BFH zur Organschaft in der Insolvenz

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 24.08.2016, V R 36/15

Praxisproblem

Im Rahmen des umsatzsteuerlichen Instituts der Organschaft kann fraglich sein, ob der Grundsatz von Treu und Glauben wie auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes einer Forderungsanmeldung von Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren einer GmbH entgegenstehen, wenn die GmbH bei einer zunächst unzutreffend bejahten Organschaft, bei der sie rechtsfehlerhaft als Organgesellschaft angesehen wurde, die tatsächlich von ihr als Steuerschuldner geschuldete Umsatzsteuer von dem vermeintlichen Organträger vereinnahmt hat.

Sachverhalt

Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen am 29.06.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Bereits am 08.04.2009 war der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 InsO bestellt worden. Gesellschafter der GmbH waren natürliche Personen und eine GbR, die zugleich auch alleinige Gesellschafter einer KG waren. Die KG hatte Vermögensgegenstände an die GmbH für deren unternehmerische Tätigkeit verpachtet. Bis zum Jahresende 2008 gingen die GmbH, die KG und das FA davon aus, dass die KG gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 des UStG Organträger ihrer Schwestergesellschaft, der GmbH, als Organgesellschaft war. Im Zusammenhang mit der Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung März 2009 im Mai 2009 machte die KG geltend, dass es für eine Organschaft an der organisatorischen Eingliederung fehle. Das FA meldete für 2009 Umsatzsteuerforderungen zur Insolvenztabelle an. Einspruch und Klage zum FG hatten im Wesentlichen keinen Erfolg.

Entscheidung

Der BFH hält an seiner Rechtsprechung fest, nach der zwischen Schwestergesellschaften auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts keine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestehe.

Weiter bestätigt der BFH, die Organschaft entfalle spätestens mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die Organgesellschaft. Unabhängig von der Frage einer finanziellen Eingliederung und dem Streit, ob zwischen der GmbH und KG überhaupt in der Vergangenheit eine organisatorische Eingliederung bestanden hat, ist im Ausgangsfall die Organschaft, selbst wenn sie entgegen der BFH-Rechtsprechung zu einem früheren Zeitpunkt bestanden hätte, spätestens mit der Bestellung des Klägers zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die GmbH als (angebliche) Organgesellschaft entfallen.

Weiter hat der BFH entschieden, dass der Grundsatz von Treu und Glauben als auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes einer Forderungsanmeldung von Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren einer GmbH nicht entgegenstehen, wenn die GmbH bei einer zunächst unzutreffend bejahten Organschaft, bei der sie rechtsfehlerhaft als Organgesellschaft angesehen wurde, die tatsächlich von ihr als Steuerschuldner geschuldete Umsatzsteuer von dem vermeintlichen Organträger vereinnahmt hat. Hat das FA im Streitfall die Umsatzsteuer an die KG als vermeintlichen Organträger der GmbH erstattet und die GmbH von der KG die Auszahlung dieser Umsatzsteuer erlangt, ist das FA durch Treu und Glauben nicht gehindert, diese Umsatzsteuer gegen die GmbH als Steuerschuldner im Insolvenzverfahren der GmbH geltend zu machen. Auch Vertrauensschutzgesichtspunkte können bei dieser Sachlage im Hinblick auf die rechtsfehlerhafte Bejahung einer Organschaft gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG durch die an der Organschaft Beteiligten nicht geltend gemacht werden und stehen daher einer Korrektur dieser Fehlbeurteilung für die Vergangenheit nicht entgegen.

Praxishinweis

Der BFH hat bestätigt, dass zwischen Schwestergesellschaften keine Organschaft entstehen kann. Eine finanzielle Eingliederung setzt eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft voraus. Es ist ausreichend, wenn die finanzielle Eingliederung mittelbar über eine unternehmerisch oder nichtunternehmerisch tätige Tochtergesellschaft des Organträgers erfolgt. Eine nichtunternehmerisch tätige Tochtergesellschaft wird dadurch jedoch nicht Bestandteil des Organkreises. Ist eine Kapital- oder Personengesellschaft nicht selbst an der Organgesellschaft beteiligt, reicht es für die finanzielle Eingliederung nicht aus, dass nur ein oder mehrere Gesellschafter auch mit Stimmenmehrheit an der Organgesellschaft beteiligt sind (vgl. insbesondere BFH, Urt. v. 01.12.2010, XI R 43/08, BStBl. II 2011, 600). In diesem Fall ist keine der beiden Gesellschaften in das Gefüge des anderen Unternehmens eingeordnet, sondern es handelt sich vielmehr um gleich geordnete Schwestergesellschaften. Dies gilt auch dann, wenn die Beteiligung eines Gesellschafters an einer Kapitalgesellschaft ertragsteuerlich zu dessen Sonderbetriebsvermögen bei einer Personengesellschaft gehört. Das Fehlen einer eigenen unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung der Gesellschaft kann nicht durch einen Beherrschungsvertrag und Gewinnabführungsvertrag ersetzt werden (vgl. BFH, Urt. v. 01.12.2010, XI R 43/08).

Auch eine potentielle Beendigung der Organschaft bei Bestellung eines Insolvenzverwalters hat der BFH bestätigt. Wird im Rahmen der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen über das Vermögen der Organgesellschaft ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, endet die Organschaft mit dessen Bestellung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft nicht mehr durchsetzen kann. Dies ist der Fall, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter den maßgeblichen Einfluss auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist (vgl. BFH, Urt. v. 13.03.1997, V R 96/96, BStBl. II 1997, 580, für den Sequester nach der KO, und v. 24.08.2011, V R 53/09, BStBl. II 2012, 256) oder wenn der vorläufige Insolvenzverwalter wirksame rechtsgeschäftliche Verfügungen des Schuldners aufgrund eines Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO verhindern kann (vgl. BFH, Urt. v. 08.08.2013, V R 18/13).

Die Umsatzsteuer wird mit dieser Entscheidung für die Fälle der Insolvenz bei bestehender Organschaftsstrukturen noch mehr an Bedeutung gewinnen. Zugleich sind auch für „normale“ Organschaftsstrukturen wichtige Erkenntnisse zu erlangen. Unternehmen müssen – auch im Hinblick auf die sich abzeichnende Änderung der Verwaltungsauffassung zur Organschaft – die Entwicklungen stetig beobachten. Ein Organschafts-Quick-Check wäre hierzu eine gute Gelegenheit.

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