EuGH zur Steuerbefreiung bei grenzüberschreitenden Beförderungen von Gütern im Zusammenhang mit Einfuhren und Ausfuhren

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 29.06.2017, C-288/16, L.Č. IK

Praxisproblem

Bei dem lettischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Steuerbefreiung nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL. Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaten unter den dort genannten Voraussetzungen Dienstleistungen, einschließlich Beförderungsleistungen und Nebentätigkeiten zur Beförderung, wenn sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausfuhr oder Einfuhr von Gegenständen stehen. Das Vorlagegericht wollte wissen, ob die Anwendung der Steuerbefreiung nach Art. 146 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL eine unmittelbare Rechtsbeziehung oder gegenseitige vertragliche Beziehung zwischen dem Dienstleistungserbringer und dem Empfänger oder Versender der Waren voraussetzt und nach welchen Kriterien die Voraussetzung des „unmittelbaren Zusammenhangs“ mit der Ausfuhr oder Einfuhr von Gegenständen zu bestimmen ist.

Sachverhalt

Der Kläger wurde von einem Hauptfrachtführer als Subunternehmer mit der tatsächlichen Durchführung eines Transitfrachttransports vom Hafen Riga nach Weißrussland beauftragt. Der Kläger übernahm bei den Transportleistungen die Lenkung des Transportmittels, die Reparaturen, die Betankung, die Zollformalitäten an den Grenzübergangsstellen, die Überwachung der Fracht, die Übergabe an den Empfänger und die notwendigen Be- und Entladearbeiten. Er hatte mangels entsprechender Lizenzen aber keinen Frachtführerstatus nach lettischem Recht.

Die lettische Finanzbehörde versagte dem Kläger die Steuerbefreiung für die von ihm durchgeführten Beförderungsleistungen, weil keine Rechtsbeziehung zwischen ihm und dem Absender oder Empfänger der Warenladung bestehe, und er mangels entsprechender Lizenz nicht als Frachtführer i. S. d. lettischen Güterkraftverkehrsgesetzes angesehen werden könne. Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 des LV-MwStG (i. d. F. bis 31.12.2012) sieht vor, dass auf Dienstleistungen in Zusammenhang mit der Ausfuhr von Waren (einschließlich der Ausfuhr von Waren, deren Ausfuhrverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat begonnen hat) und der Einfuhr von Waren sowie auf Transittransporte und auf die in einer Zollfreizone und in einem Zollager erbrachten Dienstleistungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Waren stehen, die aus Drittländern und Drittgebieten in das Gebiet der EU eingeführt und nicht in den zollrechtlich freien Verkehr überführt wurden (einschließlich der Dienstleistungen des Transports, des Versands, der Warenlagerung, des Be- und Entladens, der Begutachtung und der Klassifizierung), ein Steuersatz von 0 % anzuwenden ist. Art. 145 der LV-VO Nr. 933 sieht vor, dass Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 des LV-MwStG auch für die von Dritten (z. B. Zollagenten, Hauptverpflichteten, Subversendern, Eigentümern von Lagerhallen, Häfen, Flughäfen) erbrachten Dienstleistungen gilt, wenn mit dem Frachtführer oder dem Transithändler der Ware ein Vertrag über die entsprechende Ausfuhr- oder Transitleistung geschlossen wurde.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die Steuerbefreiung des Art. 146 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL auf eine Beförderung von Gegenständen in einen Drittstaat keine Anwendung findet, wenn die betreffenden Dienste nicht unmittelbar an den Versender oder den Empfänger dieser Gegenstände geleistet werden. Die im Ausgangsverfahren streitigen Dienstleistungen fielen daher nicht unter die Befreiung.

Der EuGH begründet seine Entscheidung mit der in Art. 131 MwStSystRL vorgeschriebenen korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen und dem Grundsatz der engen Auslegung von Steuerbefreiungen. Aus dem Wortlaut und dem Zweck des Art. 146 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL, eine Besteuerung am Bestimmungsort sicherzustellen, ergebe sich daher, dass ein unmittelbarer Zusammenhang nicht nur voraussetzt, dass die betreffenden Dienstleistungen ihrem Gegenstand nach zur tatsächlichen Durchführung einer Ausfuhr oder Einfuhr beitragen, sondern auch, dass diese Dienstleistungen unmittelbar an – je nachdem – den Ausführer, den Einführer oder den Empfänger der Gegenstände, auf die sich diese Bestimmung bezieht, erbracht werden.

Praxishinweis

Das deutsche Recht ist unmittelbar von diesem Urteil betroffen. Die Steuerbefreiung des Art. 146 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL wurde in § 4 Nr. 3 Buchst. a UStG umgesetzt. Da die Steuerbefreiung für jede Leistung, die sich auf Gegenstände der Einfuhr bezieht, in Betracht kommen kann, brauchte bisher nicht geprüft zu werden, ob es sich um eine Beförderung, einen Umschlag oder eine Lagerung von Einfuhrgegenständen oder um handelsübliche Nebenleistungen dazu handelt. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist bisher, dass die Kosten für die Leistungen in der Bemessungsgrundlage für die Einfuhr enthalten sind. Diese Voraussetzung ist in den Fällen erfüllt, in denen die Kosten einer Leistung nach § 11 Abs. 1 oder 2 und/oder 3 Nr. 3 und 4 UStG Teil der Bemessungsgrundlage für die Einfuhr geworden sind. Dies ist auch bei Gegenständen der Fall, deren Einfuhr nach den für die Einfuhrbesteuerung geltenden Vorschriften befreit ist (z. B. Umzugs- oder Messegut). Nach Abschnitt 4.3.2. Abs. 4 UStAE findet die Befreiung bisher auch auf Unterfrachtführer Anwendung und setzt damit keine unmittelbare Rechtsbeziehung mit dem Empfänger oder Versender der Waren voraus. Ein Frachtführer, der die Beförderung von Gegenständen übernommen hat, bewirkt auch dann eine Beförderungsleistung, wenn er die Beförderung nicht selbst ausführt, sondern sie von einem oder mehreren anderen Frachtführern (Unterfrachtführern) ausführen lässt. In diesen Fällen hat er die Stellung eines Hauptfrachtführers, für den der oder die Unterfrachtführer ebenfalls Beförderungsleistungen bewirken. Diese Beförderungsleistungen können grenzüberschreitend sein. Die Beförderungsleistung des Hauptfrachtführers sowie des Unterfrachtführers, dessen Leistung sich sowohl auf das Inland als auch auf das Ausland erstreckt, sind grenzüberschreitend.

Eine Einschränkung der Steuerbefreiung auf Beförderungsleistungen, die in unmittelbarer Rechtsbeziehung mit dem Empfänger/Versender der Waren erbracht werden, lässt sich der Regelung des Art. 146 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL nicht ausdrücklich entnehmen. Dennoch hat der EuGH diesen Tatbestand als Voraussetzung der Steuerbefreiung angesehen. Das Vorliegen eines „unmittelbaren Zusammenhangs“ mit der Ausfuhr oder Einfuhr von Gegenständen dürfte regelmäßig eine Frage des jeweiligen Sachverhalts sein.

Das Urteil dürfte eine Anpassung der deutschen Rechtslage, zumindest des UStAE, erforderlich machen, wenn die deutsche Finanzverwaltung das Urteil anwenden wollte. Größere Probleme, die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 3 UStG nachweisen zu können, wenn ein Unterfrachtführer seine Transportleistung gegenüber einem Hauptfrachtführer erbringt, sind bisher aus der Praxis nicht bekannt geworden. Zumindest von daher ist die EuGH-Entscheidung erstaunlich, dass eine extensive Auslegung der Steuerbefreiung, die Dienstleistungen umfassen würde, die nicht unmittelbar an den Ausführer, den Einführer oder den Empfänger solcher Gegenstände erbracht werden, für die Mitgliedstaaten und für die betreffenden Unternehmer Zwänge schaffen könnte, die mit der in Art. 131 MwStSystRL vorgeschriebenen korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen unvereinbar wären. Auch die Systematik der Steuerbefreiung, dass zumindest bei Ausfuhren ein Grenzausgleich stattfinden und die Ware umsatzsteuerlich unbelastet (auch durch Entlastung der Transportkosten von der Steuer), in das Bestimmungsland gelangen soll, spricht gegen das vom EuGH gefundene Ergebnis. Dies umso mehr, als er mit seiner Entscheidung v. 04.05.2017, C-33/16, A, die eigentlich eng auszulegende Vorschrift der Steuerbefreiung nach § 148 MwStSystRL für Umsätze in der Seeschifffahrt weit auslegt. Nach diesem Urteil sollen zum einen nicht nur Dienstleistungen im Bereich des Beladens und Entladens eines Schiffes i. S. von Art. 148 Buchst. a MwStSystRL von der USt befreit sein können, die auf der letzten Handelsstufe einer solchen Dienstleistung erbracht werden, sondern auch auf einer vorausgehenden Handelsstufe erbrachte Dienstleistungen, wie etwa eine von einem Unterauftragnehmer an einen Wirtschaftsteilnehmer erbrachte Dienstleistung, die dieser Wirtschaftsteilnehmer dann einem Speditions- oder Transportunternehmen weiterberechnet, und dass zum anderen auch Be- und Entladedienstleistungen von der Steuer befreit sein können, die an den Verfügungsberechtigten dieser Ladung, etwa deren Ausführer oder Einführer, erbracht werden.

§ 4 Nr. 3 Buchst. a UStG in der geltenden Auslegung durch die Verwaltung, mit der Art. 146 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL umgesetzt wurde, kann auch auf Unterfrachtführer Anwendung finden und setzt somit keine unmittelbare Rechtsbeziehung mit dem Empfänger/Versender der Waren voraus. Es bleibt abzuwarten, ob die deutsche Finanzverwaltung das Urteil umsetzt. Eine Steuerpflicht von Transportdienstleistungen im Zusammenhang mit Ein- und Ausfuhren durch Unterfrachtführer an Hauptfrachtführer als Auftraggeber würde jedenfalls einen erheblichen Umstellungsaufwand für die Transportwirtschaft bedeuten.

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