Differenzbesteuerung von aus Edelsteinen und Edelmetallen gefertigten Gegenständen

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 11.07.2018, C-154/17, SIA E LATS

Praxisproblem

Bei dem lettischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um Fragen der Anwendung der Differenzbesteuerung auf Gebrauchtgegenstände nach Art. 311 ff. MwStSystRL. Das Vorlagegericht wollte wissen, ob unter den Begriff „Gebrauchtgegenstände“ nach Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL auch durch den Händler erworbene gebrauchte Artikel fallen, die (wie im Ausgangsverfahren) Edelmetalle oder Edelsteine enthalten und hauptsächlich zu dem Zweck wiederverkauft werden, die in ihnen enthaltenen Edelmetalle und -steine herauszulösen. Wenn dies zu bejahen sei, stellte das Gericht die Frage, ob es dann bei Bestimmung des Anwendungsbereichs der Differenzbesteuerung von Bedeutung ist, dass der Händler die Absicht des späteren Käufers, die in den Waren enthaltenen Edelmetalle und Edelsteine herauszulösen, kennt, oder ob dafür objektive Merkmale des Geschäfts (die Warenmenge, die Rechtsform des Geschäftspartners etc.) maßgeblich sind.

Sachverhalt

Der Kläger gewährt als Unternehmer Privatpersonen Darlehen, die er sich durch Pfandrechte an Edelmetallen und daraus hergestellten Waren (Gold- und Silberartikel wie Ketten, Anhänger, Ringe, Eheringe, Löffel, zahnärztliches Material etc.) besichern lässt. Der Kläger verkaufte die nicht ausgelösten Pfandgegenstände bzw. von ihm angekauften Edelmetalle (und aus Edelmetall hergestellte Waren), sortiert nach dem Reinheitsgrad und der Art des Metalls, nach Gewicht wieder an andere Unternehmer. Der Kläger wandte auf seine Verkäufe die Differenzbesteuerung an und führte MwSt (nur) auf die Differenz zwischen dem An- und dem Verkaufspreis der Edelmetallartikel ab. Die lettische Finanzverwaltung war der Auffassung, die vom Kläger wiederverkauften Edelmetallartikel stellten Schrott und keine Gebrauchtgegenstände im Sinne der Differenzbesteuerung dar und der Kläger schulde die MwSt auf den Verkaufspreis der Artikel.

Nach dem Vortrag des Vorlagegerichts erwarb der Kläger gebrauchte Gegenstände, deren Wert ausschließlich im Edelmetallwert bestand. So könnten z. B. solche Gegenstände wie Goldzähne nicht ohne Änderung wiederverwendet werden. Auch sei nicht ersichtlich, weshalb beschädigte Gold- und Silberartikel (wie zerbrochene Gabeln und Messer oder gerissene Ketten) später an neue Nutzer verkauft werden könnten. Der Gesamtdarstellung des Klägers sei zu entnehmen, dass er die von ihm erworbenen Gegenstände gerade zu dem Zweck sortierte, Artikel, die nicht einzeln verkauft werden konnten, von solchen zu trennen, für die sich Käufer finden ließen. Der Kläger verkaufte einen Teil der Gegenstände als Einzelstücke. Die Mehrzahl jedoch wurde zur Metalltransformation bei anderen Unternehmen verkauft.

Entscheidung

Der EuGH hat zum Begriff des Gebrauchtgegenstands entschieden, dass es ein beweglicher körperlicher Gegenstand sein müsse, er in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sein müsse und er weder in die Kategorie der Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten noch in die der Edelmetalle oder Edelsteine fallen dürfe. Die Ausnahme für Edelmetalle und Edelsteine von der Differenzbesteuerung ist nach den Feststellungen des EuGH darauf zurückzuführen, dass der Wert, der Edelmetallen und Edelsteinen beizumessen ist, sich nicht nur aus ihrer Verwendung als Rohmaterial für die Herstellung anderer Gegenstände ergibt, sondern im Wesentlichen aus dem gespeicherten Wert, der ihnen beigemessen werden kann. Ohne dass sie in einen Gegenstand mit einer bestimmten Funktion integriert oder umgewandelt werden müssten, kommt diesen Metallen und Steinen somit eine eigene Funktion zu, die darin besteht, einen auf dem Markt für Edelmetalle oder Edelsteine erzielbaren finanziellen Wert einzunehmen. Zudem geht dieser Wert nicht verloren, da diese Metalle und Steine mehrmals wiederverwendet werden können, weil diese Materialien leicht wiederverwertbar sind, leicht verarbeitet werden können und gleichzeitig ihren Wert behalten.

Aus der Entstehungsgeschichte der Differenzbesteuerung schließt der EuGH, dass der Richtliniengeber bis zu einem gewissen Grad Gegenstände, die Edelmetalle oder Edelsteine enthalten, in den Genuss der Differenzbesteuerung kommen lassen wollte. Der EuGH verweist insofern auf den Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie (KOM[88] 846 endg.). Es sei beabsichtigt gewesen, „Gegenstände, die aus Gold oder einem anderen Edelmetall gefertigt oder mit Edelsteinen verziert sind, sofern der Wertanteil dieser Materialien 50 % des Verkaufspreises nicht übersteigt“, in die Differenzbesteuerung einzubeziehen und somit eine Unterscheidung zwischen Edelmetallen und Edelsteinen einerseits und aus diesen Materialien gefertigten Gegenständen wie Schmuck andererseits einzuführen.

In der Endfassung von Art. 26a der 6. EG-Richtlinie (= Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL) fehlt aber jede Bezugnahme auf Gegenstände, die Edelmetalle oder Edelsteine enthalten, und es sind von der Differenzbesteuerung nur „Edelmetalle und Edelsteine“ als solche ausgenommen, wobei die Definition, was unter „Edelmetalle oder Edelsteine“ zu verstehen ist, den Mitgliedstaaten obliegt. Diese Befugnis ist aber, so der EuGH mit Bezug auf frühere Rechtsprechung, nicht nur durch das Verbot begrenzt, der Formulierung der vom Richtliniengeber geschaffenen Ausnahme durch eine so weite Definition zuwiderzuhandeln, dass dem Begriff „Gebrauchtgegenstände“ der Bedeutungsinhalt genommen würde, sondern auch durch den Neutralitätsgrundsatz.

Daraus folgt, dass ein aus Edelmetallen oder Edelsteinen gefertigter Gegenstand nur dann in die Kategorie „Gebrauchtgegenstände“ i. S. v. Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL fallen kann und nicht unter die von der Differenzbesteuerung ausgenommenen „Edelmetalle oder Edelsteine“, wenn er eine andere Funktion hatte, als sie den Materialien innewohnt, aus denen er besteht, ihm diese unverändert zukommt und er in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar ist. Zu den Faktoren, die zu berücksichtigen sind, um in einem bestimmten Fall zu ermitteln, ob ein wiederverkaufter Gegenstand in die Kategorie „Gebrauchtgegenstände“ oder in die der „Edelmetalle und Edelsteine“ fällt, gehören alle objektiven Umstände, unter denen ein Wiederveräußerungsgeschäft auftritt. Die in der MwStSystRL verwendeten Begriffe sind nämlich von objektivem Charakter und sind unabhängig von Zweck und Ergebnis der betroffenen Umsätze anwendbar. Somit ist der Begriff „Gebrauchtgegenstände“ in Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL dahin auszulegen, dass gebrauchte Gegenstände, die Edelmetalle oder Edelsteine enthalten, nicht erfasst sind, wenn diese Gegenstände ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen können und nur die diesen Metallen und Steinen innewohnenden Funktionen behalten haben. Dies muss das nationale Gericht unter Berücksichtigung aller objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls prüfen.

Praxishinweis

Diese Entscheidung hat auch für das deutsche Recht Bedeutung, hier insbesondere für Pfandleiher. § 25a UStG enthält eine Sonderregelung für die Besteuerung der Lieferungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG von beweglichen körperlichen Gegenständen einschließlich Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten, sofern für diese Gegenstände kein Recht zum Vorsteuerabzug bestand. Sie werden als Gebrauchtgegenstände bezeichnet, weil sie nach der Verkehrsauffassung bereits „gebraucht“ sind. Edelsteine und Edelmetalle sind nach § 25a Abs. 1 Nr. 3 UStG von der Differenzbesteuerung ausgenommen. Edelsteine im Sinne der Vorschrift sind rohe oder bearbeitete Diamanten (Position 7102 Zolltarif) sowie andere Edelsteine (z. B. Rubine, Saphire, Smaragde) und Schmucksteine (Position 7103 Zolltarif). Synthetische und rekonstituierte Edelsteine oder Schmucksteine (Position 7104 Zolltarif) rechnen nicht dazu. Edelmetalle im Sinne der Vorschrift sind Silber (aus Positionen 7106 und 7112 Zolltarif), Gold (aus Positionen 7108 und 7112 Zolltarif) und Platin einschließlich Iridium, Osmium, Palladium, Rhodium und Ruthenium (aus Positionen 7110 und 7112 Zolltarif). Edelmetalllegierungen und -plattierungen gehören grundsätzlich nicht dazu. Aus Edelsteinen oder Edelmetallen hergestellte Gegenstände (z. B. Schmuckwaren, Gold- und Silberschmiedewaren) fallen nicht unter die Differenzbesteuerung. Eine weitergehende als diese in Abschn. 25a.1 Abs. 1 enthaltene Abgrenzung für den Begriff der Gebrauchtgegenstände enthält das deutsche Recht nicht. Aber jedenfalls die im Ausgangsverfahren verkauften Schmuck- und sonstigen aus Edelmetallen hergestellten Gegenstände dürften somit (aus Sicht des deutschen Rechts) nicht unter die Differenzbesteuerung fallen. Dies scheint durch das vorliegende EuGH-Urteil so bestätigt worden zu sein.

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