FG Münster zur Rückwirkung der Rechnungsberichtigung nach der EuGH-Entscheidung „Senatex“

Anmerkung zu: FG Münster, Urt. v. 01.12.2016, 5 K 1275/14 U

Praxisproblem

Nach dem Grundprinzip der Umsatzsteuerneutralität (nach dem europäischen Begriffsverständnis: Mehrwertsteuerneutralität) soll die Umsatzsteuer den Unternehmer nicht belasten, sondern nur den Endverbraucher. Soweit die Theorie – in der Praxis verhält es sich dagegen oftmals so, dass die Umsatzsteuer zu einem Kostenfaktor für den Unternehmer wird. Hintergrund ist, dass die Umsatzsteuer an vielen Stellen von formalen Verpflichtungen durchdrungen ist. Nicht nur im Rahmen von grenzüberschreitenden Umsatzgeschäften, in denen vor allem die Buch- und Belegnachweise (§§ 8 bis 17 UStDV für Ausfuhrlieferungen und §§ 17a bis 17c UStDV für innergemeinschaftliche Lieferungen) geführt werden müssen, sondern auch in rein national geprägten Umsätzen wirkt die Umsatzsteuer wegen ihres Formalismus oftmals belastend für den Unternehmer. Diese Belastungswirkung trifft nicht nur den leistenden Unternehmer, sondern gerade im Anwendungsbereich des Vorsteuerabzugs ist der leistungsempfangende Unternehmer betroffen.

Was die formellen Hürden des Vorsteuerabzugs betrifft, sorgt die Entscheidung des EuGH in der Rs. „Senatex“ (C-518/14, EU:C:2016:691, DStR 2016, 2211) nunmehr für Erleichterung auf Seiten der Unternehmer, die Leistungen für ihr Unternehmen beziehen. Die bis dato umstrittene Frage, ob die Berichtigung einer Rechnung auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung zurückwirkt oder aber „erst“ im Zeitpunkt der Berichtigung der Rechnung wirkt, ist zugunsten des ursprünglichen Ausstellungszeitpunkts entschieden worden. Diese Rechtsprechung hat vor allem Einfluss auf die Frage der Verzinsung von zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuer, wenn Eingangsrechnungen nicht den Anforderungen nach §§ 14, 14a UStG entsprechen. Diesen Rechtsprechungsgrundsätzen des EuGH hat sich der BFH angeschlossen. Bereits in zwei Entscheidungen vom 20.10.2016 (V R 26/15 und V R 54/14) setzt der BFH die Vorgaben des EuGH um und änderte damit insoweit seine langjährige Rechtsprechung. Die Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 01.12.2016 ist ein Beleg dafür, dass die geänderte Rechtsprechung auch auf Ebene der Fachgerichte angewendet wird. Allein eine Änderung der Verwaltungsauffassung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass steht noch aus.

Sachverhalt

Gegenstand der Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 01.12.2016, 5 K 1275/14 U war die Umsatzsteuer für die Jahre 2007 bis 2010. Die Klägerin betrieb in den Streitjahren eine Schweinemast sowie einen Agrarservice. Sie unterlag nicht der Durchschnittssatzbesteuerung für Landwirte nach § 24 UStG, sondern der Regelbesteuerung. Im Rahmen einer Betriebsprüfung kam der Betriebsprüfer zu dem Ergebnis, dass die Klägerin den Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen geltend gemacht hatte, die sie nicht als Rechnungsempfängerin auswiesen. Ferner stellte er fest, dass die Klägerin Vorsteuer aus Gutschriften in Abzug gebracht hatte, die keine Angaben über die Steuernummer und/ oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) des leistenden Unternehmers enthielten. Auf der Grundlage der Prüfungsfeststellungen kürzte der Prüfer die geltend gemachten Vorsteuern. Bereits vor Erlass der geänderten Bescheide korrigierte die Klägerin die beanstandeten Rechnungen bzw. Gutschriften, indem sie die Rechnungen um den Leistungsempfänger und die Gutschriften um die Steuernummer und/ oder USt-IdNr. des leistenden Unternehmers ergänzte. Gegen die Änderungsbescheide legte die Klägerin Einspruch ein, der vom Beklagten unter Hinweis auf die fehlende Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Entscheidung

Das Finanzgericht Münster hat sich mit Urteil vom 01.12.2016 der Rechtsprechung des EuGH angeschlossen und entschieden, dass auf der Grundlage von Art. 167, Art. 178 Buchst. a), Art. 179 und Art. 226 Nr. 3 MwStSystRL die Berichtigung von zwingenden Angaben einer Rechnung auf den Zeitpunkt zurückwirkt, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde.

Dies bedeutet, dass Rechnungen, die im Zeitpunkt ihrer Ausstellung nicht sämtliche der nach § 14 Abs. 4 UStG oder § 14a UStG erforderlichen Pflichtangaben enthalten, berichtigt werden können und dass diese Berichtigung nach richtlinienkonformer Auslegung der nationalen Vorschriften des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG und §31 Abs. 5 UStDV auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnungsausstellung zurückwirkt. Folglich kann der Vorsteuerabzug aus einer berichtigten Rechnung im Besteuerungszeitraum der ursprünglich „fehlerhaft“ ausgestellten Rechnung ausgeübt werden. Für die Berichtigung einer Rechnung kommt es nach Ansicht des FG Münster entscheidend darauf an, dass es sich bei dem Dokument, das berichtigt werden soll, auch bereits im Zeitpunkt der Ausstellung um eine Rechnung im Sinne des Umsatzsteuerrechts handelt. Dies bedeutet, dass das Dokument die wesentlichen Rechnungsbestandteile, zu denen das Finanzgericht Münster Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt sowie zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthalten muss, um überhaupt berichtigt werden zu können. Kurz gesagt: Nicht jede Rechnungsangabe kann mit Rückwirkung nachträglich korrigiert oder ergänzt werden. Fehlen bereits die für eine Rechnung notwendigen Angaben, führt deren Ergänzung bzw. Korrektur lediglich dazu, dass es sich um Erstrechnungen, nicht aber um eine berichtigte Rechnung handelt.

Diese Unterscheidung führte im Streitfall im Ergebnis dazu, dass das Gericht nur den Vorsteuerabzug aus den berichtigten Dokumenten zuließ, die bereits im Zeitpunkt ihrer Ausstellung die wesentlichen Rechnungsangaben enthielten. Soweit die Dokumente den Leistungsempfänger nicht benannten, entschied das Gericht, dass es sich nach der Ergänzung desselben nicht um berichtigte Rechnungen, sondern um Erstrechnungen handelte. In der Konsequenz ließ es den Vorsteuerabzug erst in dem Besteuerungszeitraum zu, in welchem die Belege sämtliche Angaben nach § 14 Abs. 4 UStG enthielten. Etwas anderes galt in Bezug auf die Gutschriften. Da die Gutschriften sämtliche der unverzichtbaren Mindestanforderungen enthielten und nur um die Steuernummer bzw. USt-IdNr. ergänzt werden mussten, war der Vorsteuerabzug aus den Gutschriften zu gewähren. Ein anderer Teil der streitigen Gutschriften konnte allerdings mangels der Mitarbeit des Leistungsempfängers nicht mehr korrigiert werden, sodass diese Gutschriften nicht sämtliche der nach § 14 Abs. 4 UStG erforderlichen Angaben enthielten. Obschon die materiellen Voraussetzungen für das Recht zum Vorsteuerabzug gegeben waren, versagte das Gericht unter Hinweis auf die fehlenden formellen Bedingungen den Vorsteuerabzug.

Praxishinweis

Die Entscheidung des FG Münster ist aus zwei Gründen interessant. Zum einen darf die Rechtsprechungsänderung zugunsten der Rückwirkung der Rechnungsberichtigung nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht aus jedem Dokument, das berichtigt oder um Rechnungsangaben ergänzt wird, der Vorsteuerabzug möglich ist. Wie das Finanzgericht Münster deutlich hervorhebt, ist die Berichtigung einer Rechnung nur in den Fällen möglich, in denen von Anfang an eine Rechnung vorlag. Enthält ein Dokument keine Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer, führt auch die nachträgliche Ergänzung der nach § 14 Abs. 4 UStG oder § 14a UStG erforderlichen Pflichtangaben nicht dazu, dass es sich bei dem ursprünglichen Dokument um eine Rechnung handelt, die berichtigungsfähig wäre. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich auch weiterhin, im Unternehmen eine Prüfung der Eingangsrechnungen um die für den Vorsteuerabzug notwendigen Pflichtangaben zu etablieren. Positiv ist an der Rechtsprechungsänderung, dass sich diese Rechnungseingangsprüfung auf die fünf wesentlichen Rechnungsbestandteile

  1. Rechnungsaussteller
  2. Leistungsempfänger
  3. Leistungsbeschreibung
  4. Entgelt
  5. gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer

konzentrieren kann, um die formellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs zu gewährleisten.

Allerdings ist angesichts einer weiteren Entscheidung des EuGH fraglich, ob es aus unionsrechtlicher Sicht für den Vorsteuerabzug überhaupt zwingend einer Rechnung bedarf (EuGH, Urt. v. 15.09.2016, C-516/14, Barlis 06 - Investimentos Imobiliarios e Turisticos).

Zum anderen ist die Entscheidung interessant, weil sie ein Beleg dafür ist, dass eine Rechnungsberichtigung nicht autonom durchgeführt werden kann, sondern grundsätzlich vom „Wohl und Wehe“ des leistenden Unternehmers abhängt. Da Liefer- und Leistungsbeziehungen einem steten Wechsel unterliegen können, ist es wichtig, die Rechnungseingangsprüfung zeitnah vorzunehmen, um im Zweifel schnell auf mögliche Fehler oder Ungenauigkeiten reagieren zu können.

Die Entscheidung verdeutlicht zum einen, dass im Falle des Aufgriffs fehlerhafter Rechnungen die Fehlerhaftigkeit mittels Rechnungsberichtigung in vielen Fällen mit den Vorsteuerabzug erhaltender Rückwirkung beseitigt werden kann. In der Abwehrsituation ist dies eine sehr dienliche Rechtsprechung, welche aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass auch zukünftig eine Rechnungseingangsprüfung stattfinden sollte. Diese Rechnungseingangsprüfung muss möglichst einfach und effizient und zugleich sicher ausgeführt werden. Das Team der AWB hilft Ihnen gern in der Abwehrsituation sowie in der Vorfeld (Prozess-) Beratung.

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