Wieder Streit um die Ansässigkeit/Begriff der festen Niederlassung, Änderung bei der Vermietung einer Immobilie

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 03.06.2021, C-931/19, Titanium Ltd

Sachverhalt

Bei dem österreichischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung der Art. 192 und 196 MwStSystRL sowie der Art. 11 und 53 MwStSystRL-DVO. Streitig war der Begriff der festen Niederlassung bzw. ob eine feste Niederlassung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne neben einem hinreichenden Grad an Beständigkeit stets auch das Vorliegen personeller und sachlicher Mittel voraussetzt oder ob diese nur vorliegen müssen, wenn es die Funktionsfähigkeit der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit erfordert.

Die Klägerin, eine Gesellschaft mit Sitz und Geschäftsführung in Jersey, besaß in den Streitjahren 2009 und 2010 mehrere Immobilien, die sie steuerpflichtig an zwei in Österreich ansässige Unternehmen vermietete. Über eigene Mitarbeiter verfügte die Klägerin in Österreich nicht. Mit der Verwaltung ihrer Immobilien beauftragte sie ein österreichisches Hausverwaltungsunternehmen. Die Klägerin ging davon aus, dass die von ihr vermieteten Immobilien mangels des Vorliegens entsprechender personeller Mittel nicht als feste Niederlassung zu betrachten seien. Daher sei sie nicht in Österreich ansässig, so dass die auf die Vermietung entfallende USt durch den jeweiligen Leistungsempfänger geschuldet werde. Im Gegensatz dazu vertrat die österreichische Finanzverwaltung die Auffassung, dass die Klägerin in Österreich ansässig sei und sie selbst daher anstelle der Leistungsempfänger die entsprechende USt schulde.

Nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs der festen Niederlassung (vgl. z. B. EuGH v. 04.07.1985, 168/84, Berkholz; EuGH v. 20.02.1997, C-260/95, DFDS; EuGH v. 17.07.1997, C-190/95, ARO Lease BV; EuGH v. 28.06.2007, C-73/06, Planzer Luxembourg) hat eine für Zwecke der MwSt bedeutsame feste Niederlassung einen hinreichenden Grad an Beständigkeit und darüber hinaus eine Struktur aufzuweisen, die es von ihrer personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, die Erbringung von Dienstleistungen auszuführen. Noch nicht abschließend geklärt schien dem Vorlagegericht jedoch die Frage, ob die beiden Ausstattungsmerkmale Personal- und Sachmittel stets (kumulativ) gegeben sein müssen, oder ob dies nur notwendig ist, wenn es die Funktionsfähigkeit der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit erfordert.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie keine feste Niederlassung i. S. d. Art. 43 MwStSystRL sowie der Art. 44 und 45 MwStSystRL darstellt, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes  Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt.

Praxishinweis

Der EuGH hat damit seine Rechtsprechung bestätigt, dass der Begriff „feste Niederlassung“einen durch das ständige Zusammenwirken der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel gebildeten Mindestbestand verlangt. Daher setzt er einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur voraus, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht. Der EuGH sieht dies in Art. 11 MwStDVO bestätigt, wonach eine feste Niederlassung u. a. eine „von der personellen und technischen Ausstattung her“ geeignete Struktur aufweist. Zwar gilt diese Regelung erst seit dem 01.07.2011 und war auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar, doch sollen nach dem 14. Erwägungsgrund der MwStDVO bestimmte Begriffe, darunter derjenige der festen Niederlassung, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH klargestellt werden. Somit setzt das Vorliegen einer festen Niederlassung voraus, dass die beiden Ausstattungsmerkmale Personal- und Sachmittel stets kumulativ gegeben sein müssen.

Das deutsche Recht ist von dem Urteil betroffen. Die Finanzverwaltung definiert den Begriff der Betriebsstätte für Umsatzsteuerzwecke in Abschn. 3a.1 Absatz 3 UStAE. Danach gilt als Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmers dient. Eine solche Einrichtung oder Anlage kann aber nur dann als Betriebsstätte angesehen werden, wenn sie über einen ausreichenden Mindestbestand an Personal- und Sachmitteln verfügt, der für die Erbringung der betreffenden Dienstleistungen erforderlich ist. Außerdem muss die Einrichtung oder Anlage einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweisen, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der jeweiligen Dienstleistungen ermöglicht. Diese Verwaltungsauffassung entspricht den unmittelbar geltenden Vorgaben der Art. 11 und 53 MwStSystRL-DVO.

Im Hinblick auf diesteuerpflichtige Vermietung eines im Inland gelegenen Grundstückes durch einen im Ausland ansässigen Unternehmer regelt Abschn. 13b.11 Abs. 2 Satz 2 UStAE, dass in diesen Fällen der leistende Unternehmer insoweit als im Inland ansässig zu behandeln ist und daher nicht der Leistungsempfänger die Steuer schuldet. Diese Auffassung wird nach Ergehen der vorliegenden EuGH-Entscheidung nicht zu halten sein.

Betreffend den Betrieb von Windrädern durch eine Gesellschaft mit Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland hatte die FG-Rechtsprechung bereits entschieden, dass bloße Windräder eine inländische Betriebsstätte begründen, obwohl auch bei diesen kein eigenes Personal zum Einsatz kommt (vgl. FG Münster v. 05.09.2013, 5 K 1768/10 U; FG Köln v. 14.03.2017, 2 K 920/14; FG Schleswig-Holstein v. 17.05.2018, 4 K 47/17). Nach dieser Rechtsprechung handelt es sich bei derartigen Windrädern um ortsfeste Einrichtungen von erheblichem Wert, die einen höchstmöglichen Grad an Beständigkeit aufweisen. Dass kein eigenes Personal vor Ort bei den Windkraftanlagen tätig ist, stehe der Annahme einer festen Niederlassung angesichts der Gesamtumstände nicht entgegen. Zwar ist grds. auch die personelle Ausstattung eines der wesentlichen Elemente der festen Niederlassung, was jedoch nicht bedeutet, dass die Kriterien der personellen und technischen Ausstattung stets im gleichen Maße erfüllt sein müssen. Vielmehr kann eine gering ausgeprägte - oder in Ausnahmefällen sogar fehlende - personelle Ausstattung durch eine überdurchschnittlich stark ausgeprägte sachliche Ausstattung kompensiert werden. Es ist nach der FG-Rechtsprechung daher für die Frage der Ansässigkeit nicht unbedingt auf das Vorhandensein von eigenem Personal abzustellen. Der BFH hat über diese Frage noch nicht konkret entschieden. In der Entscheidung des BFH v. 19.11.2014, V R 41/13, wurde diese Frage offen gelassen. Auch im Beschluss v. 09.05.2017, XI B 13/17, ließ der BFH die Klärung der Frage, ob bei einer steuerpflichtigen Vermietung das im Inland belegene Grundstück als feste Niederlassung des Unternehmers anzusehen ist, offen (da bereits der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit im Inland lag).

Die Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte bzw. der festen Niederlassung ist (auch mit Blick auf die vom EuGH für Immobilienvermietungen getroffene Entscheidung) über die in § 13b UStG normierte Steuerschuld des Leistungsempfängers hinaus umsatzsteuerrechtlich von Bedeutung (z. B. für die Ortsbestimmung bei sonstigen Leistungen und im Vorsteuervergütungsverfahren).

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Link

EuGH, Urt. v. 03.06.2021, C-931/19, Titanium Ltd

Quelle

EUR-Lex

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