EuGH untermauert erneut Recht auf rückwirkenden Vorsteuerabzug

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 26.04.2018, C-81/17, Zabrus Siret SRL

Praxisproblem

Der Vorsteuerabzug ist von einem Unternehmer für den Besteuerungszeitraum geltend zu machen, in dem die Berechtigung zum Vorsteuerabzug entstanden ist; für einen späteren Besteuerungszeitraum kann die Vorsteuer nicht abgezogen werden. Bei dem rumänischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs auf der Basis eines Verfahrensrechts, das eine nachträgliche Geltendmachung des Vorsteuerabzugs für einen Besteuerungszeitraum, der bereits einer Außenprüfung unterlag, nicht gestattet ist.

Sachverhalt

Der Kläger machte im Mai 2015 einen Vorsteuerüberhang für den Besteuerungszeitraum April 2015 geltend. Teilweise betraf dies Eingangsleistungen, die Ausgangsumsätzen in vorhergehenden Besteuerungszeiträumen (2014) zuzuordnen waren, welche bereits Gegenstand einer Außenprüfung waren. Ursache der späteren Geltendmachung des Vorsteuerabzugs waren nach dem Vortrag des Klägers Buchungsfehler und das spätere Auffinden von Belegen. Die rumänische Finanzbehörde begründete ihre Versagung des Vorsteuerabzugs mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Steuerprüfung bzw. damit, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge zu Umsätzen gehörten, die in einem Zeitraum bewirkt worden seien, der Gegenstand einer vorhergehenden MwSt-Prüfung gewesen sei, die mit der Erstellung des Steuerprüfungsberichts abgeschlossen worden sei. In Anbetracht der rumänischen Verfahrensvorschriften stehe der Grundsatz der Einheitlichkeit der Steuerprüfung einer neuerlichen Prüfung und der Erstattung der geforderten Beträge entgegen, da sie sich auf Umsätze aus einem bereits geprüften Zeitraum bezögen, Der Kläger wendet sich gegen die Vorsteuerversagung und beruft sich auf den Grundsatz der Steuerneutralität und Verhältnismäßigkeit und die hierzu ergangene EuGH-Rechtsprechung.

Vor diesem Hintergrund wollte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs aus Kosten, die in Zusammenhang mit Umsätzen aus bereits geprüften Zeiträumen stehen und die Versagung der Berichtigung von Steuererklärungen wegen Flüchtigkeitsfehlern für bereits geprüfte Zeiträume im Einklang mit der MwStSystRL sowie dem Neutralitätsgrundsatz und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Regelungen der MwStSystRL über das Recht auf Vorsteuerabzug sowie die Grundsätze der Effektivität, der Steuerneutralität und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach es - in Abweichung von der für Berichtigungen von Mehrwertsteuererklärungen im nationalen Recht vorgesehenen Verjährungsfrist von 5 Jahren - einem Steuerpflichtigen verwehrt ist, zur Geltendmachung seines Rechts auf Vorsteuerabzug eine Berichtigung vorzunehmen, nur weil die Berichtigung einen Zeitraum betrifft, der bereits Gegenstand einer Prüfung war. Der EuGH bezieht sich dabei auf seine ständige Rechtsprechung, wonach das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug zu den fundamentalen Grundsätzen des Mehrwertsteuersystems gehört und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann.

Der EuGH stellt aber auch fest, dass die Möglichkeit, den Vorsteuerabzug ohne jede zeitliche Beschränkung auszuüben, dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwider liefe. Eine Verjährungsfrist für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugsrechts steht daher den Regelungen der MwStSystRL nicht grundsätzlich entgegen. Allerdings muss eine solche Frist in gleicher Weise für nationale Steuern wie auch für die (auf Unionsrecht beruhende) Umsatzsteuer gelten und die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts darf nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden.

Diese vorgenannte Voraussetzung hat der EuGH im vorliegenden Sachverhalt als nicht gegeben angesehen. Nach der Entscheidung verwehrt die nationale rumänische Regelung dem Steuerpflichtigen eine Berichtigung seiner USt-Erklärung, wenn für den betreffenden Zeitraum bereits eine Prüfung stattgefunden hat und es somit zu einer Verkürzung der Verjährungsfrist kommt. Beginnt die Steuerprüfung unmittelbar oder kurz nach der Abgabe der Steuererklärung, wird - so der EuGH - die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts durch den Steuerpflichtigen in Wirklichkeit unmöglich oder jedenfalls übermäßig erschwert. Eine derartige Regelung steht auch den Grundsätzen der Steuerneutralität und der Verhältnismäßigkeit entgegen, da im Ausgangsverfahren gerade die Nichtbeachtung bestimmter formeller Anforderungen zur Ablehnung des Vorsteuerabzugs geführt hatte.

Weiter hat der EuGH entschieden, dass der nationale Gesetzgeber Strafen vorsehen kann, um die Steuerpflichtigen zur Einhaltung der formellen Anforderungen anzuhalten. Aber auch solche Strafen sind nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu bemessen. Für den vorliegenden Sachverhalt hat der EuGH eine Strafe, die im Ergebnis einer absoluten Verwehrung des Vorsteuerabzugs entsprechen würde, für unangemessen gehalten. Etwas anderes kann aber gelten, wenn ein Betrug oder eine Schädigung des Staatshaushalts nachgewiesen wird.

Praxishinweis

Das deutsche Recht ist von dem Urteil grds. nicht betroffen. Zum einen regelt das deutsche UStG – anders als das rumänische Umsatzsteuerrecht – nicht, dass Vorsteuerbeträge auf Eingangsumsätze in dem Zeitraum geltend zu machen sind, in dem die zugehörigen Ausgangsumsätze getätigt wurden. Der Vorsteuerabzug kann bei Berichtigung der formellen Abzugsvoraussetzungen (insbesondere ordnungsgemäße Rechnung) für den Besteuerungszeitraum der entsprechenden Berichtigung ausgeübt werden. Aufgrund der jüngeren EuGH- und BFH-Rechtsprechung zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung bzw. (Un)Beachtlichkeit formeller Abzugsvoraussetzungen dürfte künftig wohl auch ein rückwirkender Vorsteuerabzug bzw. ein Vorsteuerabzug trotz Nichtbeachtung bestimmter formeller Anforderungen in Betracht kommen.

Auch ist eine Änderung/Berichtigung von USt-Festsetzungen grundsätzlich auch dann möglich, wenn die betreffenden Besteuerungszeiträume bereits Gegenstand einer Prüfung waren. Für eine Änderung/Berichtigung müssen aber jeweils die weiteren Voraussetzungen der einschlägigen AO-Vorschriften (Korrekturvorschriften bzw. Einspruch) erfüllt sein. Ein Vorbehalt der Nachprüfung ist nach einer Prüfung aufzuheben (§ 164 Abs. 3 S. 3 AO).

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