Berichtigung nach Art. 185 MwStSystRL festzulegen, Deutschland dazu ermächtigt, in seinem nationalen Recht anzuordnen, dass es erst mit der Rückgewähr der Anzahlung zur Minderung der Bemessungsgrundlage für die Steuer kommt, und dementsprechend Umsatzsteuerschuld und Vorsteuerabzug zeit- sowie bedingungsgleich zu berichtigen sind.

Der V. Senat des BFH hatte auf Anfrage des XI. BFH-Senats mitgeteilt, dass er einer Abweichung von seinem Urteil v. 29.01.2015, V R 51/13, wonach es für die Beurteilung der Frage, ob der Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung ausscheidet, weil der Eintritt des Steuertatbestands im Zeitpunkt der Anzahlung unsicher ist, auf die objektivierte Sicht des Anzahlenden ankommt, nicht zustimmt und er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält (vgl. BFH, Urt. v. 02.09.2010, V R 34/09 und v. 15.09.2011, V R 36/09).

Praxishinweis

Geht es um die (authentische) Interpretation einer – von zwei Senaten des BFH unterschiedlich verstandenen – Rechtsprechung des EuGH, kann ein Vorrang der Anrufung des EuGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV gegenüber einer ebenfalls in Betracht kommenden Anrufung des Großen Senats des BFH gem. § 11 Abs. 2 und 3 FGO bestehen. In den Streitfällen besteht zwischen dem V. und dem XI. Senat eine unterschiedliche Auffassung, was die Vorsteuerabzugsberechtigung aus einer Anzahlung auf eine Leistung betrifft, die später nicht erbracht wird. Der XI. Senat beabsichtigt, den streitigen Vorsteuerabzug aus der Vorauszahlung für das Blockheizkraftwerk zu versagen. Er meint, dass die künftige Lieferung des Blockheizkraftwerks zum Zeitpunkt der Zahlung unsicher war. Dies treffe auf den Streitfall bei objektiver Betrachtung zu. Denn nach den vom FG festgestellten objektiven Umständen hatte die G-GmbH von vornherein nicht die Absicht, das vom Kläger bestellte Blockheizkraftwerk zu liefern. Der XI. Senat hält es für unionsrechtlich klärungsbedürftig, ob – wie nach seiner Auffassung – das Merkmal der Unsicherheit des Eintritts des Steuertatbestands objektiv zu verstehen oder – was der Auffassung des V. Senats entspricht – aus der „objektivierten“ Sicht des Anzahlenden zu beurteilen ist.

Die Entscheidung des EuGH kann mit Spannung erwartet werden. In seinem Urteil Firin, das hier eine große Rolle spielt, ging es u.a. um die Berichtigung des Vorsteuerabzugs aus einer Vorauszahlung wegen fehlender Erbringung der vorausbezahlten Leistung. Die Klägerin war eine Gesellschaft, die auf dem Gebiet der Herstellung von und des Handels mit Brot und Konditorware tätig war. Mit einer verbundenen Gesellschaft hatte sie einen Kaufvertrag über die Lieferung von Weizen geschlossen und machte aus dem im Voraus bezahlten Preis den Vorsteuerabzug geltend. Die Lieferantin entrichtete die auf die Vorauszahlung entrichtete Mehrwertsteuer nicht. Eine Lieferung erfolgte nicht; vielmehr wurde die Lieferantin von Amts wegen abgemeldet. Es erfolgte weder eine Auflösung des Liefervertrages, noch wurde der Vorauszahlungsbetrag mittels einer Gutschrift storniert. Die Steuerbehörden stellten allerdings fest, dass die geleistete Vorauszahlung über einen vermeintlichen Darlehensvertrag und eine zusätzliche Kapitalanlage über verbundene Unternehmen an die Klägerin zurückgeflossen war. Die Steuerbehörden versagten der Klägerin den Vorsteuerabzug wegen fehlender Leistungserbringung. Auch handele es sich bei dem Liefervertrag um einen Scheinvertrag und die Klägerin habe gewusst, dass die Mehrwertsteuer unbezahlt bleiben werde. Vor diesem Hintergrund fragte das vorlegende Gericht, ob der Vorsteuerabzug aus einer geleisteten Vorauszahlung in Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens wegen fehlender Leistungserbringung zum Zeitpunkt seiner Ausübung versagt werden kann und ob es hierfür von Bedeutung ist, dass eine Rechnungsberichtigung erfolgt.

Zur Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug bei einer Anzahlung verweist der EuGH in seinem Urteil zunächst auf seine Rechtsprechung zur Steuerentstehung bei Anzahlungen (Art. 65 MwStSystRL). Danach handelt es sich um eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen ist. Alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestandes – insbesondere die Gegenstände oder Dienstleistungen – müssen zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sein. Der Eintritt des Steuertatbestandes sei zum Zeitpunkt der Anzahlung jedoch unsicher und Art. 65 MwStSystRL damit nicht anwendbar, wenn ein betrügerisches Verhalten vorliegt. Hier verweist der EuGH auf seine Rechtsprechung zur Versagung des Vorsteuerabzugs bei Beteiligung an einem Mehrwertsteuerbetrug und die Prüfungszuständigkeit des vorlegenden Gerichts. Die grundsätzliche Frage, ob der Vorsteuerabzug aus Anzahlungen gem. Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL zu berichtigen ist, wenn die Leistung letztlich nicht bewirkt wird, bejaht der EuGH. Dies gelte auch dann, wenn der Lieferer zur Entrichtung der Mehrwertsteuer verpflichtet bleiben sollte und die Anzahlung nicht zurückgezahlt haben sollte.

Nach dem Urteil gebietet die MwStSystRL keine Gleichbehandlung der beteiligten Wirtschaftsteilnehmer. Zum einen schuldet der Aussteller einer Rechnung die darin ausgewiesene Mehrwertsteuer gem. Art. 203 MwStSystRL auch dann, wenn kein steuerpflichtiger Umsatz vorliegt. Zum anderen ist die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nach Art. 63 i.V.m. Art. 167 MwStSystRL auf die Steuern beschränkt, die auf einen steuerpflichtigen Umsatz entfallen. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität werde durch die von den Mitgliedstaaten vorzusehende Möglichkeit der Rechnungsberichtigung gewahrt. Hinsichtlich der Anzahlungsbesteuerung beim (potentiellen) Leistungserbringer verweist der EuGH darauf, dass die Bemessungsgrundlage nicht nach Art. 65 i.V.m. 90 und 193 MwStSystRL gemindert werden kann, solange die Anzahlung nicht zurückgezahlt worden ist. Die fehlende Berichtigung der geschuldeten Mehrwertsteuer stellt das Recht der Steuerverwaltung auf Rückforderung des Vorsteuerabzugs indes nicht in Frage.

Damit legt der EuGH fest, dass die Berichtigung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 MwStSystRL und die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach den Art. 184–186 MwStSystRL unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen. Die bisherigen Grundsätze zum Vorsteuerabzug aus einer Vorauszahlung bei Nichterbringung der Leistung ergeben sich aus den Regelungen der MwStSystRL und der EuGH-Rechtsprechung:

Das Vorsteuerabzugsrecht aus Vorauszahlungen (Art. 168 Buchst. a MwStSystRL) entsteht (vorbehaltlich der übrigen Abzugsvoraussetzungen) in dem Zeitpunkt, in dem die Mehrwertsteuer auf die Vorauszahlung entsteht (Art. 167 MwStSystRL), also bei Vereinnahmung der Vorauszahlung (Art. 65 MwStSystRL). Der Vorsteuerabzug ist gemäß Art. 184, 185 MwStSystRL zu berichtigen, wenn feststeht, dass die Leistung nicht mehr erfolgt. Dies folgt aus der EuGH-Rechtsprechung, wonach die Leistungserbringung, nicht aber die Entgeltentrichtung der Besteuerung unterliegt, und die Anzahlungsbesteuerung (sowie der damit korrespondierende Vorsteuerabzug) eine eng auszulegende Ausnahmeregel darstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 21.02.2006, C-419/02, BUPA, Rz. 45, 50).

Die Berichtigung einer Anzahlungsversteuerung nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG setzt nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH, Urt. v. 02.09.2010, V R 34/09 und v. 15.09.2011, V R 36/09) die Rückgewähr des Entgelts voraus, vgl. auch A 17.1 Abs. 7 UStAE). Gegenüber der Systematik der MwStSystRL dürfte dies nach der Systematik des § 17 UStG auch für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs aus einer Anzahlung gelten. Diese Systematik, wonach die Berichtigung des Vorsteuerabzugs an die Berichtigung der Bemessungsgrundlage beim Leistungserbringer anknüpft, entspricht nach dem Urteil des EuGH in der Sache Firin nicht den Vorgaben der MwStSystRL. Danach ist die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei fehlender Leistungserbringung auch dann vorzunehmen, wenn keine Rückzahlung der Anzahlung erfolgt. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH an dieser Auffassung festhält.

Ihre Ansprechpartner