Billigkeitsmaßnahmen aufgrund der Flutkatastrophe im Juli 2021 in Deutschland

Anmerkung zu: BMF-Schr. v. 23.07.2021

Praxisproblem

Unentgeltliche Wertabgaben (auch aus Humanitätsgründen) grds. umsatzsteuerbar

Unternehmer geben häufig Waren aller Art (wie z. B. Kleidung, Freizeitartikel, Haushaltswaren, Werkzeuge, Elektroartikel, Lebensmittel), die sie nicht mehr am Markt absetzen können, ohne Gegenleistung, somit als Spenden, z. B. an gemeinnützige Empfänger oder in Fällen von Naturkatastrophen an Betroffene ab. Durch diese Spenden ersparen sich die Unternehmer ein kostenpflichtiges Entsorgen der Waren. Den gespendeten Gegenständen fehlt meist die Marktgängigkeit. Sie sind unverkäuflich z. B. aufgrund von Mängeln bei der Produktion (z. B. durch Fehletikettierungen, Farbabweichungen, durch Schäden bei der Verpackung usw.) oder sie sind im regelmäßigen Geschäftsverkehr als Saisonartikel wegen eines Sortimentswechsels infolge von Überproduktion oder von Retouren nicht mehr absetzbar oder es handelt sich um Lebensmittel kurz vor dem Verfalldatum. Eine Sachspende aus dem Unternehmensvermögen stellt eine unentgeltliche Zuwendung dar, die einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt ist.

Grundsätzlich werden nach § 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG sog. unentgeltliche Wertabgaben, bei denen keine Gegenleistung vereinbart ist oder wenn die Wertabgabe in den Privatbereich erfolgt, den entgeltlichen Lieferungen und sonstigen Leistungen gleichgestellt und somit umsatzbesteuert. Der Unternehmer soll in gleicher Weise mit der USt belastet werden, wie ein beliebiger Endverbraucher, der zur Deckung seines privaten Bedarfs mit USt belastete Lieferungen und sonstige Leistungen in Anspruch nehmen muss. Eine weitere wesentliche Zielsetzung der Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben ist es, einen vormals aus Material- und Leistungsbezügen vorgenommenen Vorsteuerabzug zu neutralisieren. Voraussetzung für die Besteuerung unentgeltlicher Wertabgaben ist daher, dass ein Gegenstand oder seine Bestandteile „[...] zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug [...]“ berechtigt haben.

Bisher wurde umsatzsteuerlich in Fällen von Naturkatastrophen bei z. B. unentgeltlichen Wertabgaben (Sachspenden u. a.) an Betroffene grds. nicht wie im Bereich z. B. des Ertragssteuerrechts aus Billigkeitsgründen von einer Besteuerung abgesehen oder sonstige Billigkeitsmaßnahmen ergriffen. Als Grund hierfür wurde angeführt, dass das Umsatzsteuerrecht in den Mitgliedstaaten der EU insbesondere durch die Vorschriften der MwStSystRL (früher 6. EG-Richtlinie) weitgehend harmonisiert ist. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die dort getroffenen Regelungen in nationales Recht umzusetzen. Das umsatzsteuerliche Unionsrecht kenne keine Möglichkeit, die es einem Mitgliedstaat zur Bewältigung von Naturkatastrophen, wenn auch nur zeitlich und sachlich begrenzt, gestatten würde, von den verbindlichen Richtlinienvorschriften abzuweichen. Sachliche Billigkeitsmaßnahmen bei unentgeltlichen Zuwendungen aus einem Unternehmen nach § 3 Abs. 1b UStG seien daher ebenso wenig möglich wie eine Ausweitung der Steuervergütung nach § 4a UStG (vgl. z. B. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen v. 06.09.2005, 32/37-S 2223-387-36102/05 zu steuerlichen Maßnahmen zur Unterstützung der Opfer der Hochwasserkatastrophe im August 2005 in Süddeutschland.

Sachverhalt

Nunmehr erstmals (zeitlich befristete) umsatzsteuerliche Billigkeitsmaßnahmen

In Abkehr von dieser bisherigen Haltung der Finanzverwaltung sind mit BMF-Schreiben v. 23.07.2021, wenn auch in eingeschränktem Umfang, umsatzsteuerliche Billigkeitsmaßnahmen aufgrund der Unwetterereignisse/Flutkatastrophe im Juli 2021 in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen getroffen worden.

Entscheidung

Hervorzuheben sind danach folgende Billigkeitsregelungen:

Überlassung von Wohnraum

Von der Umsatzbesteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe und einer Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG wird im Billigkeitswege befristet bis zum 31.12.2021 abgesehen, wenn private Unternehmen Unterkünfte, die für eine umsatzsteuerpflichtige Verwendung vorgesehen waren (Hotelzimmer, Ferienwohnungen o. ä.), unentgeltlich Personen zur Verfügung stellen, die infolge der Flutkatastrophe vom Juli 2021 obdachlos geworden sind oder als Helfer in den Krisengebieten tätig sind. Beabsichtigen diese Unternehmer bereits bei Bezug von Nebenleistungen (Strom, Wasser o. ä.) eine unentgeltliche Beherbergung von Flutopfern oder Helfern, wird unter den v. g. Bedingungen und den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG ebenfalls befristet bis 31.12.2021 zusätzlich im Billigkeitswege ein entsprechender Vorsteuerabzug für Vorsteuern aus laufenden Kosten gewährt. Die folgende unentgeltliche Wertabgabe wird im Billigkeitswege nicht besteuert.

Unentgeltliche Verwendung von dem Unternehmen zugeordneten Gegenständen (Investitionsgütern) zur Suche und Rettung von Flutopfern, Beseitigung der Flutschäden

Bei der unentgeltlichen Verwendung von dem Unternehmen zugeordneten Gegenständen (Investitionsgütern), die zuvor zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben (z. B. die unentgeltliche Überlassung von Baufahrzeugen), zur Bewältigung der unwetterbedingten Schäden und Folgen der Flutkatastrophe vom Juli 2021, die außerhalb des Unternehmens liegen oder für den privaten Bedarf des durch die Unwetter betroffenen Personals, wird im Billigkeitswege befristet bis zum 31.10.2021 auf die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe verzichtet.

Sachspenden

Bei unentgeltlichen Zuwendungen aus einem Unternehmen nach § 3 Abs. 1b UStG, die

  • im Zeitraum vom 15.07.2021 bis 31.10.2021 erfolgen, wird aus Billigkeitsgründen auf eine Besteuerung verzichtet, wenn es sich bei den gespendeten Gegenständen um
  • Lebensmittel, Tierfutter,
  • für den täglichen Bedarf notwendige Güter (insbesondere Hygieneartikel, Reinigungsmittel, Kleidung, Geschirr oder medizinische Produkte) oder
  • zur unmittelbaren Bewältigung des Unwetterereignisses sachdienliche Wirtschaftsgüter (z. B. Pumpen, Werkzeug, Maschinen) handelt und
  • die Gegenstände den unmittelbar von der Flutkatastrophe betroffenen Menschen zugutekommen.

Beabsichtigen Unternehmer bereits bei Bezug oder Herstellung der gespendeten Waren eine entsprechende unentgeltliche Weitergabe, wird unter den gleichen Bedingungen und den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG ein entsprechender Vorsteuerabzug im Billigkeitswege gewährt.

Praxishinweis

Sachspenden

Der v. g. von der Billigkeitsregelung (die zusätzlich befristet ist) betroffene Anwendungsbereich möglicher Sachspenden ist eher eingeschränkt. Gleichzeitig gilt aber auch das BMF-Schreiben v. 18.03.2021, BStBl I 2021, 384, in dem dieVerwaltung erstmals zu der Frage Stellung genommen, wie die Bemessungsgrundlage bei Sachspenden mit Blick auf die Beschaffenheit des gespendeten Gegenstands zu ermitteln ist. Danach ist auch zu berücksichtigen, ob Gegenstände zum Zeitpunkt der unentgeltlichen Wertabgabe aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht mehr oder nur noch stark eingeschränkt verkehrsfähig sind. Hiervon ist bei Lebensmitteln auszugehen, wenn diese kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen oder die Verkaufsfähigkeit als Frischware, wie Backwaren, Obst und Gemüse, wegen Mängeln nicht mehr gegeben ist. Dies gilt auch für Non-Food-Artikel mit Mindesthaltbarkeitsdatum wie z. B. Kosmetika, Drogerieartikel, pharmazeutische Artikel, Tierfutter oder Bauchemieprodukte wie Silikon oder Beschichtungen sowie Blumen und andere verderbliche Waren.

Bei anderen Gegenständen ist die Verkehrsfähigkeit eingeschränkt, wenn diese aufgrund von erheblichen Material- oder Verpackungsfehlern (z. B. Befüllungsfehler, Falschetikettierung, beschädigte Retouren) oder fehlender Marktgängigkeit (z. B. Vorjahresware oder saisonale Ware wie Weihnachts- oder Osterartikel) nicht mehr oder nur noch schwer verkäuflich sind. Werden solche Gegenstände im Rahmen einer unentgeltlichen Wertabgabe abgegeben (z. B. Hingabe als Spende), kann eine im Vergleich zu noch verkehrsfähiger Ware geminderte Bemessungsgrundlage angesetzt werden. Die Minderung ist im Umfang der Einschränkung der Verkehrsfähigkeit vorzunehmen, so dass der Ansatz einer Bemessungsgrundlage von 0,00 EUR nur bei wertloser Ware (z. B. Lebensmittel und Non-Food-Artikel kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums oder bei Frischwaren, bei denen die Verkaufsfähigkeit nicht mehr gegeben ist) in Betracht kommt.

Auch wenn die Ware für den spendenden Unternehmer nach subjektiver Sichtweise wertlos erscheint, geht die Verwaltung davon aus, dass die Wertbestimmung der Ware nach der objektiven Betrachtungsweise auf der Handelsstufe des Unternehmers erfolgt. Demzufolge beträgt der Restwert der Ware im Zeitpunkt der Zuwendung nicht in jedem Falle 0,00 EUR. Vielmehr ist der (insoweit fiktive) Einkaufspreis im Zeitpunkt des Umsatzes (Hingabe der Spende) zu bestimmen. Dieser fiktive Einkaufspreis entspricht in der Regel dem - auf der Handelsstufe des Unternehmers ermittelbaren - Wiederbeschaffungspreis zum Zeitpunkt der Spende, wobei entsprechende Wertentwicklungen - in diesen Fällen meist deutliche Wertminderung - im Zeitraum zwischen Herstellung/Anschaffung und Spende zu berücksichtigen sind. Im Ergebnis ist bei einer solchen Betrachtung auf den objektivierten Wert, den die Leistung für einen objektivierten durchschnittlichen Leistungsempfänger besitzt, abzustellen. Dieser Wert kann im Zeitpunkt der Zuwendung nicht in jedem Falle 0,00 EUR betragen.

Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch auf das BMF-Schreiben v. 18.03.2021, BStBl I 2021, 628, hinzuweisen. Danach wird bei Waren, die von Einzelhändlern, die durch die Corona-Krise unmittelbar und nicht unerheblich negativ wirtschaftlich betroffen sind, an steuerbegünstigte Organisationen gespendet werden bzw. gespendet worden sind, auf die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe verzichtet. Diese Regelung gilt nur für Spenden, die zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.12.2021 erfolgen bzw. erfolgt sind.

Link

BMF-Schr. v. 23.07.2021

Quelle

Bundesministerium der Finanzen

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