Lieferung, Finanzdienstleistung, Tankkartenumsätze – Verwirrungen beim EuGH

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 2019, C-235/18, Vega International Car Transport and Logistic – Trading GmbH

Praxisproblem

Bei dem polnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die umsatzsteuerliche Behandlung der Bereitstellung von Tankkarten vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils v. 06.02.2003, Auto Lease Holland, C-185/0. Streitig war der Vorsteuerabzug aus dem Erwerb von Kraftstoffen (wobei unklar bleibt, ob es sich um die Erstattung im normalen Besteuerungsverfahren oder im Vorsteuervergütungsverfahren handelte).

Sachverhalt

Die Klägerin, eine österreichische Muttergesellschaft, tätigte die Überführung von Nutzfahrzeugen verschiedener Hersteller vom Werk direkt zum Kunden, wobei sie sich offenbar ihrer Tochtergesellschaften (die die Beförderungsdienstleistungen an die Klägerin erbrachten) bediente. Die zu überführenden Fahrzeuge wurden unter Verwendung persönlicher (den Fahrern zugeordneter) Tankkarten betankt. Aus organisatorischen Gründen und wegen der Höhe der Kosten wurden alle Tankkartenumsätze zentral von der Muttergesellschaft getätigt und ihren Tochtergesellschaften in einer Reihe von Ländern, u. a. Polen, in Rechnung gestellt. Nach den vertraglichen Vereinbarungen versorgte die Klägerin alle Unternehmen des Konzerns mit Tankkarten verschiedener Anbieter. Auf die Umsätze mit diesen Karten stellte sie den konzernangehörigen Gesellschaften eine Gebühr von 2 % in Rechnung.

Im Ausgangsverfahren ging es um die Vorsteuer aus Kraftstofferwerben zugunsten einer polnischen Tochtergesellschaft. Die polnische Finanzbehörde lehnte die Erstattung der MwSt ab, da der Kraftstoff tatsächlich nicht von der Klägerin, sondern der polnischen Tochtergesellschaft gekauft worden sei. Unter Verweis auf das EuGH-Urteil v. 06.02.2003, Auto Lease, C-185/01, war die Behörde der Auffassung, dass es sich bei einer Übereinkunft über Kraftstoffverwaltung nicht um Kraftstofflieferungen handele, sondern um einen Vertrag über die Finanzierung des Bezugs von Kraftstoff. Die Klägerin betreibe die Finanzierung des Erwerbs von Gegenständen und Dienstleistungen unter Verwendung der Tankkarten, die der polnischen Tochtergesellschaft zur Verfügung gestellt worden seien. Bei der Finanzierung dieser Umsätze habe die Klägerin nicht darüber entscheiden können, wie und zu welchem Zweck der Kraftstoff verbraucht werden solle. Daher handele es sich um steuerfreie Gelddarlehen.

Die Klägerin wandte sich gegen die Ablehnung der MwSt-Erstattung. Sie erbringe keine steuerbefreite Finanzdienstleistung, da sie keine Darlehen vergebe und auch kein Kapital gegen Entgelt zur Verfügung stelle. Sie erbringe komplexe Dienstleistungen der Überführung von Fahrzeugen auf eigener Achse, wobei sie teilweise wegen der Fahrerrouten Unteraufträge an die polnische Tochtergesellschaft erteile. Sie erbringe mehrwertsteuerpflichtige (Reihen-)Lieferungen von Kraftstoff, die zum Vorsteuerabzug berechtigten.

Das erstinstanzliche Gericht bestätigte die Versagung der MwSt-Erstattung. Nach den Feststellungen dieses Gerichts bezog die polnische Tochtergesellschaft Kraftstoff direkt von den Tankstellen, während die Klägerin ihr zwar Tankkarten zur Verfügung stelle, unter deren Verwendung dieser Kraftstoff bezogen werde, aber keine Einfluss auf den Zeitpunkt, die Menge und die Art der Verwendung dieses Kraftstoffs nehme. Daher sei sie nicht berechtigt, über diesen Kraftstoff wie ein Eigentümer zu verfügen; dieses Recht stehe der polnischen Tochtergesellschaft zu, die Kraftstoff erwerbe. Die Klägerin erbringe eine Finanzdienstleistung, denn sie finanziere (vorläufig) den Erwerb von Kraftstoff, wozu sie durch den Vertrag über die Nutzung von Tankkarten innerhalb des -Konzerns verpflichtet sei.

Die Klägerin war dagegen der Ansicht, dass sie einen tatsächlichen und reellen Einfluss darauf habe, wie, in welcher Menge und zu welchem Preis der Treibstoff unter Verwendung ihrer Tankkarten bezogen werde und folglich nicht angenommen werden könne, dass es sich bei den  Leistungen, die sie für die polnische Gesellschaft erbringe, um Finanzdienstleistungen handele.

Vor diesem Hintergrund wollte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 135 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL die Bereitstellung von Tankkarten, sowie das Aushandeln, die Finanzierung und die Abrechnung des Erwerbs von Kraftstoffen unter Verwendung dieser Karten umfasst oder ob diese mehraktigen Handlungen als Reihengeschäfte eingestuft werden können, deren Hauptzweck die Lieferung von Kraftstoff ist.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die Grundsätze seines Urteils v. 06.02.2003, C-185/01, Auto Lease Holland, auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar sind. Die Klägerin könne im vorliegenden Fall über den Kraftstoff, für dessen Kauf sie die Erstattung der MwSt beantragt, nicht verfügen, als wäre sie sein Eigentümer. Der Kraftstoff werde nämlich von der Tochtergesellschaft direkt bei den Anbietern und nach eigenem Ermessen gekauft. Deshalb entscheide die Tochtergesellschaft vor allem über die Modalitäten des Kraftstoffkaufs, da sie wählen könne, bei welcher Tankstelle von den durch die Klägerin mitgeteilten Anbietern sie mit Kraftstoff betankt, und über die Qualität, die Menge, die Art des Kraftstoffs sowie den Zeitpunkt des Kaufs und die Art der Verwendung frei entscheiden könne. Es sei unstreitig, dass die Tochtergesellschaft auch sämtliche mit dem Betanken verbundenen Kosten trage, da die Klägerin ihr den Kraftstoff in Rechnung stelle. Ferner könne die Tochtergesellschaft Rechnungen über die Verwendung von Tankkarten entweder mit Rechnungen an die Klägerin verrechnen oder sie direkt innerhalb von ein bis drei Monaten ab ihrem Erhalt begleichen.

Damit ist, so der EuGH, nicht davon auszugehen, dass die Kraftstofflieferung an die Klägerin erfolgt und diese (im Rahmen eines Reihengeschäfts) an die Tochtergesellschaft weiterliefert und dadurch ihrerseits eine Kraftstofflieferung an tätigt. Die Klägerin beschränke sich darauf, der Tochtergesellschaft unter Verwendung von Tankkarten ein einfaches Instrument zur Verfügung zu stellen, das ihr den Kauf des Kraftstoffs ermöglicht, und damit im Rahmen des Kraftstofferwerbs nur die Rolle eines Vermittlers spielt.

Die Dienstleistung der Klägerin an die Tochtergesellschaft besteht nach dem EuGH-Urteil in einer steuerfreien Kreditgewährung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. b UStG. Die Klägerin finanziert den Kauf von Kraftstoff vor und fungiert hierzu wie ein gewöhnliches Finanz- oder Kreditinstitut. Nach Rz. 47 des EuGH-Urteils werden sämtliche Umsätze, die unter Verwendung von Tankkarten bewirkt werden, die von der Klägerin ihren Tochtergesellschaften zur Verfügung gestellt werden, von der Klägerin zentralisiert, die von den Kraftstoffanbietern Rechnungen erhalte, die insbesondere den Kauf von Kraftstoff mit Mehrwertsteuer belegten. Am Ende jedes Monats stelle die Klägerin ihren Tochtergesellschaften dann den für die Überführung von Fahrzeugen bereitgestellten Kraftstoff mit einem Zuschlag von 2 % in Rechnung. Schließlich hätten die Tochtergesellschaften Rechnungen über die Verwendung der Tankkarten entweder mit Rechnungen an die Klägerin zu verrechnen oder sie innerhalb von ein bis drei Monaten ab ihrem Erhalt zu begleichen. Nach Rz. 48 des EuGH-Urteils erhält die Klägerin dadurch, dass sie bei der Tochtergesellschaft diesen Zuschlag von 2 % erhebt, eine Vergütung für die an die Tochtergesellschaft erbrachte Finanzdienstleistung.

Praxishinweis

In seinem Urteil Auto Lease, C-185/01 hatte der EuGH festgestellt, dass im dortigen Ausgangsverfahren die Mineralölgesellschaften den Leasingnehmern die Verfügungsmacht über den Kraftstoff übertragen haben, da die Leasinggeberin unstreitig zu keiner Zeit darüber entscheiden konnte, wie und wozu der Kraftstoff verwendet wurde. Die Übereinkunft über Kraftstoffverwaltung sei somit kein Vertrag über Kraftstofflieferung, sondern vielmehr ein Vertrag über die Finanzierung des Bezugs von Kraftstoff. Der EuGH war daher zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Kraftstofflieferung des Leasinggebers an den Leasingnehmer vorliegt.

Im vorliegenden Streitfall ist aus dem EuGH-Urteil heraus nicht unmittelbar erkennbar, welche konkreten Leistungs- und Vertragsbeziehungen bestanden. Es ist z. B. nicht erkennbar, wie die Unteraufträge an die Konzerngesellschaften konkret ausgestaltet waren, in wessen Namen und auf wessen Rechnung die Betankung erfolgte, ob die Klägerin – wie von ihr vorgetragen – einen tatsächlichen und reellen Einfluss auf die Menge und den Preis der unter Verwendung der Tankkarte bezogenen Treibstoffe hatte oder nicht (so das Gericht 1. Instanz), ob eine Einkaufskommission vorlag, ob die Bereitstellung der Tankkarten an die Konzernunternehmen eine Finanzierungsfunktion hatte und ob die Gebühr von 2 % der Abgeltung von Verwaltungskosten oder Vorfinanzierungskosten diente.

Die Klägerin erhielt von den Kraftstoffverkäufern Rechnungen über den Erwerb von Kraftstoffen (so Rz. 14 des EuGH-Urteils zum Sachverhalt; demgegenüber heißt es in Rz. 29 der Entscheidung in der englischen Sprachfassung, die deutsche ist insoweit unklar, dass die Tochtergesellschaften, für die die Klägerin tätig wird, der Klägerin Rechnungen ausstellen, die den Kauf von Kraftstoff mit Mehrwertsteuer belegen, deren Erstattung die Klägerin bei der polnischen Steuerverwaltung beantragt hat). In Rz. 47 des Urteils heißt es wiederum, dass die Klägerin von den Kraftstoffanbietern Rechnungen erhält, die insbesondere den Kauf von Kraftstoff mit MwSt belegen. Somit bleibt unklar, wem (exakt als Leistungsempfänger) der Kraftstoffverkäufer eine Rechnung über den Verkauf des Kraftstoffs ausgestellt hat. Hat er der Klägerin diese Rechnung ausgestellt, läge insoweit ein unberechtigter Steuerausweis (analog zu § 14c Abs. 2 UStG) vor, weil der Klägerin nach dem EuGH-Urteil keine Verfügungsmacht an dem Kraftstoff verschafft wurde. Hat die Tochtergesellschaft der Klägerin eine Rechnung über den Bezug von Kraftstoff ausgestellt (worauf Rz. 29 des EuGH-Urteils hindeutet), könnte dies darauf schließen lassen, dass die Tochtergesellschaft den Kraftstoff an die Klägerin weiter liefern wollte. Dies passt aber weder zu der vertraglichen Gestaltung, weil nach dem Vortrag ja gerade die Klägerin der Tochtergesellschaft Verfügungsmacht an dem Kraftstoff verschaffen wollte, noch zu dem Ergebnis, das der EuGH gefunden hat. Auch in diesem Fall läge ein unberechtigter Steuerausweis (hier seitens der Tochtergesellschaft) vor.

Die Vorlagefrage zielte wohl in erster Linie auf eine Sachverhaltswürdigung ab, die jedoch nicht in die Zuständigkeit des EuGH fällt und für die der Sachverhalt auch zu viele Frage offen ließ. Daher war kaum zu erwarten, dass der EuGH über seine bisherigen Grundsätze zum Vorliegen von (Reihen-)Lieferungen oder steuerfreien Finanzdienstleistungen hinausgehen würde, die er im Urteil Auto Lease, C-185/01 geäußert hatte.

Zu Behandlung von Kraftstofflieferungen im Kfz-Leasingbereich vgl. das BMF-Schreiben v. 15.06.2004.

Auch wenn normale Reihengeschäfte über Einkaufsgesellschaften etc. wohl nicht betroffen sind, so sind vergleichbare Geschäftsmodelle nach diesem EuGH auf Anpassungsbedarf zu prüfen. Das USt Team der AWB hilft Ihnen gern weiter.

 

 

 

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