Städte-Karte als Mehrzweckgutschein

Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 28.4.2022

Praxisproblem

Bei dem schwedischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage, wie die Begriffe „Gutschein“ und „Mehrzweck-Gutschein“ im Sinne der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) auszulegen sind und was mit ihnen gemeint ist. Bei dem zugrunde liegenden Rechtsstreit zwischen der schwedischen Finanzbehörde und einem schwedischen Unternehmer ging es um die Frage, ob es sich bei einer city card um einen Mehrzweck-Gutschein handelt.

Sachverhalt

Die Klägerin verkauft an Touristen, die Stockholm besuchen, eine Karte. Diese Karte gewährt ihrem Inhaber während eines begrenzten Zeitraums und bis zu einem bestimmten Wert Zugang zu rund 60 Attraktionen, etwa Sehenswürdigkeiten und Museen. Auch rund zehn Personenbeförderungsleistungen, etwa durch die unternehmenseigenen Hop-on-Hop-off-Busse und Hop-on-Hop-off-Boote sowie von anderen Vertragspartnern angebotene Sightseeing-Touren, gehören dazu. Diese Dienstleistungen unterliegen entweder der MwSt, wobei unterschiedliche Sätze Anwendung finden können, oder sie sind befreit. Der Karteninhaber verwendet die Karte als Zahlungsmittel für das Eintrittsgeld oder Nutzungsentgelt und zahlt nichts zusätzlich, sondern hält nur die Karte zum Einlesen vor ein besonderes Kartenlesegerät. Gemäß einer mit der Klägerin geschlossenen Vereinbarung erhalten die Vertragspartner von dieser die Gegenleistung für jeden Eintritt oder jede Nutzung, wobei ein bestimmter Prozentsatz vom normalen Eintrittsgeld oder Nutzungsentgelt abgezogen wird. Kein Vertragspartner ist verpflichtet, einem Karteninhaber mehr als einmal Zugang zu gewähren. Die Klägerin garantiert keine Mindestzahl an Besuchern. Wird die Wertgrenze erreicht, verliert die Karte ihre Gültigkeit. Die Karte gibt es in verschiedenen Versionen, die sich in ihrer Geltungsdauer und ihrer Wertgrenze unterscheiden. Die Geltungsdauer beginnt mit der ersten Nutzung der Karte. Die Karte muss nach dem Kauf binnen eines Jahres genutzt werden.

Die schwedische Finanzverwaltung stellte fest, dass die Karte kein Mehrzweck-Gutschein sei. Vergleiche man die Definition für „Gutschein“ mit den Bestimmungen zur Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage, ergebe sich, dass auf einem Gutschein ein bestimmter Wert angegeben sein oder er sich auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen oder das Erbringen bestimmter Dienstleistungen beziehen müsse. Dem Gutschein müsse eindeutig entnommen werden können, was man bei seiner Einlösung erhalte, selbst wenn sich möglicherweise – im Fall eines Mehrzweck-Gutscheins – Unsicherheiten ergäben, etwa in Bezug auf den Steuersatz oder das Land, in dem die Steuer zu entrichten sei.

Die Klägerin meinte dagegen, bei der Karte handele es sich um einen Mehrzweck-Gutschein. Die Vertragspartner seien verpflichtet, die Karte als Gegenleistung anzunehmen. In den für die Karteninhaber geltenden Nutzungsbedingungen sei geregelt, welche Dienstleistungen mit der Karte bezahlt werden könnten und wer die Dienstleistungserbringer seien. Der Karteninhaber könne die Karte vorbehaltlich des Erreichens der geltenden Wertgrenze für sämtliche von den Vertragspartnern des Unternehmens angebotenen Attraktionen nutzen. Die Karte erfülle die in Art. 30a Abs. 1 MwStsystRL genannten Kriterien. Für zusätzliche Anforderungen, um ein Instrument als Gutschein ansehen zu können, gebe es keinen Spielraum. Die Karte könne als Gegenleistung für Dienstleistungen, die unterschiedlichen Steuersätzen unterlägen, verwendet werden. Daher sei die Höhe der auf die von der Karte umfassten Dienstleistungen zu entrichtenden MwSt beim Ausstellen der Karte nicht bekannt.

Entscheidung

Der EuGH hat mit Urteil vom 28.4.2022 (EuGH, Urteil vom 28.4.2022 - C-637/20, DSAB Destination Stockholm) die city-card als „Gutschein“ im Sinne von Art. 30a Nr. 1 MwStSystRL eingestuft. Unerheblich dabei ist, dass es einem Durchschnittsverbraucher aufgrund der begrenzten Gültigkeitsdauer dieser Karte nicht möglich ist, alle angebotenen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Art. 30a Nr. 1 MwStSystRL regelt nicht, dass die Gültigkeitsdauer der Karte oder die Möglichkeit, alle damit angebotenen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, für die Einstufung der Karte als „Gutschein“ im Sinne dieser Bestimmung relevant wäre. Außerdem kann nach der EuGH-Entscheidung die Ausstellung der Karte angesichts der Vielfalt der angebotenen Dienstleistungen und der als Dienstleistungserbringer auftretenden dritten Wirtschaftsteilnehmer nicht als „einheitliche Dienstleistung“ eingestuft werden. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil dann die Rechtsfolge wäre, dass Dienstleistungen wie Beförderungen oder die Gewährung des Zutritts zu Museen, die unterschiedlichen Steuersätzen unterliegen oder die steuerfrei sind, einem einheitlichen Steuersatz unterliegen würden.

Nach den weiteren Entscheidungsgründen ist die city-card als Gutschein ein Mehrzweckgutschein und kein Einzweck-Gutschein. Die Umsatzsteuer, die für die vom Karteninhaber in Anspruch genommenen Dienstleistungen geschuldet wird, steht zum Zeitpunkt der Ausstellung der Karte nicht fest, was ihre Einstufung als „Einzweck-Gutschein“ im Sinne von Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL ausschließt.

Praxishinweis

Die Bestimmungen der MwStSystRL zu Gutscheinen sind noch relativ neu und finden auf Gutscheine Anwendung, die nach dem 31.12.2018 ausgestellt wurden. Der EuGH hatte erstmals Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, wie die Begriffe „Gutschein“ und „Mehrzweck-Gutschein“ auszulegen sind. Wie solche Karten zu behandeln sind, war Gegenstand von Erörterungen im Mehrwertsteuerausschuss der EU, ohne dass hierzu ein Konsens (Leitlinie) erzielt werden konnte. Gemäß den Ausführungen im Ausgangsverfahren wurde in Dänemark eine vergleichbare Karte als Mehrzweck-Gutschein angesehen.

Das Urteil hat auch Bedeutung für das deutsche Recht. Nach § 3 Abs. 15 UStG ist ein Gutschein im Sinne des § 3 Abs. 13 UStG, bei dem es sich nicht um einen Einzweck-Gutschein handelt, ein Mehrzweck-Gutschein. Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die der leistende Unternehmer einen Mehrzweck-Gutschein als vollständige oder teilweise Gegenleistung annimmt, unterliegt der USt nach § 1 Abs. 1 UStG, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der USt unterliegt. § 3 Abs. 14 und 15 UStG bestimmen mittelbar auch den Zeitpunkt der Steuerentstehung. Ein Einzweck-Gutschein ist ein Gutschein, bei dem bei dessen Ausstellung (Hingabe) alle Informationen vorliegen, die benötigt werden, um die umsatzsteuerliche Behandlung des durch den Gutschein verkörperten Umsatzes mit Sicherheit zu bestimmen. Die Besteuerung erfolgt dann bereits im Zeitpunkt der Ausgabe bzw. Übertragung des Gutscheins. Alle anderen Gutscheine, bei denen im Zeitpunkt der Ausstellung nicht alle Informationen für die zuverlässige Bestimmung der USt vorliegen, sind Mehrzweck-Gutscheine. Bei dieser Art von Gutscheinen unterliegt erst die tatsächliche Lieferung bzw. die tatsächliche Ausführung der sonstigen Leistung der USt, die Besteuerung wird also erst bei Einlösung des Gutscheins, nicht aber bei dessen Ausgabe durchgeführt.

Gemessen an den Grundsätzen des BMF-Schreibens v. 2.11.2020 (A 3.17 UStAE) zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Einzweck- und Mehrzweck-Gutscheinen war zu erwarten, dass die Tourismuskarte, die im Ausgangsverfahren ausgegeben wird, ein Mehrzweck-Gutschein ist. Dies hat der EuGH vorliegend bestätigt.

Unternehmer, die solche Tourismuskarten ausgeben, sollten jetzt im Lichte des Urteils prüfen, ob die Besteuerung bisher zurecht erfolgt ist. Die Ausgabe einer Tourismuskarte als Mehrzweck-Gutschein löst umsatzsteuerlich noch keine Rechtsfolgen aus. Die Ausgabe wird als Austausch von Geldwerten angesehen. Erst im Zeitpunkt der Einlösung der Karte zur Inanspruchnahme der durch sie verkörperten Leistungen entsteht USt entsprechend der jeweilig erbrachten Leistung.

Zur bisherigen umsatzsteuerlichen Behandlung von Regionen- und Städte-Cards s. z.B. OFD Hannover v. 22.12.2009, S 7110-56-StO 171. Danach begründet der Verkauf der Karte keinen Leistungsaustausch zwischen dem Anbieter und dem Touristen. Durch diesen Vorgang wird lediglich Geld in ein „elektronisches Zahlungsmittel“ umgetauscht. Erst wenn der Tourist mit Einsatz der Karte Leistungen des Vertragspartners in Anspruch nimmt, kommt es zu einer konkreten Leistungsbeziehung zwischen dem Vertragspartner und dem Touristen. Der vom Anbieter an den Vertragspartner ausgeschüttete Betrag ist Entgelt von dritter Seite für die an den Touristen erbrachte Leistung. Die Leistung kann steuerfrei sein (z. B. Museum, Tierpark, § 4 Nr. 20 UStG) oder dem ermäßigten Steuersatz unterliegen (z. B. Schwimmbad, Bahnfahrt, § 12 Abs. 2 Nr. 9 und 10 UStG). Diese Behandlung scheint mit dem vorliegenden EuGH-Urteil im Einklang zu stehen.

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