EuGH zur Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen neuer Fahrzeuge

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 14.06.2017, C-26/16, Santogal M - Comércio e Reparação de Automóveis Ldas

Praxisproblem

Bei dem portugiesischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen neuer Fahrzeuge nach Art. 131 und 138 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL. Das vorlegende Gericht wollte im Wesentlichen wissen, ob es zulässig ist, die Steuerbefreiung nur dann zu gewähren, wenn der Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat niedergelassen oder wohnhaft ist.

Sachverhalt

Die Klägerin, ein Fahrzeughandelsunternehmen, das einer portugiesischen Organschaft S angehört, verkaufte im Januar 2010 ein hochwertiges Neufahrzeug im Wert von ca. 500.000 € an einen vermeintlich in Spanien wohnhaften Angolaner, der eine spanische Ausländeridentitätsnummer besaß und die einen bestimmten Wohnort in Spanien auswies. Beim Kauf des Fahrzeugs gab der Erwerber eine andere spanische Wohnadresse an, die die Klägerin in der Rechnung als Lieferadresse auswies. Der Klägerin wurde zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs eine Kopie des von der Republik Angola ausgestellten Reisepasses sowie ein im Mai 2008 von einer spanischen Behörde ausgestelltes Dokument vorgelegt, in dem unter Anführung der Ausländeridentitätsnummer bescheinigt wurde, dass der angolanische Staatsbürger in das zentrale Ausländerregister Spaniens eingetragen wurde. Nach der Überprüfung des Fahrzeugs in Spanien übermittelte der Erwerber der Klägerin auf deren Ersuchen – entsprechend den von dem Organträger S erteilten Instruktionen – die als „Technische Fahrzeugüberprüfungskarte“ und „Zulassungsbescheinigung“ bezeichneten Dokumente zum Abschluss des Verkaufsprozesses. In der im Februar 2010 ausgestellten „Zulassungsbescheinigung“ war als Wohnsitz des Erwerbers der in der Fahrzeugrechnung angegebene verzeichnet. Später teilten (auf Anfrage der portugiesischen Steuerbehörde) die spanischen Behörden mit, dass der Fahrzeugkäufer nicht als Einwohner in Spanien gemeldet war und dass er in Spanien nie irgendwelche Einkünfte erklärt habe.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die Steuerbefreiung des Art. 138 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL

  • nicht davon abhängt, dass der Erwerber des Fahrzeugs im Bestimmungsmitgliedstaat niedergelassen oder wohnhaft ist;
  • nicht allein deshalb verweigert werden darf, dass das gelieferte Fahrzeug nur vorübergehend im Bestimmungsmitgliedstaat für den Straßenverkehr zugelassen wird;
  • es nicht erlaubt, dass der Verkäufer eines neuen Fahrzeugs, das vom Erwerber in einen anderen Mitgliedstaat befördert und in diesem Mitgliedstaat zugelassen wird, später verpflichtet wird, die Mehrwertsteuer zu entrichten, wenn nicht bewiesen ist, dass die vorüberhegende Zulassung ausgelaufen ist und dass die Mehrwertsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat entrichtet wurde oder wird;
  • und die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes es nicht erlauben, dass der Verkäufer eines neuen Fahrzeugs, das vom Erwerber in einen anderen Mitgliedstaat befördert und in diesem Mitgliedstaat vorübergehend zugelassen wird, im Fall eines vom Erwerber begangenen Steuerbetrugs später verpflichtet wird, die Mehrwertsteuer zu entrichten, sofern nicht anhand objektiver Elemente bewiesen ist, dass der Verkäufer wusste oder hätte wissen müssen, dass  seine Lieferung mit einem Steuerbetrug des Erwerbers verknüpft war, und dass er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine Beteiligung an diesem Steuerbetrug zu verhindern. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies auf der Grundlage einer umfassenden Beurteilung aller Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände des Ausgangsverfahrens der Fall ist.

In seiner Begründung verweist der EuGH darauf, dass die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrer Systematik und Zielsetzung voraussetzt, dass der Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat der Lieferung niedergelassen oder wohnhaft ist. Der Wohnsitz des Erwerbers eines neuen Fahrzeugs ist zwar ein einschlägiges Element für die Zwecke der umfassenden Beurteilung, mit der der Ort des Endverbrauchs ermittelt werden soll; er allein kann nach dem Urteil jedoch nicht die Einstufung als innergemeinschaftlicher Erwerb und seine Befreiung unter den in Art. 138 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL vorgesehenen Voraussetzungen bedingen. Zudem können eine Voraussetzung der Niederlassung oder des Wohnsitzes des Erwerbers im Bestimmungsmitgliedstaat auch nicht auf Art. 131 MwStSystRL gestützt werden, weil dies gegen die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse verstoßen würde, den Grundsatz der Steuerneutralität in Frage stellen könnte und zudem die Gefahr der Doppelbesteuerung zur Folge haben könnte.

Auch die Zulassung des neuen Fahrzeugs im Bestimmungsmitgliedstaat gehört nach der Entscheidung nicht zu den materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung. Diese kann daher nicht allein deshalb verweigert werden, weil die im Bestimmungsmitgliedstaat erteilte Zulassung für den Straßenverkehr nur vorübergehend ist. Die Erteilung einer solchen Zulassung bedeutet nach dem Urteil nicht automatisch, dass sich der Ort der endgültigen Verwendung nicht in diesem Bestimmungsmitgliedstaat befindet. Auch insoweit kann eine Versagung der Steuerbefreiung nicht auf Art. 131 MwStSystRL gestützt werden.

Zur dritten Frage betreffend die Möglichkeit, den Verkäufer eines neuen Fahrzeugs später zur Nachversteuerung des Umsatzes zu verpflichten, verweist der EuGH auf die Beweislast des Verkäufers für das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen. Zudem verweist er auf die Besonderheit, dass bei innergemeinschaftlichen Umsätzen mit neuen Fahrzeugen die Mehrwertsteuer im Bestimmungsmitgliedstaat auch von Privatpersonen (Nichtunternehmern) zu entrichten ist, für die die Erklärungs- und Rechnungslegungspflichten nicht gelten und die kein Vorsteuerabzugsrecht besitzen, weshalb ein größeres Betrugsrisiko bestehe. Für die Frage, ob ein Umsatz mit einem neuen Fahrzeug als „innergemeinschaftlicher Erwerb“ einzustufen ist, ist daher eine umfassende Beurteilung aller objektiven tatsächlichen Umstände vorzunehmen, die für die Feststellung maßgebend sind, ober der erworbene Gegenstand das Gebiet des Liefermitgliedstaats tatsächlich verlassen hat und wenn ja, in welchem Mitgliedstaat sein Endverbrauch stattfinden wird. Der EuGH verweist aber auch darauf, dass der Nachweis, den der Verkäufer eines neuen Fahrzeugs für die Beförderung/Versendung durch den Erwerber erbringen kann, wesentlich von den Angaben des Erwerbers abhängt. Zudem bezieht er sich auf seine Rechtsprechung, wonach vom Verkäufer nicht verlangt werden kann, Beweise für die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs durch den Erwerber vorzulegen. Es kann auch nicht vorausgesetzt werden, dass der Mitgliedstaat der endgültigen Verwendung des neuen Fahrzeugs im Vorhinein bestimmt ist. Daher kann der Verkäufer, wenn er Unterlagen zum Nachweis der Beförderung/Versendung des neuen Fahrzeugs durch den Erwerber in einen anderen Mitgliedstaat sowie der – wenn auch nur vorübergehenden – Zulassung des Fahrzeugs und dessen Verwendung in diesem Mitgliedstaat vorlegt, nicht verpflichtet sein, den schlüssigen Beweis zu erbringen, dass dieses Fahrzeug im Bestimmungsmitgliedstaat einer endgültigen Verwendung zugeführt worden und die vorübergehende Zulassung, ggf. nach Zahlung der Mehrwertsteuer, ausgelaufen ist.

Zur vierten Vorlagefrage betreffend die Möglichkeit zur Versagung der Steuerbefreiung wegen Beteiligung an einem Steuerbetrug des Erwerbers verweist der EuGH auf seine allgemeinen Grundsätze zur Besteuerung bei Betrugsbeteiligung sowie auf die Prüfungszuständigkeit des vorlegenden Gerichts.

Praxishinweis

Nach dem Wortlaut des Art. 138 Abs. 2 Buchst. a MwStSystRL setzt die Steuerbefreiung für die Lieferung neuer Fahrzeuge nicht voraus, dass der Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat eine Niederlassung oder einen Wohnsitz hat. Diese Voraussetzung hätte jedoch aus Art. 131 MwStSystRL folgen können, wonach die Steuerbefreiungen unter den Bedingungen angewandt werden, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen. Dies hat der EuGH verneint.

In Deutschland setzt die Steuerbefreiung für die Lieferung neuer Fahrzeuge nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 c i.V.m. § 1b UStG und § 17c Abs. 4 UStDV nicht voraus, dass der Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat niedergelassen oder wohnhaft ist. In den Fällen innergemeinschaftlicher Lieferungen von Fahrzeugen, die durch den Abnehmer befördert werden und für die eine Zulassung für den Straßenverkehr erforderlich ist, kann der liefernde Unternehmer den Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung z.B. wie folgt führen: durch einen Nachweis über die Zulassung des Fahrzeugs auf den Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat der Lieferung; dabei ist eine einfache Kopie der Zulassung ausreichend. Der Nachweis der Zulassung muss die Fahrzeug-Identifikationsnummer enthalten. Ein Nachweis der Zulassung des Fahrzeugs im übrigen Gemeinschaftsgebiet auf eine andere Person als den Erwerber, d.h. den Abnehmer der Lieferung, ist kein ausreichender Nachweis (vgl. Abschn. 6a. 5 Abs. 16 UStAE). Dies ist aber nur eine Nachweisvorschrift der Verwaltung, der keine materiell-rechtliche Bedeutung zukommt und die auch nach dem vorliegenden Urteil weiter Bedeutung hat.

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