Vorsteuerabzug, Scheingeschäfte, Unzutreffender Steuerausweis in der Rechnung

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 08.05.2019, C-712/17 (EN.SA. Srl)

Praxisproblem

Bei dem italienischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um das Recht auf Vorsteuerabzug aus Rechnungen über tatsächlich nicht erbrachte Leistungen (Scheingeschäfte) auf dem italienischen Elektrizitätsmarkt, wobei die in Rechnung gestellte MwSt abgeführt wurde.

Sachverhalt

Das Ausgangsverfahren betraf den Vorsteuerabzug aus vermeintlichen Lieferungen von Elektrizität, die nach den Feststellungen der italienischen Steuerbehörde nur zu dem Zweck fingiert wurden, in der Buchhaltung große Beträge auszuweisen, um Zugang zu Bankfinanzierungen zu erhalten. Nach Auffassung der italienischen Behörde erfolgten die Scheingeschäfte in "zirkulärer" Art und Weise innerhalb einer Unternehmensgruppe G. Offenbar wurden auch Weiterlieferungen fingiert. Die ausgewiesene MwSt wurde ordnungsgemäß entrichtet. Die Steuerbehörde versagte der Klägerin den Vorsteuerabzug aus den (Schein)Lieferungen und verhängte daneben eine Geldbuße. Eine Berichtigung der in der Rechnung ausgewiesenen MwSt ist nach den italienischen Vorschriften nur innerhalb einer Jahresfrist möglich zu sein. Diese war im Ausgangsverfahren abgelaufen.

Die Klägerin machte geltend, dass sie, obwohl sie über keine echte Organisationsstruktur verfüge, im Elektrizitätssektor als Händler und Großhändler tätig gewesen sei, ohne jedoch der Gruppe G anzugehören. Sie sei nicht verpflichtet, ihre Umsätze auf der Energieplattform (PCE) zu registrieren, da es insoweit keinen tatsächlichen physischen Stromaustausch gegeben habe, als sie auf der Grundlage von Termingeschäften tätig geworden sei, die anhand der entsprechenden Verträge und Rechnungen nachgewiesen worden seien, deren formale Rechtmäßigkeit nicht bestritten worden sei. Der – von der Klägerin bestrittene – Zweck, eine bessere Finanzierung durch die Banken zu erhalten, sei steuerlich nicht relevant.

Das vorlegende Gericht sah die zirkulären Geschäfte offenbar nicht als Steuerhinterziehung an. Da diese keine fiskalischen Schäden zur Folge hätten, stellte es mit seinen Vorlagefragen die italienischen Regelungen in Frage, wonach der Vorsteuerabzug (mehrmals) versagt wird, die MwSt auf die Scheingeschäfte zu entrichten ist (und nicht berichtigungsfähig ist) und eine Sanktion in Höhe der nicht abzugsfähigen Vorsteuer verhängt wird.

Entscheidung

Die Frage, ob die MwStSystRL in einer Situation, in der fiktive Verkäufe von Elektrizität, die in einer „zirkulären“ Art und Weise zwischen denselben Händlern und für dieselben Beträge durchgeführt wurden, nicht zu Verlusten von MwSt-Einnahmen durch den Fiskus geführt haben, einer nationalen Regelung entgegen steht, die den Vorsteuerabzug für die fiktiven Eingangsumsätze ausschließt und zugleich die Personen, die die MwSt in der Rechnung ausweisen, verpflichtet, diese Steuer auch für einen fiktiven Umsatz abzuführen, hat der EuGH verneint. Allerdings muss das nationale Recht erlauben, die sich aus dieser Verpflichtung ergebende Steuerschuld zu berichtigen, wenn der Aussteller der Rechnung, der nicht gutgläubig war, die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat. Dem Mechanismus der MwSt ist aber immanent, dass ein fiktiver Umsatz nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen kann.

Die Frage, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Rechtsvorschrift, nach der der zu Unrecht vorgenommene Vorsteuerabzug mit einer Geldbuße in Höhe des durchgeführten Vorsteuerabzugs bestraft wird, entgegensteht, hat der EuGH bejaht. Die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 100 % der zu Unrecht abgezogenen Vorsteuer führt dazu, dass die hinsichtlich der Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL (Steuerschuld bzgl. unzutreffenden Steuerausweises in der Rechnung) gebotene Berichtigungsmöglichkeit leerläuft. Selbst wenn die Steuerschuld mangels Gefährdung des Steueraufkommens berichtigt werden kann, verbleibt aufgrund dieser Geldbuße eine Geldschuld in Höhe der zu Unrecht abgezogenen Vorsteuer. Dies ist nach Auffassung des EuGH unverhältnismäßig.

Praxishinweis

Die deutsche Rechtslage ist von dem Urteil nicht unmittelbar betroffen, da ein unrichtiger Steuerausweis grds. berichtigungsfähig ist. Auch entspricht es der EuGH-Rechtsprechung, dass ein Vorsteuerabzug aus Scheingeschäften auch dann nicht besteht, wenn die MwSt beim Rechnungsaussteller nicht berichtigt wird; der Neutralitätsgrundsatz wird durch die von den Mitgliedstaaten vorzusehende Möglichkeit gewahrt, jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zu berichtigen, wenn der Rechnungsaussteller seinen guten Glauben nachweist oder wenn er die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat (vgl. EuGH-Urt. v. 31.01.2013, C-642/11, Stroy trans). Zugleich wird aber auch sehr deutlich, dass der EuGH einer „Überkompensation“ mit Umsatzsteuer, welche zu einer Bereicherung des Fiskus führen würde eine klare Absage erteilt. Dies wird im Rahmen der Ausgestaltung des neuen § 25f UStG – E (i.d.F. des Referentenentwurfs v. 08.05.2019) zu berücksichtigen sein.

 

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