Guthabenpunkte eines Online-Shops im Hinblick auf Leistungsaustausch und Bemessungsgrundlage

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 05.07.2018, C-544/16, Marcandi Ltd

Praxisproblem

Bei dem britischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um einen Unternehmer M, der einen Online-Handel betreibt, zu dessen Angebot u. a. eine Online-Plattform gehört. Diese ermöglicht es registrierten Nutzern, an Online-Auktionen teilzunehmen, um Gebote für Waren abzugeben und diese zu einem Bruchteil ihres empfohlenen Verkaufspreises zu ersteigern. Außerdem ermöglicht die Plattform es den Nutzern, die „Guthaben“, die zur Teilnahme an den Auktionen erworben und in den Auktionen für unterlegene Gebote für Artikel verbraucht wurden, auf den Preis von Waren anrechnen zu lassen, die im Online-Shop des Unternehmers M zum Verkauf angeboten werden, um diese Waren zu reduzierten Preisen zu erwerben.

Sachverhalt

Unternehmer M ist im Vereinigten Königreich und in anderen Mitgliedstaaten (u. a. in Deutschland) als mehrwertsteuerpflichtig registriert. Das Ausgangsverfahren betraf die mehrwertsteuerliche Behandlung der Geschäftstätigkeiten von M, u. a. um die Fragen,

  • ob M den Nutzern eine Dienstleistung erbringt (insbesondere die Berechtigung zur Teilnahme an Online-Auktionen) und, soweit dies zu bejahen ist, ob diese gegen Entgelt erbracht wird und im Vereinigten Königreich steuerbar ist und
  • welches Entgelt M als Gegenleistung für die an die Nutzer erbrachten Lieferungen von Gegenständen erhält.

Die britische Finanzbehörde war der Auffassung, dass die von den Nutzern der Online-Plattform an M geleisteten Zahlungen für Guthaben das Entgelt für eine Dienstleistung, nämlich für die Einräumung der Berechtigung zur Teilnahme an Online-Auktionen von M, seien und dass der Ort der Dienstleistung im Vereinigten Königreich liege. Der für die Guthaben gezahlte Betrag sei kein Entgelt für von M erbrachte Lieferungen von Gegenständen.

Die Finanzbehörde in Deutschland kam im Wesentlichen zu dem Schluss, dass der ursprüngliche Verkauf von Guthaben an Nutzer keine Leistung im mehrwertsteuerlichen Sinne darstelle. Soweit M eine Lieferung von Gegenständen an einen in diesem MS ansässigen Nutzer erbringe, umfasse das Entgelt für diese Lieferung sowohl den vom Nutzer für die Ware gezahlten Preis, nämlich den Zuschlagspreis, den Buy Now-Preis, oder den Preis im Shop von M abzüglich des Earned Discount, als auch den Wert des Guthabens, das der Nutzer beim Erwerb der Ware, nämlich bei der Abgabe von Geboten zwecks Erlangung des Zuschlags bzw. beim Aufbau der Reduzierung des Buy Now-Preises bzw. beim Aufbau des Earned Discount aufwende. Das Finanzamt stellte ferner fest, dass, soweit ein Nutzer ein Guthaben erworben habe und an einer Auktion teilnehme, jedoch nicht den Zuschlag erhalte, eine elektronische Dienstleistung an den Nutzer vorliege, wenn (und nur wenn) der Nutzer im Weiteren keine Waren auf der M-Website unter Nutzung des Werts dieses Guthabens erwerbe. Das Entgelt für diese Dienstleistung entspreche dem Wert des Guthabens, das für die Abgabe von Geboten in der Auktion verwendet werde. Diese Leistung unterliege der MwSt im Vereinigten Königreich.

Die Entscheidungen der Steuerverwaltungen des Vereinigten Königreichs und der deutschen Finanzbehörde widersprachen einander. M war insoweit der Ansicht, dass eine Doppelbesteuerung vorliegt. Er erbringe keine steuerbaren Leistungen, soweit er seinen Nutzern Guthaben ausstelle. Ein Leistungsaustausch komme nur dann zustande, soweit er Lieferungen an die Nutzer erbringe. Das Entgelt für die Lieferungen umfasse sowohl die Zahlungen der Nutzer für die Ware, nämlich den Zuschlagspreis, den Buy Now-Preis oder den Preis im M-Shop abzüglich des Earned Discount, als auch den Wert des Guthabens, das beim Erwerb der Ware, nämlich bei der Abgabe von Geboten zwecks Erlangung des Zuschlags bzw. beim Aufbau einer Reduzierung des Buy Now-Preises bzw. beim Aufbau eines Earned Discount, verbraucht werde.

Entscheidung

Hinsichtlich der für die von M ausgegebenen „Guthabenpunkte“ erhaltenen Zahlung hat der EuGH entschieden, dass dies die Gegenleistung für die Leistung darstellt, die in der Gewährung der Berechtigung zur Teilnahme an den von M veranstalteten Auktionen besteht. Diese Leistung ist von der Lieferung eines von der Plattform erworbenen Gegenstands zu unterscheiden. Die Zahlung für die Teilnahme an der Auktion erfolgte anders als der Kauf von „Punkte-Rechten“ im EuGH-Urteil v. 16.12.2010, C-270/09, MacDonald Resorts (wo die Zahlungen für den Kunden kein eigenständiges Ziel darstellten, da der Kunde den Ausgangsvertrag nicht in der Absicht schloss, Punkte zu sammeln, sondern im Hinblick auf die vorübergehende Nutzung einer Wohnanlage oder den Erhalt anderer, später auszuwählender Dienstleistungen) zwangsläufig in der Absicht, an den Auktionen teilzunehmen und sind somit steuerbares Leistungsentgelt für das Recht auf Teilnahme an der Auktion.

Was den Wert der Guthabenpunkte betrifft, die für die Abgabe von Geboten eingelöst wurden und für den Erwerb von Gegenständen von der Plattform berechtigen, hat der EuGH entschieden, dass dieser Wert (der bereits die Gegenleistung für das Recht auf Teilnahme an den Auktionen darstellt) nicht auch Gegenleistung für einen anderen Umsatz sein kann und auch keine Anzahlung für einen anderen Umsatz. Zudem kann die Gegenleistung für die Lieferung eines Gegenstands, für den bei einer Auktion der Zuschlag erteilt wurde, nicht den Betrag enthalten, der für die Ausgabe von im Rahmen der Auktion eingelösten „Guthabenpunkten“ gezahlt wurde, sondern einzig und allein den Preis, zu dem für den Gegenstand der Zuschlag erteilt wurde sowie Versandkosten und Bearbeitungsgebühren. Auch kann dieser Betrag nicht in der Gegenleistung für die spätere Lieferung von Gegenständen enthalten sein, die mittels der „Buy-Now“- oder der „Earned-Discount“-Funktion gekauft werden. Der Wert der für die Abgabe von Geboten verwendeten „Guthabenpunkte“, der auf den ursprünglichen „Buy-Now“-Preis bzw. auf den Preis im Online-Shop angerechnet wird, ist nach dem EuGH-Urteil als Rabatt auf den Preis der über die „Buy-Now“- oder die „Earned-Discount“-Funktion erworbenen Gegenstände anzusehen. Daher ist der Wert dieser „Guthabenpunkte“ nicht nach Art. 79 Buchst. b MwStSystRL Teil der Bemessungsgrundlage für die Lieferung der Gegenstände. Das ist nach dem EuGH-Urteil auch dann der Fall, wenn im Rahmen des Kaufs von Gegenständen mittels der „Buy-Now“- oder der „Earned-Discount“-Funktion der Wert der für die Abgabe von Geboten verbrauchten „Guthabenpunkte“ den ursprünglichen, sich aus der Nutzung der „Buy-Now“- oder der „Earned-Discount“-Funktion ergebenden Preis vollständig abdeckt. In einem solchen Fall erworbene Gegenstände können nach dem EuGH-Urteil anders als nach dem EuGH- Urteil v. 27.04.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum, nicht als unentgeltlich abgegeben gelten, da sie im Austausch gegen eine bestimmbare Gegenleistung, nämlich den ursprünglichen Preis, der sich aus der Nutzung der „Buy-Now“-Funktion ergibt, bzw. den im Online-Shop ausgewiesenen Preis geliefert werden.

Praxishinweis

Der EuGH war prinzipiell aufgefordert, eine Entscheidung über den Leistungsaustausch bzw. die Bemessungsgrundlage der verschiedenen Leistungen in diesem speziellen Fall zu treffen. Das Urteil hat insoweit aber auch Bedeutung für das deutsche Umsatzsteuerrecht. Der EuGH ist nicht der Rechtsauffassung des deutschen Finanzamts gefolgt, dass die Zahlung für die Guthabenpunkte grds. kein steuerbares Leistungsentgelt darstellt. Zudem hat der EuGH klargestellt, dass die Gegenleistung für einen spezifischen Umsatz nicht gleichzeitig auch Gegenleistung eines anderen Umsatzes sein kann. Wenn bei einer Auktion die gezahlte Gebühr oder ein Teil davon für die Teilnahme an der Auktion auf die Gegenleistung für den Erwerb eines Auktionsgegenstands angerechnet wird, stellt dies nach dem EuGH-Urteil eine Entgeltminderung dar.

Nicht entschieden hat der EuGH, welche Art von Dienstleistung das im Ausgangsfall verschaffte Recht auf Teilnahme an den Online-Auktionen (ob elektronische Dienstleistung oder nicht) darstellt.

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