Vorsteuerabzug und dessen Versagung bei zeitweiliger Löschung der USt-IdNr.

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 07.03.2018, C-159/17, Întreprinderea Individuală Dobre M. Marius

Praxisproblem

Bei dem rumänischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung der Art. 167, 168, 169 und 179 sowie Art. 213 Abs. 1, Art. 214 Abs. 1 Buchst a und Art. 273 MwStSystRL zum Vorsteuerabzug. Das Vorlagegericht wollte wissen, ob diese Bestimmungen einer nationalen Regelung widersprechen, die unter den Umständen des Ausgangsverfahrens einen Unternehmer, dessen mehrwertsteuerliche Registrierung gelöscht wurde, verpflichtet, MwSt abzuführen, die er in dem Zeitraum vereinnahmt hat, in dem seine MwSt-Identifikationsnummer gelöscht war, ihm aber nicht das Recht zuerkennt, die MwSt auf in diesem Zeitraum getätigte Erwerbe als Vorsteuer abzuziehen.

Nach rumänischem Recht löscht die Finanzverwaltung die mehrwertsteuerliche Registrierung einer Person von Amts wegen, wenn diese Person innerhalb eines Kalenderhalbjahres keine Umsatzsteuererklärung abgegeben hat. Steuerpflichtige, deren Registrierung gelöscht wurde, sind im entsprechenden Zeitraum nicht berechtigt, die MwSt auf ihre Vorbezüge als Vorsteuer abzuziehen, aber verpflichtet, die vereinnahmte MwSt auf in diesem Zeitraum getätigten steuerbare Umsätze abzuführen.

Der Kläger (Einzelunternehmen) betreibt ein Unternehmen mit Post- und Kuriertätigkeiten und wurde im Juli 2011 mehrwertsteuerlich registriert. Da er für das Quartal IV/2011 und das Quartal I/2012 keine Mehrwertsteuererklärungen abgab, löschte das FA die mehrwertsteuerliche Registrierung zum 01.08.2012. Im Januar 2014 reichte der Kläger Erklärungen für das Quartal IV/2011 und die Quartale I/2012 und II/2012 ein, beantragte aber keine erneute mehrwertsteuerliche Registrierung. Im Zeitraum 01.08.2012 bis 31.07.2013, in dem der Kläger nicht als Unternehmer registriert war, erbrachte er Dienstleistungen gegenüber juristischen Personen, wobei er die Rechnungen bis 31.07.2013 mit MwSt-Ausweis und für den Zeitraum 01.08.2013 bis 31.12.2014 ohne MwSt-Ausweis ausstellte. In den genannten Zeiträumen hatte der Kläger Vorbezüge, die für sein Unternehmen bestimmt waren und zahlte die in den Rechnungen ausgewiesene MwSt an seine Kunden. Der Kläger erstellte aber keine nach rumänischem Recht vorgesehene „Erklärung über die Mehrwertsteuer“, die von Unternehmern abzugeben ist, deren MwSt-Identifikationsnummer gelöscht wurde“ (Formular 311).

Entscheidung

Der EuGH hat seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und von daher grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann. Der Vorsteuerabzug ist zu gewähren, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Unternehmer bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat.

Insbesondere stellen die in Art. 214 MwStSystRL vorgesehene Mehrwertsteuer-Identifikation sowie die in Art. 213 MwStSystRL vorgesehene Pflicht des Unternehmers, die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit anzuzeigen, nur Kontrollzwecken dienende Formerfordernisse dar, die namentlich Vorsteuerabzugsrecht nicht infrage stellen dürfen, sofern die materiellen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.

Die Ahndung der Nichtbefolgung der Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten durch den Unternehmer mit der Versagung des Vorsteuerabzugs geht über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels, die ordnungsgemäße Befolgung dieser Verpflichtungen sicherzustellen, erforderlich ist, da das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, gegebenenfalls eine Geldbuße oder eine finanzielle Sanktion zu verhängen, die in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht.

Andererseits kann der Vorsteuerabzug versagt werden, wenn der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert hat, dass die materiellen Voraussetzungen erfüllt wurden. Gleiches gilt, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Vorsteuerabzug in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird.

Der EuGH wiederholt auch seine Rechtsprechung im Urteil v. 28.07.2016, C-332/15, Astone. Selbst wenn die Verstöße gegen die formellen Pflichten nicht den sicheren Nachweis verhindern, dass die materiellen Anforderungen des Vorsteuerabzugs erfüllt sind, können solche Umstände aber, wie der EuGH es nennt, das Vorliegen des einfachsten Falles der Steuerhinterziehung belegen, in dem der Unternehmer seinen formellen Pflichten vorsätzlich nicht nachkommt, um die Steuerentrichtung zu vermeiden. Insbesondere kann die Nichtabgabe einer Mehrwertsteuererklärung – ihre Abgabe würde die Mehrwertsteuererhebung und deren Kontrolle durch die Steuerbehörde ermöglichen – die genaue Erhebung der Steuer verhindern und demzufolge das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems infrage stellen. Somit verwehrt das Unionsrecht es nicht, solche Verstöße als Steuerhinterziehung anzusehen und in einem solchen Fall den Vorsteuerabzug zu versagen.

Praxishinweis

Das Urteil hat (auf den ersten Blick) für das deutsche Recht prinzipiell keine Bedeutung, da dem rumänischen Recht vergleichbare Regelungen zur Registrierung/Deregistrierung von Unternehmern und die damit verbundenen Folgen für den VSt-Abzug im deutschen Recht nicht existieren. Der EuGH hatte in einem ähnlich gelagerten Fall mit Urteil v. 09.07.2015, C-183/14, Salomie/Oltean, auf das er ebenfalls Bezug nimmt, zur Frage der Abhängigkeit des Vorsteuerabzugs von der Umsatzsteuerregistrierung entschieden, dass der Vorsteuerabzug ein zentrales Kriterium des MwSt-Systems ist und dieser nicht mit der Begründung verweigert werden kann, der Unternehmer sei im Zeitpunkt des Leistungsbezugs noch nicht für MwSt-Zwecke registriert gewesen.

Der EuGH hat aber nunmehr bestätigt, die in Art. 214 MwStSystRL vorgesehene MwSt-Identifikation sowie die in Art. 213 MwStSystRL vorgesehene Pflicht des Steuerpflichtigen, die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit anzuzeigen, stellten nur Kontrollzwecken dienende Formerfordernisse dar, die insbesondere das Vorsteuerabzugsrecht nicht infrage stellen dürfen, wenn die materiellen Voraussetzungen vorliegen. Dies gilt aber nicht, wenn die Verletzungen von Formvorschriften den Nachweis der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs verhindern. Ein solcher Fall kann auch vorliegen, wenn Steuererklärungen nicht abgegeben werden. Letztlich ist es aber Sache des nationalen Gerichts, die Schwere des Verstoßes gegen formelle Pflichten zu bewerten, die zur Versagung des Vorsteuerabzugs führen können.

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