BFH zur Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Ausstellung

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 20.10.2016, V R 26/15

Praxisproblem

Voraussetzung für den Vorsteuerabzug nach dem bisherigen nationalen Recht (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG) ist u.a., dass der Leistungsempfänger im Besitz einer nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellten Rechnung ist. Der EuGH hat mit Urteil vom 15.09.2016 (EuGH, Urt. v. 15.09.2016, C-518/14, Senatex) entschieden, dass der Berichtigung einer unvollständigen Rechnung – entgegen der deutschen Rechtslage – Rückwirkung zukommt. Der Besitz einer Rechnung i.S.d. Art. 226 MwStSystRL stellt eine (lediglich) formelle Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug dar. Die Festsetzung von Zinsen infolge einer Geltendmachung des Vorsteuerabzugs aus einer fehlerhaften Rechnung, die später zwar berichtigt werden kann, während diese Berichtigung nach nationalem Recht aber nicht auf den Voranmeldungszeitraum der ursprünglichen Rechnungsausstellung zurückwirkt, führt nach dem EuGH-Urteil zu einer steuerlichen Belastung, obwohl das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität der Mehrwertsteuer garantiere. Die Festsetzung der Zinsen stelle auch keine angemessene Sanktionsmaßnahme wegen Nichterfüllung der formellen Vorsteuerabzugsvoraussetzungen dar, da hierbei nicht die Umstände berücksichtigt würden, die eine Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung erforderlich machen. Das Urteil „Senatex“ steht in engem Zusammenhang mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-516/14 (EuGH, Urt. v. 18.02.2016, C-516/14, Barlis). Danach kann die Steuerverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb verweigern, weil eine Rechnung nicht die in Art. 226 Nr. 6 und 7 MwStSystRL aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, wenn die Verwaltung über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die materiellen Vorsteuerabzugsvoraussetzungen erfüllt sind.

Sachverhalt

Der BFH hatte in der Revisionssache V R 26/15 über den Fall eines Dentallabors zu entscheiden, in dem das Finanzamt für das Jahr 2005 dem Labor Vorsteuern aus den Rechnungen eines Rechtsanwalts und für die Jahre 2006 und 2007 Vorsteuer aus Rechnungen einer Unternehmensberatung nicht anerkannt hatte, da in den Rechnungen die Art der erbrachten Leistungen nicht hinreichend genau bezeichnet gewesen sei. Das Labor erhob im November 2011 Klage und legte dem FA während des Klageverfahrens im Januar 2013 Rechnungen vor, in denen der Gegenstand der Leistung ordnungsgemäß bezeichnet war. Das Finanzgericht wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Berichtigung der Rechnungen jedenfalls dann keine Rückwirkung entfalte, wenn die berichtigten Rechnungen erst nach Ergehen der Einspruchsentscheidung vorgelegt würden.

Entscheidung

Der BFH hat im Wesentlichen unter Bezugnahme auf das Senatex-Urteil des EuGH entgegen dem FG entschieden, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG richtlinienkonform auszulegen ist. Gleiches gilt für § 31 Abs. 5 UStDV. Eine Berichtigung nach dieser Vorschrift wirkt daher auf den Zeitpunkt zurück, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde. An seiner früheren Rechtsprechung, wonach die Vorsteuer aus einer berichtigten Rechnung erst im Besteuerungszeitraum der Berichtigung abgezogen werden konnte (vgl.  BFH, Urt. v. 24.08.2006, V R 16/05, BStBl. II 2007, 340), hält der BFH infolge der EuGH-Rechtsprechung nicht mehr fest. Wird zunächst eine Rechnung ausgestellt, die den Anforderungen der §§ 14, 14a UStG nicht entspricht, und wird diese Rechnung später nach § 31 Abs. 5 UStDV berichtigt, kann das Recht auf Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG aufgrund der berichtigten Rechnung für den Besteuerungszeitraum ausgeübt werden, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde. Unerheblich für den BFH war im entschiedenen Fall, ob die Rechnungsberichtigung ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 233a Abs. 2a, Abs. 7 i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sein kann. Denn nach dem EuGH-Urteil Senatex vom 15.09.2016 stehe das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegen, nach der im Fall einer Rechnungsberichtigung Nachzahlungszinsen entstehen. Dies gilt nach Auffassung des BFH zumindest dann, wenn sich der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer mit einem Rechtsbehelf gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs wendet oder zugunsten des Unternehmers eine andere Korrekturvorschrift als § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eingreift.

Praxishinweis

Nach dem EuGH hat nunmehr auch der BFH entschieden, dass eine fehlerhafte, für den Vorsteuerabzug schädliche Rechnung mit Rückwirkung berichtigt werden kann. Nicht entschieden war bisher, bis zu welchem Zeitpunkt eine fehlerhafte oder unvollständige Rechnung berichtigt werden darf. Dies hätte nach derzeitigen Maßstäben jedenfalls noch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (analog dem Nachreichen von Belegen z.B. für Zwecke der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen) möglich sein können. In dem Revisionsverfahren V R 26/15 beim BFH wurde zu dieser Thematik die Frage aufgeworfen, ob eine Rechnungsberichtigung, die erst im Klageverfahren erfolgt, noch auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungsausstellung zurückwirken kann. Nach dem Urteil des FG Münster vom 10.12.2015 (FG Münster, Urt. v. 10.12.2015, 5 K 4322/12 U, EFG 2016, 337) sollten Rechnungsberichtigungen ggf. nur bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung als letzter Verwaltungsentscheidung zurückwirken.

Der BFH hat nunmehr entschieden: Sind die übrigen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs erfüllt, ist es für die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug ausreichend, wenn der Aussteller die Rechnung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG berichtigt. Richtet sich die zeitliche Grenze für die Rechnungsberichtigung nach nationalem Recht, sieht § 31 Abs. 5 UStDV für die Berichtigung einer Rechnung keine derartige Grenze vor. Nach allgemeinen Grundsätzen ist nach Auffassung des BFH eine Berichtigung daher bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG möglich. Denn das Gericht entscheide nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zu diesem Gesamtergebnis gehörten alle rechtserheblichen Umstände tatsächlicher Art, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Der Hinweis des EuGH in seinem Senatex-Urteil auf sein Urteil vom 29.04.2004 (EuGH, Urt. v. 29.04.2004, Terra Baubedarf Handel, C-152/02) könnte dahingehend zu interpretieren sein, dass auch nach dem Urteil „Senatex“ eine rückwirkende Rechnungsberichtigung nicht in Betracht kommen dürfte, wenn das ursprünglich ausgestellte Dokument, auf das sich die Berichtigung bezieht, überhaupt nicht als umsatzsteuerliche Rechnung angesehen werden kann. Der EuGH hat jedoch nicht entschieden, welche Mindestanforderungen an das zunächst ausgestellte Dokument zu stellen sind. Eine Rechnung i.S.d. Umsatzsteuerrechts muss nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH mindestens Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthalten (vgl. BFH, Urt. v. 20.07.2012, V B 82/11, BStBl. II 2012, 809). Der BFH hat im Revisionsverfahren V R 26/15 seine bisherige Rechtsprechung im Wesentlichen bestätigt. Danach ist ein Dokument jedenfalls dann eine Rechnung und damit berichtigungsfähig, wenn es Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält. Hierfür reiche es aus, dass sie diesbezügliche Angaben enthält und die Angaben nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sind, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen.

Auch wenn zunächst abzuwarten ist, wie die Verwaltung bzw. der Gesetzgeber auf die jüngste EuGH-Rechtsprechung zu den Rechnungsangaben und zur Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung reagieren werden. So sollten alle von Rechnungsberichtigungen und Vorsteuerrückforderungen betroffenen Unternehmer die neue Entwicklung prüfen und sich dienlich machen.

Neue Erkenntnisse zu den Folgen einer unvollständigen Rechnung für den Vorsteuerabzug könnten sich auch aus den noch ausstehenden Entscheidungen des EuGH auf die Vorabentscheidungsersuchen des BFH den Rechtssachen C-374/16 und C-375/16 ergeben.

Sofern Unternehmen mit Vorsteuerrückforderungen aufgrund fehlerhafter Rechnungen konfrontiert sind, lohnt sich eine Analyse der vorgenannten Rechnung und entsprechende Beratung. Das Team der AWB steht Ihnen dafür gerne bereit.

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