EuGH verneint rückwirkende Wirksamkeit der Kleinunternehmerregelung bei Missachtung nationaler Anzeigepficht

Anmerkung zu: EuGH, Urt. vom 17.05.2018, C-566/16, Dávid Vámos

Praxisproblem

Nach § 19 Abs. 1 UStG ist die Steuer, die ein im Inland ansässiger Kleinunternehmer für seine steuerpflichtigen Umsätze schuldet, unter bestimmten Voraussetzungen (zwingend) nicht zu erheben. Der Unternehmer kann dem Finanzamt aber erklären, dass er auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG verzichtet. Er unterliegt damit der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des UStG. Bei dem ungarischen Vorabentscheidungsersuchen war fraglich, ob eine nationale Regelung gegen das Unionsrecht verstößt, nach der die Steuerbehörde anlässlich einer nachträglichen Steuerprüfung die Möglichkeit, die subjektive Steuerbefreiung (Kleinunternehmerregelung) zu wählen, deshalb ausschließen kann, weil der Steuerpflichtige dieses Wahlrecht nur zum Zeitpunkt der Anzeige der Aufnahme seiner steuerpflichtigen Tätigkeit ausüben kann.

Sachverhalt

Der Kläger hatte seit 2007 mehrere hundert Verkäufe getätigt, die Einnahmen aus seiner geschäftlichen Tätigkeit in seinen Steuererklärungen jedoch nicht angegeben. Bei einer Außenprüfung stellte die Finanzbehörde fest, dass für die Jahre 2012 und 2013 die Umsatzhöhen unter der ungarischen Kleinunternehmergrenze (§ 188 Abs. 2 HU-MwStG) lagen und der Unternehmer zur Kleinunternehmerregelung hätte optieren können. Der Steuerpflichtige übte seine Tätigkeit ohne Genehmigung, ohne eine Steuernummer zu besitzen und ohne Gesellschafter einer Handelsgesellschaft zu sein aus und stellte über die Verkäufe keine Belege, Quittungen oder Rechnungen aus. Seit dem 22.01.2014 ging der Kläger neben einer Tätigkeit auf fremde Rechnung mit einem Umfang von mehr als 36 Wochenstunden einer Tätigkeit als Einzelunternehmer nach. Zu diesem Zeitpunkt − als er sich als Mehrwertsteuerpflichtiger anmeldete − wählte der Kläger die Kleinunternehmerregelung.

Die Finanzbehörde stellte fest, dass der Steuerpflichtige seiner gesetzlichen Anzeigepflicht nicht nachgekommen sei, und setzte daher ein Bußgeld gegen ihn fest sowie Mehrsteuern für die Jahre 2012 bis 2014. Da der Kläger sich erst am 22.01. 2014 bei der Steuerbehörde angemeldet habe, habe sein Recht auf Anwendung der Kleinunternehmerregelung vor diesem Zeitpunkt nicht bestanden.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass es zulässig ist, einem Steuerpflichtigen die rückwirkende Anwendung der Kleinunternehmerregelung zu versagen, wenn dieser zwar alle materiellen Voraussetzungen erfüllt, bei Aufnahme seiner wirtschaftlichen Tätigkeit aber das Wahlrecht zur Anwendung der Sonderregelung (die wie eine Steuerbefreiung wirkt) nicht ausgeübt hat.

Zur Begründung verweist der EuGH darauf, dass die Sonderregelung für Kleinunternehmer für die Mitgliedstaaten fakultativ ist und ihnen insoweit ein Ermessenspielraum zusteht. Zudem weist er auf Art. 273 MwStSystRL hin, wonach die Mitgliedstaaten weitere Pflichten vorsehen können, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden. Die Entscheidung des ungarischen Gesetzgebers, die Anwendung der Kleinunternehmerregelung an eine entsprechende Wahl des Steuerpflichtigen zu knüpfen, die keine Rückwirkung hat, bewegt sich nach dem EuGH-Urteil im Rahmen des den Mitgliedstaaten eingeräumten Ermessensspielraums. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Grundsatz der steuerlichen Neutralität sowie allgemein der Grundsatz der Gleichbehandlung und der Grundsatz der Rechtssicherheit sind gewahrt.

Praxishinweis

Das deutsche Recht ist dem Urteil nach nicht unmittelbar betroffen. Anders als nach ungarischem Recht findet die Kleinunternehmerreglung nach § 19 UStG von Gesetzes wegen Anwendung, wenn der Unternehmer nicht ausdrücklich darauf verzichtet (§ 19 Abs. 2 UStG). Diese Ausgestaltung der Sonderregelung für Kleinunternehmer dürfte durch den Ermessenspielraum der Mitgliedstaaten gedeckt sein. Fraglich kann in diesem Zusammenhang aber sein, ob es aus Sicht des Gesetzgebers - insbesondere zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug - sinnvoll sein könnte, die Anwendung der Kleinunternehmerregelung an eine ausdrückliche und vorherige Option des Unternehmers zu knüpfen, sodass insbesondere Steuerpflichtige die (wie im Ausgangsverfahren) ihrer Pflicht zur steuerlichen Registrierung nicht (rechtzeitig) nachkommen und ihre Umsätze nicht erklären, nicht rückwirkend von der Kleinunternehmerregelung profitieren können.

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