BFH zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs infolge erfolgreicher Insolvenzanfechtung

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 29.03.2017, XI R 5/16

Praxisproblem

§ 251 Abs. 2 AO bestimmt, dass die Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) bei der Vollstreckung von Steuerforderungen unberührt bleiben. Hieraus folgt: Insolvenzrecht geht vor Steuerrecht. Bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind damit die Vorschriften des Insolvenzrechts vorrangig. Entstehung und Höhe der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bestimmen sich aber auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nach den Vorschriften des Steuerrechts.

Das „Insolvenzsteuerrecht“ ist seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) am 01.01.1999 durch zahlreiche Entscheidungen des BFH, des BGH und des BAG geprägt worden. Ein „Klassiker“ in diesem Bereich ist die Frage, ob ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung oder als Masseverbindlichkeit einzuordnen ist.

Mit Urteil vom 29.03.2017 entschied der XI. Senat des BFH, dass eine  Vorsteuerberichtigung auf-grund einer Rückzahlung an den Insolvenzverwalter infolge einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung als Masseverbindlichkeit und nicht als Insolvenzforderung zu beurteilen ist. Damit bestätigte der XI. Senat die jüngste Rechtsprechung des V. Senats in dieser Sache (vgl. BFH, Urt. v. 15.12.2016, V R 26/16) als auch die Auffassung der Finanzverwaltung (OFD Koblenz, Vfg. v. 23.08.2013, S 0550 A – St 34 1).

Sachverhalt

Das Amtsgericht A eröffnete mit Beschluss vom 22.04.2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Y und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Y war Unternehmer und besteuerte seine Umsätze nach vereinbarten Entgelten (sog. Sollbesteuerung). Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte Y Zahlungen an seine Gläubiger für an sein Unternehmen ausgeführte Lieferungen und sonstige Leistungen getätigt und den Vorsteuerabzug geltend gemacht. Der Kläger focht diese Zahlungen nach § 129 InsO an. Die Gläubiger leisteten im Jahr 2013 Rückzahlungen.

Der Kläger erklärte die Rückzahlung unter der Steuernummer der Insolvenzmasse in der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2013 (Streitjahr) als nach § 17 Abs. 1 S. 2 UStG geschuldete Umsatzsteuer. Mit Schreiben vom 07.11.2014 beantragte der Kläger, die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 0 € festgesetzt wird.

Der Finanzamt (Beklagte) lehnte diesen Antrag ab. Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass die aus der Vorsteuerberichtigung resultierende Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit darstelle und somit bei der Festsetzung der Umsatzsteuer 2013 für die Masse zu berücksichtigen sei.

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück.

Gewährt ein Gläubiger des Insolvenzschuldners Beträge, die er vor Insolvenzverwaltung vom Insol-venzschuldner vereinnahmt hat, nach Verfahrenseröffnung infolge einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung in die Insolvenzmasse zurück, hat der Insolvenzverwalter im Zeitpunkt der Rückzahlung den Vorsteuerabzug nach § 17 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG zu berichtigen. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 1 S. 2 UStG führt zu einer Masseverbindlichkeit.

Uneinbringlich i.S.v. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist ein Entgelt, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann. Die Forderungen der Gläubiger des Y sind durch Rückgewähr (nachträglich) uneinbringlich geworden. Aufgrund der Rückgewähr lebten die ursprünglichen Zahlungsansprüche der Gläubiger des Y wieder auf. Wegen der Insolvenz des Y sind diese als Insolvenzforderung uneinbringlich nach § 17 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG geworden. Bei Uneinbringlichkeit einer Forderung aus Lieferungen oder sonstigen Leistungen ordnet § 17 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG an, dass korrespondierend zur Umsatzsteuerberichtigung beim Leistenden auch der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug zu berichtigen hat.

Bei der Berichtigung nach § 17 Abs. 1 S. 2 UStG handelt es sich um einen eigenständigen Steuertatbestand, der sich nicht in der bloßen Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs erschöpft. Der durch Entgeltrückgewähr begründete Anspruch des Finanzamtes aus Berichtigung des Vorsteuerabzugs stellt eine Masseverbindlichkeit des Insolvenzverwalters dar, da der Berichtigungstatbestand nach § 17 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 UStG erst durch Rückzahlung des Entgelts verwirklicht wird und die Rückzahlungen der Gläubiger des Y erst nach Verfahrenseröffnung in die Masse erfolgten.

Praxishinweis

Unter den Aktenzeichen V R 43/16 und XI R 18/16 sind weitere Revisionsverfahren anhängig, die die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeit und Insolvenzforderung bei Vorsteuerberichtigung nach erfolgreicher Insolvenzanfechtung betreffen. Aufgrund der einheitlichen Rechtsprechung der beiden Umsatzsteuersenate des BFH ist nicht damit zu rechnen, dass in den genannten Revisionsverfahren vom Besprechungsfall abweichende Entscheidungen ergehen.

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