Abgrenzung zwischen steuerbarem Leistungsaustausch und nicht steuerbarem Schadensersatz bei Ausgleichszahlung wegen vertragswidrigem Verhalten

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 22.11.2018, C-295/17, MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA

Praxisproblem

Im Falle einer echten Schadensersatzleistung fehlt es an einem Leistungsaustausch. Der Schadensersatz wird nicht geleistet, weil der Leistende eine Lieferung oder sonstige Leistung erhalten hat, sondern weil er nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat. Echter Schadensersatz ist insbesondere gegeben bei Schadensbeseitigung durch den Schädiger oder bei Zahlung einer Geldentschädigung durch den Schädiger. Ein Schadensersatz ist dagegen dann nicht anzunehmen, wenn die Ersatzleistung tatsächlich die – wenn auch nur teilweise – Gegenleistung für eine Lieferung oder sonstige Leistung darstellt. Bei dem portugiesischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Abgrenzung zwischen nicht steuerbarem Schadensersatz und steuerbaren Dienstleistungen in Fällen, in denen sich ein Vertragspartner vertragswidrig verhält oder vorzeitig kündigt und der leistende Unternehmer vertraglich Anspruch auf eine daraus folgende Zahlung des Kunden hat.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die Telekommunikationsdienstleistungen erbringt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit schloss sie mit ihren Kunden Verträge über die Erbringung von Telekommunikations-, Internetzugangs-, Fernseh- und Multimediadienstleistungen ab. In manchen dieser Verträge war eine Bindung des Kunden an den Vertrag während eines Mindestzeitraums vereinbart, wobei in diesen Fällen bestimmte vorteilhafte Konditionen angeboten wurden, insbesondere in Form der Festlegung geringerer Monatsentgelte. Bei dieser Vertragsart führte eine Nichteinhaltung der vertraglichen Pflichten, denen der Kunde unterlag – insbesondere die Nichtentrichtung der nach dem Vertrag geschuldeten Monatsentgelte –, zu einer Verpflichtung für den Kunden zur Leistung eines bestimmten Betrags an die Klägerin. Die Verträge enthielten Klauseln, die eine Verpflichtung des Kunden zur Zahlung eines Betrags in Höhe des mit der Zahl der für die Erfüllung des betreffenden Zeitraums fehlenden Monate multiplizierten Monatsentgelts vorsahen, wenn die Dienste vor Ablauf der vereinbarten vertraglichen Bindungsfrist auf Initiative der Klägerin aus einem dem Kunden zuzurechnenden Grund deaktiviert wurden.

Das vorlegende Gericht wollte mit seinen Vorlagefragen im Grunde wissen, ob die von Telekommunikationsanbietern gegenüber ihren Kunden im Fall der Nichteinhaltung der Mindestlaufzeit erhobenen Ausgleichszahlungen der MwSt unterliegen. Dabei bezogen sich die Vorlagefragen sehr speziell auf die Würdigung des konkreten Einzelfalles.

Entscheidung

Der EuGH hat im Wesentlichen entschieden, dass der im Vorhinein festgelegte Betrag, den ein Unternehmer im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer Mindestbindungsfrist durch seinen Kunden oder aus einem diesem zuzurechnenden Grund bezieht und der dem Betrag entspricht, den der leistende Unternehmer ohne diese vorzeitige Beendigung für die restliche Laufzeit erhalten hätte, steuerbares Leistungsentgelt darstellt.

Soweit der Kläger nach den im Ausgangsverfahren geltenden Verträgen im Fall der Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist Anspruch auf Zahlung desselben Betrags hat, den er als Entgelt für seine Dienstleistungen erhalten hätte, zu deren Erbringung er verpflichtet gewesen wäre, wenn der Kunde den Vertrag nicht beendet hätte, ändert die vorzeitige Vertragsauflösung durch den Kunden bzw. aus einem ihm zuzurechnenden Grund nach den weiteren Entscheidungsgründen nichts an der wirtschaftlichen Realität des Verhältnisses zwischen dem Kläger und seinem Kunden. Deshalb geht der EuGH davon aus, dass der Gegenwert des vom Kunden an den Kläger entrichteten Betrags in dem Anspruch des Kunden auf Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Dienstleistungsvertrag durch den Kläger besteht, auch wenn der Kunde diesen Anspruch aus einem ihm zuzurechnenden Grund nicht wahrnehmen will oder kann. Folglich ist der für die Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist geschuldete Betrag als Entgelt für die vom Kläger erbrachten Leistungen anzusehen, unabhängig davon, ob der Kunde diese Dienste bis zum Ende der Mindestbindungsfrist in Anspruch nimmt oder nicht.

Dieses Entgelt ist nach den weiteren Entscheidungsgründen auch bestimmbar. Die zu erbringende Leistung sowie der dem Kunden bei Vertragsbeendigung vor Ablauf der Mindestbindungsfrist berechnete Betrag waren bereits bei Vertragsabschluss festgelegt worden. Somit ist der für die Nichteinhaltung der Mindestbindungsfrist zu zahlende Betrag als integraler Bestandteil des in Monatsentgelte aufgeteilten Gesamtpreises für die Dienstleistungen des Klägers anzusehen, der im Fall der Nichterfüllung der Zahlungspflicht sofort fällig wird.

Praxishinweis

Das Urteil hat auch für das deutsche Umsatzsteuerrecht Bedeutung. Den Fällen des echten Schadensersatzes liegt kein umsatzsteuerrechtlicher Leistungsaustausch zugrunde. Entweder wird keine Leistung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne erbracht oder es liegt zwar eine solche Leistung vor, es wird jedoch dafür keine Gegenleistung erbracht. Der Schadensersatz wird geleistet, weil der Schädiger nach dem Gesetz oder Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzutreten hat, vgl. A 1.3 Abs. 1 UStAE. Von Fällen des unechten Schadensersatzes spricht man, wenn die gezahlte Entschädigung ein Leistungsentgelt darstellt, vgl. A 1.3 Abs. 1 und Abs. 11 UStAE.
Mit Urteil v. 18.07.2007, C-277/05 (Société thermale d’Eugénie-les-Bains) hatte der EuGH entschieden, dass Anzahlungen, die Gäste bei der Reservierung von Hotelzimmern entrichtet hatten und die nach der Stornierung der Zimmer von dem Hotelbetreiber einbehalten wurden, nichtsteuerbarer Schadensersatz sind. Aus diesem EuGH-Urteil können für den Fall des vertragswidrigen Rücktritts keine Rückschlüsse gezogen werden, dass bei einer dann entstehenden Vertragsstrafe ebenfalls kein Leistungsentgelt angenommen werden könnte. Ein solcher Fall lag im Ausgangsverfahren nicht vor. Das EuGH-Urteil v. 18.7.2007, C-277/05, bestätigt durch das vorliegende Urteil, deutete vielmehr darauf hin, dass eine Vertragsstrafe anders als die Anzahlungen im Sachverhalt des EuGH-Urteils C-277/05 einer bestimmbaren Leistung (dem Bereithalten des Hotelzimmers) gegenüberstehen würde und dadurch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung bejaht werden könnte. Die Vertragsstrafe wäre gerade nicht Folge einer dem Kunden eröffneten Rücktrittsmöglichkeit, sondern wäre durch den Vertrag bzw. dessen pflichtwidrige Nichterfüllung bestimmt und richtete sich, anders als das pauschale Angeld im Ausgangsfall des EuGH-Urteils C-277/05, in der Regel nach der tatsächlich entstandenen Schadenshöhe.

Nach deutschem Recht ist bei der Beurteilung darauf abzustellen, ob dem Kunden, der die Buchung („Reservierung“) vorgenommen hat, aufgrund des dadurch zustande gekommenen Vertrags ein Rücktrittsrecht zusteht oder nicht. Ist der Kunde wirksam vom Vertrag zurückgetreten, handelt es sich bei den „Stornokosten“ um eine Schadensersatzleistung für evtl. Vermögenseinbußen des Vertragspartners. Stand dem Kunden kein Rücktrittsrecht zu und konnte er sich nicht wirksam vom Vertrag lösen, sind die „Stornokosten“ das Entgelt für das Bereithalten des Hotelzimmers und keine Schadensersatzleistung.

Im vorliegenden Ausgangsverfahren sprach der Charakter der Zahlungen, zu denen die Kunden bei Nichteinhaltung der vertraglichen Laufzeit verpflichtet sind, somit für ein steuerbares Leistungsentgelt für die bestehende Leistungsbereitschaft des Telekommunikationsanbieters, was der EuGH auch bestätigt hat.

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