Der Vorsteuerabzug aus dem Eingriff einer Holding in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 05.07.2018, C-320/17, Marle Participations SARL

Praxisproblem

Bei dem französischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage, ob einer Holdinggesellschaft der Anspruch auf Vorsteuerabzug für Leistungen im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Beteiligung zusteht, wenn die Holdinggesellschaft außer der Vermietung von Immobilien keine Verwaltungsleistungen an ihre Tochtergesellschaft erbringt. Gesellschaftszweck der Klägerin ist die Verwaltung von Beteiligungen an mehreren Tochtergesellschaften des Konzerns, denen sie außerdem ein Gebäude vermietete.

Sachverhalt

Die französische Finanzbehörde versagte der Klägerin den Vorsteuerabzug aus Kosten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wertpapieren anderer Beteiligungsgesellschaften. Das Vorlagegericht wollte unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtsprechung v. 16.07.2015, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, C-108/14 und C-109/14, wissen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Vermietung eines Gebäudes durch eine Holdinggesellschaft an eine Tochtergesellschaft einen direkten oder indirekten Eingriff in die Verwaltung dieser Tochtergesellschaft darstellt, der bewirkt, dass der Erwerb und das Halten von Anteilen an dieser Tochtergesellschaft den Charakter wirtschaftlicher Tätigkeiten im Sinne der MwStSystRL erlangen.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die Vermietung eines Gebäudes durch eine Holdinggesellschaft an ihre Tochtergesellschaft einen Eingriff in deren Verwaltung darstellt, der als wirtschaftliche Tätigkeit i. S. v. Art. 9 Abs. 1 MwStsystRL anzusehen ist und zum Abzug der Vorsteuer auf die Ausgaben berechtigt, die der Holding aus Anlass des Erwerbs von Anteilen an der Tochtergesellschaft entstehen. Der EuGH bestätigt seine ständige Rechtsprechung, dass sich der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeiten“ auf einen weiten Anwendungsbereich erstreckt und dass er objektiv festgelegt ist, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird. Somit wird eine Tätigkeit im Allgemeinen als wirtschaftlich angesehen, wenn sie nachhaltig ist und gegen ein Entgelt ausgeübt wird, das derjenige erhält, der die Leistung erbringt.

Speziell zum Vorsteuerabzug einer Holdinggesellschaft hatte der EuGH bereits entschieden, dass diese kein Unternehmer i. S. v. Art. 9 MwStSystRL und somit nicht zum Vorsteuerabzug gem. den Art. 167 und 168 MwStsystRL berechtigt ist, wenn ihr einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, ohne dass sie – unbeschadet ihrer Rechte als Anteilseigner oder Gesellschafter – unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift (vgl. EuGH, Urt. v. 16.07.2015, C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt).

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind Eingriffe einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung von Unternehmen, an denen sie Beteiligungen erworben hat, eine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. v. Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL, wenn sie Tätigkeiten darstellen, die gem. Art. 2 MwStSystRL steuerbar sind, wie etwa das Erbringen von administrativen, buchführerischen, finanziellen, kaufmännischen, der Informatik zuzuordnenden und technischen Dienstleistungen der Holdinggesellschaft für ihre Tochtergesellschaften. Der EuGH hat nunmehr klargestellt, dass es sich bei seiner bisherigen Rechtsprechung diesbezüglich nicht um eine abschließende Aufzählung handelte. Der Begriff „Eingriff einer Holding in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft“ ist deshalb nach dem vorliegenden Urteil dahin zu verstehen, dass er alle Umsätze umfasst, die eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der MwStSystRL darstellen und von einer Holding an ihre Tochtergesellschaft erbracht werden. Auch die Vermietung eines Gebäudes durch eine Holdinggesellschaft an ihre Tochtergesellschaft, wie im Ausgangsfall, stellt einen Eingriff in deren Verwaltung dar, der als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist und zum Abzug der Vorsteuer auf die Kosten berechtigt, die der Holding beim Erwerb von Anteilen an der Tochtergesellschaft entstehen, vorausgesetzt, diese Vermietung ist nachhaltig, wird entgeltlich erbracht und ist steuerpflichtig, was bedeutet, dass bei der Vermietung zur Steuerpflicht optiert wurde und dass zwischen der Vermietung und dem empfangenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Praxishinweis

Mit Urteil v. 16.07.2015, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, C-108/14 und C-109/14, hatte der EuGH entschieden, dass Kosten, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften von einer Holdinggesellschaft getragen werden, die an deren Verwaltung teilnimmt und insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, als Teil der allgemeinen Aufwendungen der Holdinggesellschaft anzusehen sind, und dass die für diese Kosten gezahlte Steuer grundsätzlich vollständig abzuziehen ist, es sei denn, dass bestimmte nachgelagerte Umsätze steuerfrei sind. Das Recht auf Vorsteuerabzug hängt nicht davon ab, dass diesen Erwerbskosten, mit denen die Durchführung wirtschaftlicher Transaktionen zugunsten der Tochtergesellschaften vorbereitet werden kann oder die zur Durchführung von Transaktionen, die nicht abgeschlossen werden, anfallen können, der MwSt unterliegende Transaktionen zwischen der Holdinggesellschaft und ihren Tochtergesellschaften vorangehen.

Der EuGH war im vorliegenden Verfahren aufgefordert, sich näher mit dem Umfang des von ihm entwickelten Begriffs des Eingreifens einer Holding in die Verwaltung von Tochtergesellschaft zu befassen. In dem Verfahren Larentia + Minerva und Marenave wurden entgeltliche Geschäftsführungsleistungen erbracht, die der EuGH stillschweigend als unternehmerische Leistungen der Holding verstanden hat. Fraglich war, ob dies auch für reine Vermietungsleitungen gilt, die für sich genommen zwar unternehmerisch ausgeübt werden können, aber nicht unmittelbar einem Eingreifen in die Verwaltung von Tochtergesellschaften einer Holding gleichgestellt werden können. Der EuGH hat vorliegend auch die reine Gebäudevermietung an eine Tochtergesellschaft als Eingriff in deren Verwaltung, was zu Unternehmereigenschaft der Holding führt, verstanden.

Nach Abschn. 2.3 Abs. 3 UStAE stellt u. a. das Erwerben einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung eine unternehmerische Tätigkeit dar (vgl. EuGH, Urt. v. 06.02. 1997, C-80/95, Harnas & Helm), wenn die Beteiligung nicht um ihrer selbst willen (bloßer Wille, Dividenden zu erhalten) gehalten wird, sondern der Förderung einer bestehenden oder beabsichtigten unternehmerischen Tätigkeit (z. B. Sicherung günstiger Einkaufskonditionen, Verschaffung von Einfluss bei potenziellen Konkurrenten, Sicherung günstiger Absatzkonditionen) dient (vgl. EuGH, -Urt. v. 11.07.1996, C-306/94, Régie dauphinoise), oder wenn, abgesehen von der Ausübung der Rechte als Gesellschafter oder Aktionär, unmittelbar in die Verwaltung der Gesellschaften, an denen die Beteiligung besteht, eingegriffen wird (vgl. EuGH, Urt. v. 20.06.1991, C 60/90, Polysar Investments Netherlands). Die Eingriffe müssen dabei zwingend durch unternehmerische Leistungen im Sinne der § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 1 UStG erfolgen. Hierbei kann es sich z. B. um administrative, finanzielle, kaufmännische oder technische Dienstleistungen an die jeweilige Beteiligungsgesellschaft handeln (vgl. EuGH, Urt. v. 27.09.2001, C-16/00, Cibo Participations, Urt. v. 12.07.2001, C-102/00, Welthgrove, und Urt. v. 16.07.2015, C-108/14, Larentia + Minerva, und Urt. C-109/14, Marenave). Es ist nach dem vorliegenden Urteil nicht mehr fraglich, dass auch eine Vermietungstätigkeit unter diesen Leistungskatalog fällt.

Nach wie vor nicht vom EuGH entschieden ist, ob ein vollständiger Vorsteuerabzug der Holding auch dann besteht, wenn die Eingangsleistungen, aus denen die Holdinggesellschaft den Vorsteuerabzug begehrt, in einem betragsmäßigen Missverhältnis zu den steuerbaren Leistungen an die Tochtergesellschaften stehen. Der EuGH hat vorliegend nur zu der Art der Leistung entschieden, die zu einem zur Unternehmereigenschaft der Holding führenden Eingreifen in die Tochtergesellschaft führen. Der EuGH hat lediglich entschieden, dass der Begriff „Eingriff einer Holding in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft“ grds. alle Umsätze umfasst, die eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der MwStSystRL darstellen und von der Holding an ihre Tochtergesellschaft erbracht werden.

Der BFH hatte mit Urteil v. 06.04.2016, V R 6/14, BStBl II 2017, 577, entschieden, dass Kosten, die einer Holding im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an Tochtergesellschaften entstehen, in deren Verwaltung sie durch das Erbringen von administrativen, finanziellen, kaufmännischen oder technischen Dienstleistungen Eingriffe vornimmt, ihr hinsichtlich der für diese Kosten bezahlten MwSt grds. ein Recht auf vollständigen Vorsteuerabzug eröffnen. An dem erforderlichen Zusammenhang mit dem Beteiligungserwerb fehle es aber, wenn das eingeworbene Kapital in keinem Verhältnis zu dem Beteiligungserwerb steht. Auch diese Streitfrage bzw. in welchem Umfang ein vorsteuerschädliches Missverhältnis vorliegt, ist durch das vorliegende EuGH-Urteil nicht entschieden worden.

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