BFH beanstandet hohe Nachzahlungszinsen der deutschen Finanzämter

Anmerkung zu:  BFH, Beschl. v. 25.04.2018, IX B 21/18

Praxisproblem

Nachzuzahlende Steuern sind gem. § 233a Abs. 1 S. 1 AO zu verzinsen. Den Zinssatz legt § 238 Abs. 1 S. 1 AO auf 0,5 % pro Monat fest.Während die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins seit dem 10.03.2016 auf einem Niveau von 0,00 % hält, kommt der deutsche Fiskus aufgrund dieser Regelungen nach wie vor in den Genuss erheblicher Zinsvereinnahmungen. Allein im Bereich der steuerlichen Betriebsprüfung belaufen sich diese auf mehr als 2 Mrd. € in den letzten Jahren (BFH, Pressemitteilung Nr. 23 v. 14.05.2018).Dies hat in der Vergangenheit vielfach Kritik hervorgerufen. Nunmehr hat sich der BFH dazu geäußert.

Sachverhalt

Das Finanzamt hatte die für das Jahr 2009 zu entrichtende Einkommensteuer des antragstellenden Ehepaares zunächst auf 159.139 € festgesetzt. Im Nachgang zu einer Außenprüfung änderte es diesen Betrag im November 2017 auf 2.143.939 € ab. Die nachzuzahlende Steuer betrug dabei 1.984.800 €. Für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis zum 16.11.2017 wurden zudem Nachzahlungszinsen in Höhe von 240.831 € festgesetzt. Die Antragsteller begehrten die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Zinsbescheides, da sie die Höhe der Zinsen von 0,5 % je Monat für verfassungswidrig hielten. Weder Finanzamt noch Finanzgericht folgten dieser Argumentation. Die Antragsteller legten sodann Beschwerde beim BFH ein.

Entscheidung

Der BFH hat dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung des Zinsbescheides vollumfänglich ausgesetzt. Das Gericht äußert erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015:

Die Bemessung des Zinssatzes stünde im Widerspruch zum nachhaltig niedrigen Marktzins, sei deshalb realitätsfern und verletze den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Rechtfertigung hierfür sei im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung nicht ersichtlich. Vor allem müsse bedacht werden, dass mit automatisierten Datenverarbeitungssystemen eine Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i. S. v. § 247 BGB ohne Weiteres möglich sei. Zudem fehle es an einer Begründung der Zinssatzhöhe. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht – die (teilweise) Abschöpfung der durch die erhöhte Liquidität entstehenden Vorteile – könne wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus nicht erfüllt werden und trage die realitätsferne Zinshöhe deshalb nicht.

Schwerwiegende Bedenken bestünden außerdem mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG in seiner Ausprägung des Übermaßverbotes, denn die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuer.

Praxishinweis

Der BFH spricht sich für eine Neubemessung der Zinshöhe in § 238 Abs. 1 S. 1 AO aus. Dies umzusetzen, ist von Verfassung wegen Aufgabe des Gesetzgebers. Der BFH hätte die Vorschrift auch nicht einfach für verfassungswidrig erklären können, da das sog. Verwerfungsmonopol gem. Art. 100 Abs. 1 GG beim Bundesverfassungsgericht liegt. Klar ist nach der Entscheidung indes, dass Anträge auf AdV in vergleichbaren Fällen momentan erfolgsversprechend sind.

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