Zur Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern

Anmerkung zu: BMF-Schr. v. 08.07.2021

Praxisproblem

EuGH-Rechtsprechung

Mit Urteil v. 13.06.2019, C-420/18, IO, hatte der EuGH zur Auslegung von Art. 9 und 10 MwStSystRL entschieden, dass ein Mitglied eines Aufsichtsrats nicht selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Das niederländische Verfahren betraf ein Aufsichtsratsmitglied einer Stiftung, das zugleich auch – unabhängig davon – in einem Dienstverhältnis als Kommunalbeamter tätig war. Zwischen Stiftung und Aufsichtsratsmitglied bestand ein Dienstleistungsvertrag, der eine pauschale Bruttovergütung vorsah, welche losgelöst von der Teilnahme an Sitzungen und von den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden gezahlt wurde.

Bisherige Verwaltungsauffassung

Bisher war die Verwaltung in Abschn. 2.2 Abs. 2 UStAE (a.F.) unter Bezugnahme auf frühere BFH-rechtsprechung der Auffassung, dass die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied generell als selbständig und damit unternehmerisch erfolgt.

Sachverhalt

Geänderte BFH-Rechtsprechung

Mit Urteil v. 27.11.2019, V R 23/19, V R 62/17, hat der BFH in Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung entschieden, dass ein Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer jährlich gleich hohen Festvergütung, die keinerlei variable Vergütungsbestandteile enthält, kein wirtschaftliches Risiko trägt und damit nicht als Unternehmer tätig ist. Auf eine Ablieferung- oder Verrechnungspflicht seiner Einnahmen als Aufsichtsrat und einem sich daraus ergebenden Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Arbeitgeber komme es nicht an. Die Erstattung von entstandenen Auslagen wurde vom BFH als unschädlich erachtet. Damit wich der BFH ausdrücklich von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. In welchen anderen Fällen die Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats demgegenüber weiterhin als unternehmerisch ausgeübt anzusehen sein könnte, hatte der BFH ausdrücklich offengelassen.

Entscheidung

Geänderte Verwaltungsauffassung

Mit BMF-Schreiben v. 08.07.2021 hat die Verwaltung auf die BFH-Rechtsprechung reagiert und ist von der bisherigen Auffassung abgerückt.

Bei nicht variabler Festvergütung kein Unternehmerrisiko

Trägt das Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko, ist es nach der nunmehrigen Verwaltungsauffassung nicht selbständig tätig. Die Vergütung kann sowohl in Geldzahlungen als auch in Sachzuwendungen bestehen. Eine Festvergütung in diesem Sinne liegt insbes. im Fall einer pauschalen Aufwandsentschädigung vor, die für die Dauer der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat gezahlt wird. Sitzungsgelder, die das Mitglied des Aufsichtsrats nur erhält, wenn es tatsächlich an der Sitzung teilnimmt sowie nach dem tatsächlichen Aufwand bemessene Aufwandsentschädigungen, sind keine solche Festvergütung.

Vergütung auch mit variablen Bestandteilen

Besteht die Vergütung des Aufsichtsratsmitglieds sowohl aus festen als auch variablen Bestandteilen, ist es grds. selbständig tätig, wenn die variablen Bestandteile im Kalenderjahr mindestens 10 % der gesamten Vergütung, einschließlich erhaltener Aufwandsentschädigungen, betragen. Reisekostenerstattungen sind keine Vergütungsbestandteile und demzufolge bei der Ermittlung der 10 %-Grenze nicht zu berücksichtigen.

Praxishinweis

Prüfung für jedes Aufsichtsratsmitglied einzeln

Die vorgenannten Grundsätze sind für jedes Mandat eines Aufsichtsrates separat zu prüfen. Ausnahmen von der Festlegung der 10 %-Grenze sind in begründeten Fällen möglich. Das Mitglied eines Aufsichtsrats trägt nicht schon deshalb ein Vergütungsrisiko, weil seine Vergütung nachträglich für mehrere Jahre ausgezahlt wird. Trägt das Mitglied des Aufsichtsrats kein Vergütungsrisiko, ist es nicht deshalb selbständig tätig, weil es unter den Voraussetzungen des § 116 AktG für pflichtwidriges Verhalten haftet. Anders als bisher ist somit in vielen Fällen nicht mehr von der Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern auszugehen.

Beamte einer Körperschaft

Bei Beamten und anderen Bediensteten einer Gebietskörperschaft, die die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung ihres Arbeitgebers oder Dienstherren übernommen haben und nach beamten- oder dienstrechtlichen Vorschriften verpflichtet sind, die Vergütung bis auf einen festgelegten Betrag an den Arbeitgeber bzw. Dienstherren abzuführen, wird es von der Verwaltung bei einem bestehenden Vergütungsrisiko nicht beanstandet, wenn diese allein auf Grund dieser Tätigkeit ebenfalls als nicht selbständig tätig behandelt werden.

Somit sind Beamte und andere Bedienstete einer Gebietskörperschaft, die Tätigkeiten in Organen von Unternehmen auf Verlangen, Vorschlag oder Veranlassung ihres Dienstherrn übernommen haben und nach beamtenrechtlichen oder anderen dienstrechtlichen Vorschriften dem Grunde nach verpflichtet sind, die Vergütung ganz oder teilweise an den Dienstherrn abzuführen, nicht selbständig tätig. In diesen Fällen wird die Vergütung als Arbeitslohn angesehen, sodass auch umsatzsteuerrechtlich keine Unternehmereigenschaft nach § 2 Abs. 1 UStG vorliegt. Für Minister und Staatssekretäre gilt dies entsprechend.

Mitglieder von Ausschüssen nach § 107 Abs. 3 AktG

Die vorgenannten Grundsätze gelten auch für Mitglieder von Ausschüssen, die der Aufsichtsrat nach § 107 Abs. 3 AktG bestellt hat und für Mitglieder von anderen Gremien, die nicht der Ausübung, sondern der Kontrolle der Geschäftsführung einer juristischen Person oder Personenvereinigung dienen.

Link

BMF-Schr. v. 08.07.2021

Quelle

Bundesministerium der Finanzen

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