FG München zum Vertreter ohne Vertretungsmacht, zur innergemeinschaftlichen Lieferung und zum Vertrauensschutz

Anmerkung zu: FG München, Urt. v. 20.10.2016, 14 K 1770/13

Praxisproblem

Im vorliegenden Streitfall hatte sich das FG München mit den Folgen einer mißglückten Fiskalvertretung auseinander zu setzen, als Ergebnis derer der Fiskalvertreter als Vertreter ohne Vertretungsmacht zum Einfuhrabgabenschuldner geworden war. Die angemeldeten Einfuhrwaren waren im vorliegenden Verfahren nicht für den deutschen Markt bestimmt, sondern sollten im Anschluss an die Einfuhr in die übrige europäische Union weitergeliefert werden. Zur Anwendung kam damit das sog. „Zollverfahren 4200“ – und damit die Beantragung der Steuerbefreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG.

In der Praxis bereitet den Wirtschaftsbeteiligten bereits die richtige Abwicklung des Zollverfahrens 4200 Schwierigkeiten. Wird dies allerdings mit der Fiskalvertretung kombiniert, entstehen besondere Schwierigkeiten, weil sich der Beteiligte an der direkten Nahtstelle von Umsatzsteuer und Zoll bewegt.

Sachverhalt

Ein türkischer Unternehmer veräußerte Teppiche an einen Abnehmer in Frankreich, die auf Geheiß des französischen Abnehmers zur Lieferkondition „DDU frei verzollt“ aus der Türkei nach Frankreich verbracht wurden. Die Klägerin des Verfahrens ist  eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach österreichischem Recht (X GmbH), die bis zum Jahr 2014 eine Spedition betrieb. Ihre deutsche Zweigniederlassung gab am 07.11.2011  in Deutschlandeine Zollanmeldung für die türkischen Teppi-che zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr mit unmittelbar anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung nach Frankreich ab. Als Anmelder und Empfänger fungierte der in Frankreich ansässige Abnehmer Die Klägerin trat als direkte Vertreterin sowie als Fiskalvertreterin des französischen Abnehmers auf. Sie hatte sich am Tag der Zollanmeldung vom österreichischen Bundesministerium für Finanzen bestätigen lassen, dass die frz. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) gültig war.

Das Zollamt nahm die Zollanmeldung an und verlangte vor abschließender Abgabenfestsetzung die Vorlage eines Frachtbriefes mit Firmenstempel und Originalunterschrift des Empfängers. Die daraufhin von der KLägerin eingereichte Vollmacht wies einige Unregelmäßigkeiten auf. Ermittlungen des HZA ergaben daraufhin, dass sich der französische Abnehmer   bereits seit dem 21.04.2011 – und damit zeitlich vor der Einfuhrzollabfertigung - in Liquidation befunden hatte. Das HZA vertrat daher die Auffassung, dass der zum Zeitpunkt der Einfuhrzollabfertigung bereits in Liquidation befindliche Abnehmerkeine wirksame Vollmacht zur Vertretung gegenüber den Zollbehörden mehr habe ausstellen können. Die X GmbH habe daher im Rahmen der Einfuhrzollabfertigung als Vertreterin ohne Vertretungsmacht gehandelt und gelte gem. Art. 5 Abs. 4 UAbs. 2 Zollkodex - ZK (heute: Art.18 UZK) als in eigenem Namen und für eigene Rechnung handelnd. Aus diesem Grund setzte das HZA mit Abgabenbescheid vom 12.04.2012 Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) in Höhe von 12.454,50 € gegen die X GmbH fest. Ein von der X GmbH eingelegter Rechtsbehelf blieb erfolglos.

Nach Ermittlungen des Zollfahndungsamtes seien die Teppiche von Istanbul in Frankreich zum Wei-tertransport in die Niederlande zu einem weiteren Abnehmer abgeladen worden. In Slowenien, der damaligen Außengrenze der Europäischen Union (EU), waren die Teppiche zum externen Versandverfahren mit Carnet TIR abgefertigt worden. In keinem der genannten Länder wurden der Vorgang steuerlich gemeldet oder Steuern abgeführt.

Die X GmbH machte daraufhin im Klagewege geltend, dass nach der Dokumentenlage die Teppiche vom türkischen Verkäufer an den französischen Abnehmer verkauft bzw. geliefert worden seien. Die Klägerin geht davon aus, dass die Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung objektiv erfüllt waren. Die USt-IdNr. des französischen Abnehmers liege als Buchnachweis vor; diese sei auf Anfrage qualifiziert bestätigt worden. Auf den französischen Abnehmer als Empfänger lautende CMR-Frachtbriefe sowie Waren- und Fiskalrechnungen lägen als Belegnachweise vor. Zudem habe die Klägerin weder Kenntnis noch Anhaltspunkte gehabt, dass die Waren wohl Gegenstand von Steuerbetrügereien gewesen sein könnten. Es sei vielmehr durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen, dass der französische Abnehmer die Gegenstände vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekauft und an den niederländischen Endabnehmer weiterverkauft habe. Die fehlende Verzollungsvollmacht sei ohne Bedeutung, weil die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung sicher nachgewiesen sei. Zudem sei die X GmbH gutgläubig von dem Vorliegen einer wirksamen Verzollungsvollmacht und einem innergemeinschaftlichen Verbringen durch den französischen Abnehmer ausgegangen.

Des Weiteren trägt die Klägerin vor,  dass ihr Vertrauensschutz zustünde und zwar entweder nach § 6a Abs. 4 UStG analog oder als ungeschriebener Grundsatz des steuerlichen Unionsrechts.

Sollte die Vollmacht tatsächlich unwirksam sein und könne sie sich nicht auf Vertrauensschutz beru-fen, stelle sich angesichts des Vorliegens einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Deutschland über Frankreich in die Niederlande gleichwohl die Frage, ob sie Schuldnerin der deutschen EUSt geworden sei; denn eine tatsächliche Einfuhr in Deutschland liege nicht vor. Einfuhr i.S.d. MwStSystRL bedeute, dass die eingeführten Gegenstände im Einfuhrmitgliedstaat auch tatsächlich verwendet würden. Zweifellos seien die fraglichen Gegenstände aber nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden verwendet worden, d.h. in den freien Verkehr gelangt, so dass die niederländische EUSt entstanden sein könne. Erhebe Deutschland eine EUSt auf Gegenstände, die in dem anderen Mitgliedstaat Niederlande tatsächlich eingeführt und verwendet worden seien, verstoße dies gegen die MwStSystRL.

Entscheidung

Nach Auffasung des FG München ist die Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer in der Person der Klägerin zu Recht erfolgt. Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt der streitgegenständliche Vorgang eine steuerbare Einfuhr im Inland im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG dar.

Auch wenn das UStG keine Regelungen dahingehend trifft, unter welchen Voraussetzungen von einer steuerbaren „Einfuhr“ i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG auszugehen ist, lässt sich der Begriff der „Einfuhr“ anhand von Art. 30 MwStSystRL bestimmen. Danach gilt als Einfuhr eines Gegenstands die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Artikels 24 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV; jetzt: Art. 29 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV) befindet, in die Gemeinschaft. Wann von einer nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG steuerbaren Einfuhr „im Inland“ auszugehen ist, folgt aus den Bestimmungen in § 1 Abs. 2 UStG und Art. 60 und 61 MwStSystRL.

Hier erfolgte die Einfuhr der Teppiche mit der Beendigung des externen Versandverfahrens in Deutschland und der Abfertigung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr in Deutschland gem. Art. 61 MwStSystRL im Inland. Entgegen der Auffassung der Klägerin setzt der Begriff der „Einfuhr im Inland“ nicht voraus, dass der Gegenstand in den inländischen Wirtschaftskreislauf eingegangen ist. Eine solche Einschränkung ergebe sich insbesondere nicht aus dem Urteil des EuGH vom 02.06.2016 (C-226/14 und C-228/14, Eurogate Distribution, ZfZ 2016, 193). Vielmehr sieht der EuGH den Tatbestand der Einfuhr als erfüllt, wenn die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union überhaupt gelangt sind – und dies ist vorliegend erfolgt. Die streitgegenständlichen Teppiche sind mit der Überlassung zum freien Verkehr nicht nur in den Wirtschaftskreislauf der Union, sondern auch in den inländischen Wirtschaftskreislauf eingegangen. Sobald das externe Versandverfahren beendet war, befanden sich die Teppiche nicht mehr unter zollamtlicher Überwachung und konnten einem Verbrauch im Inland zugeführt werden. Dass diese konkrete Gefahr nur vorübergehend bestand, weil die Teppiche von Deutschland aus weiter nach Frankreich und von dort in die Niederlande transportiert wurden, stehe einer Einfuhr im Inland nicht entgegen.

In Ermangelung einer Steuerbefreiung war die steuerbare Einfuhr der Klägerin auch steuerpflichtig. Nach Ansicht des FG München lagen die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung von der EUSt im Streitfall nicht vor,  weil die dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nach geforderte Identität zwischen Schuldner der EUSt und Lieferer fehlt. Die X GmbH war vorliegend zwar mangels wirksamer Vertretungsmacht seitens des französischen Abnehmers Schuldner der EUSt geworden, jedoch hatte sie zu keinem Zeitpunkt Verfügungsmacht über die Waren. Damit konnte sie die Teppiche nicht zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen verwenden.

Selbst wenn man von einer wirksamen Vertretungsmacht ausgehen würde, lägen die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Auffassung des FG München nicht vor, da der französische Abnehmer im Zeitpunkt der Einfuhr unstreitig nicht mehr geschäftlich aktiv und nach den strafgerichtlichen und vom Kläger nicht substantiiert bestrittenen Feststellungen nur zum Schein zwischengeschaltet war. Der bereits seit April 2011 tätige Liquidator der Y hatte die Einfuhren weder veranlasst noch hatte er Kenntnis hiervon.

Weiterhin kann der Kläger der Besteuerung der Einfuhr auch nicht entgegenhalten, dass er Vertrauensschutz nach dem Rechtsgedanken des § 6a Abs. 4 UStG genieße, weil er davon ausgehen habe können, dass sich an die Einfuhr ein steuerfreies innergemeinschaftliches Verbringen anschließt. Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, so ist die Lieferung nach § 6a Abs. 4 UStG gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Auf vermeintliche Verbringensfälle (§ 6a Abs. 2 UStG) ist die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG schon deshalb nicht anwendbar, weil sie Personenverschiedenheit von Lieferer und Abnehmer voraussetzt. Beim innergemeinschaftlichen Verbringen gilt jedoch der Unternehmer im Abgangsmitgliedstaat als Lieferer (§ 3 Abs. 1a Satz 2 UStG) und im Bestimmungsmitgliedstaat als Erwerber (§ 1a Abs. 2 Satz 2 UStG). Das Ziel des § 6a Abs. 4 UStG, das Risiko des gutgläubigen Lieferers zu mildern und an dessen Stelle den täuschenden Abnehmer in die Verantwortung zu nehmen, ist im Falle einer Personenidentität nicht zu erreichen. Dementsprechend verweist § 6a Abs. 4 UStG in seinem Satz 1 auch nur auf die vermeintliche innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a Abs. 1 UStG, nicht aber auf dessen zweiten Absatz. Unabhängig davon gehört der Spediteur, der als vollmachtloser Vertreter mit der Zollanmeldung den Antrag auf Befreiung von der EUSt gestellt hat, nicht zum geschützten Personenkreis des § 6a Abs. 4 UStG. Die Bestimmung dient ihrem eindeutigen Wortlaut nach dem Schutz des liefernden Unternehmers, der bei innergemeinschaftlichen Lieferungen weitgehend auf die Angaben des Abnehmers angewiesen ist. Mit der Regelung soll das Risiko einer Täuschung durch den Abnehmer zwischen dem gut-gläubigen Unternehmer und dem Staat angemessen verteilt werden.

Für die X GmbH hat sich im vorliegenden Fall nicht das Risiko einer Täuschung über die Steuerfreiheit verwirklicht, sondern das allgemeine Risiko eines Stellvertreters, der ohne eine entsprechende Vertretungsmacht eine Zollanmeldung abgibt.

Vertrauensschutz der Klägerin bestand daher nach Auffassung des FG München daher nicht.

Praxishinweis

Bei Nutzung des Verfahrenscodes 42XX gibt der Anmelder gegenüner den Zollbehörden an, Waren im Anschluss an die Einfuhrabfertigung unmittelbar zur Ausführung einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a UStG) verwenden zu wollen und beantragt entsprechend die Steuerfreiheit von der Einfuhrumsatzsteuer nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG. Gegenüber den den Zollbehörden kann sich der Beteiligte im Rahmen der Abgabe der Zollanmeldung und der Beantragung der Steuerbefreiung von der Einfuhrumsatzsteuer durch einen Zollvertreter im Sinne von Art. 18 Abs. 1 UZK vertreten lassen.

Ein Fiskalvertreter ist hingegen ein Vertreter gegenüber den Finanzbehörden im Rahmen der Abgabe von Umsatzsteueranmeldungen und -erklärungen. Dieser kann personenidentisch zum Zollvertreter sein; zwingend ist dies aber – wie im vorliegenden Fall - nicht. Die Anwendung der Fiskalvertretung setzt voraus, dass der vertretene Unternehmer im Inland nicht ansässig ist,im Inland ausschließlich steuerfreie Umsätze ausführt und keine Vorsteuerbeträge abzieht.

So kann der ausländische Unternehmer bei Einfuhren in Deutschland mit anschließender Weiterlieferung in die übrige europäische Union entscheiden, ob er neben dem Zollvertreter zur Vertretung gegenüber den Finanzbehörden im Rahmen der Umsatzsteuer einen Fiskalvertreter einschaltet. Es ist aber sowohl aus dem Gesichtspunkt der Abgabenschuld für die Einfuhrabgaben als auch bzgl. der Abgabe umsatzsteuerrelevanter Erklärungen von besonderer Bedeutung, sich um die entsprechenden Vertretungsvollmachten zu bemühen. Denn wird der Unternehmer aufgrund fehlender Vollmacht seines Zollvertreters nicht zum Abgabenschuldner, ist die Steuerbefreiung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht anwendbar und die Einfuhrumsatzsteuer wird erhoben. In diesem Fall wiederum ist die Anwendung der Fiskalvertretung für den restlichen Veranlagungszeitraum ausgeschlossen und der leistende Unternehmer muss sich zur Ausführung der sich an die Einfuhr anschließenden Lieferung in die übrige europäische Union zwingend in Deutschland zur Umsatzsteuer registrieren lassen. Unternehmen sind daher gut beraten, Abfertigungen unter Verwendung des Verfahrens 42 sorgfältig zu planen, um nicht Gefahr zu laufen, Vereinfachungen zu verlieren.

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