Änderung der Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug und unentgeltlichen Wertabgabe – Folgeurteil „Mitteldeutsche Hartstein Industrie AG“

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 16.12.2020, XI R 26/20 (XI R 28/17), XI R 26/20, XI R 28/17

Praxisproblem

Bei dem Revisionsverfahren XI R 28/17 ging es um die umsatzsteuerliche Behandlung von Ausbaumaßnahmen an einer öffentlichen Gemeindestraße, die der Erfüllung einer behördlichen Auflage dienen. Insbes. stellte sich die Frage, ob die auf Eingangsleistungen im Rahmen der Ausbaumaßnahmen an einer öffentlichen Gemeindestraße entfallende USt den Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt. Bejahendenfalls stand zu entscheiden, ob die zur Erfüllung einer behördlichen Auflage vorgenommenen Ausbaumaßnahmen an der Gemeindestraße eine entgeltliche Lieferung darstellen, wobei die Genehmigung des Betriebs eines Steinbruchs unter dieser Auflage als Gegenleistung anzusehen ist. Falls diese Frage wiederum verneint würde, war weiter fraglich, ob die unentgeltliche Übertragung der öffentlich gewidmeten Straße an die Gemeinde einer entgeltlichen Lieferung von Gegenständen gleichgestellt wird.

Sachverhalt

Der EuGH hatte auf Vorabentscheidungsersuchen des BFH in dieser Sache entschieden (EuGH-Urt. v. 16.09.2020, C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein Industrie AG), dass der Unternehmer ein Recht auf Abzug der Vorsteuer für die zugunsten einer Gemeinde durchgeführten Arbeiten zum Ausbau einer Gemeindestraße hat, wenn diese Straße sowohl von dem Unternehmer selbst im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als auch von der Öffentlichkeit benutzt wird, soweit diese Ausbauarbeiten nicht über das hinausgingen, was erforderlich war, um es dem Unternehmer zu ermöglichen, seine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben und ihre Kosten im Preis der von dem Unternehmer getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind. Die Frage, ob die Genehmigung zum Betrieb eines Steinbruchs, die einseitig erteilt wurde, die von einem Unternehmer, der ohne Gegenleistung in Geld Arbeiten zum Ausbau einer Gemeindestraße durchgeführt hat, erhaltene Gegenleistung darstellt, hatte der EuGH verneint.

Entscheidung

Der BFH hat in seiner Nachfolgeentscheidung geurteilt:

Bezieht ein Unternehmer eine Leistung, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiterzuliefern und zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen, steht ihm der Vorsteuerabzug zu, wenn die bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich/unerlässlich war, um diesen Zweck zu erfüllen und die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und der Vorteil des Dritten (hier: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist. Insoweit reicht eine "mittelbare" Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus (Änderung der Rechtsprechung). 

§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG ist unionsrechtskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe nicht erfolgt, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht.

Praxishinweis 

Die frühere BFH-Auffassung (vgl. BFH v. 13.01.2011, V R 12/08), dass der Unternehmer nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wenn er bei Errichtung von Erschließungsanlagen beabsichtigt, diese einer Gemeinde durch Zustimmung zur öffentlich-rechtlichen Widmung der Anlagen unentgeltlich i. S. v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG zuzuwenden (und dies auch gelten sollte, wenn er bei der Herstellung und Zustimmung zur Widmung der Erschließungsanlagen – mittelbar - beabsichtigt, Grundstücke im Erschließungsgebiet steuerpflichtig zu liefern), ist überholt.

Der BFH versteht die EuGH-Rechtsprechung dahingehend, dass die Gefahr eines unversteuerten Endverbrauchs, den die Besteuerungstatbestände der unentgeltlichen Wertabgaben (u. a. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG und § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG) verhindern wollen, unter folgenden Voraussetzungen nicht droht: 

  • Die Eingangsleistung wird vor allem für Bedürfnisse des Steuerpflichtigen genutzt, 
  • sie ist für das Unternehmen erforderlich und geht darüber nicht hinaus, 
  • die Kosten der Eingangsleistung sind (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten und 
  • der Vorteil des Dritten - hier der Allgemeinheit - ist allenfalls nebensächlich.

Dies bedeutet nunmehr eine Abstufung, die in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen ist.

Liegt der Nutzen der Eingangsleistung vor allem beim Unternehmer, kann dies - entgegen der bisherigen BFH-Rechtsprechung - unter Beachtung der vorgenannten Voraussetzungen der Annahme einer z. B. unentgeltlichen Zuwendung eines Gegenstands i. S. v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG entgegenstehen (z. B. anders früher - zur Hingabe von Blutdruckmessgeräten an Diabetiker, um den Absatz von (nachzukaufenden) Teststreifen zu fördern – BFH v. 12.12.2012, XI R 36/10). 

Auch soweit der BFH in seinem Urteil v. 14.05.2008, XI R 60/07 (der Begriff "unentgeltliche Zuwendung" i. S. v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG setzt nicht lediglich die Unentgeltlichkeit einer Lieferung voraus, sondern verlangt darüber hinaus, dass der Zuwendende dem Empfänger zielgerichtet einen Vermögensvorteil verschafft; einen solchen Vermögensvorteil verschafft ein Unternehmer der Bundesrepublik Deutschland, wenn er auf eigene Kosten auf deren Grundbesitz einen Kreisverkehr errichtet.) von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, hält er daran nicht mehr fest, ohne dass es hier der Entscheidung bedarf, ob im dortigen Fall die Vorteile der Allgemeinheit mehr als nur nebensächlich waren und die Maßnahme über das Erforderliche hinausging.

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