Versagung des Vorsteuerabzuges bei einem fremden „Mehrwertsteuerbetrug“

Anmerkung zum BFH-Beschluss vom 20.10.2021

Praxisproblem

Bei dem Revisionsverfahren des BFH vom 20.10.2021 – XI R 19/20 ging es um die Frage, welche Maßnahmen von einem Unternehmer hinsichtlich einer etwaigen Versagung seines Vorsteuerabzugs auf einen Eingangsumsatz vernünftigerweise verlangt werden können, um eine eigene Beteiligung an einem fremden Mehrwertsteuerbetrug zu verhindern.

Sachverhalt

Streitig war, ob ein Unternehmer (Kläger) Altgoldlieferungen ausgeführt hatte und ihm der Vorsteuerabzug aus Lieferungen von Altgold zu versagen war. Der Kläger betrieb zunächst seit dem Jahr 2008 einen Großhandel mit Schmuck, Textilien und Kosmetik. In einer Gewerbe-Ummeldung im Oktober 2010 erklärte der Kläger, dass er ab dem 01.11.2010 den Großhandel mit Schmuck als Haupterwerb ausübe und den Großhandel mit Textilien und Kosmetik aufgebe. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG gibt der Kläger allerdings an, er habe bereits vor der Ummeldung im Jahr 2010 (Streitjahr) seine Anstellung bei einer Schmuckfabrik gekündigt und mit dem Handel von Altgold begonnen. Insoweit stiegen die erklärten Ausgangsumsätze des Klägers in 2010 ebenso extrem an wie die geltend gemachten Vorsteuerbeträge von vier Großlieferanten (GmbHs).

Der Kläger gibt an, das den Eingangsrechnungen zugrunde liegende Altgold sei jeweils in seinen betrieblichen Räumlichkeiten angeliefert und dann von ihm umgehend weitergehandelt worden. Sicherheiten im Gegenzug für die Überlassung des Altgolds habe er seinen Lieferanten nicht gestellt. Über drei seiner größeren Lieferanten habe er Auskünfte der Creditreform eingeholt, die im Wesentlichen ein Bonitätsproblem festgestellt und von geschäftlichen Kontakten abgeraten hätten. Aus seiner Sicht habe dies aber kein Hindernis dargestellt, denn er habe das Altgold physisch erhalten, so dass die Bonität der Lieferanten für ihn unerheblich gewesen sei.

Das angekaufte Altgold (wöchentlich ca. 30 bis 40 kg) verbrachte der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des FG zunächst physisch zu einer Scheideanstalt. Angekauft wurde das Altgold zunächst allerdings von einer C-Bank, die nach den Angaben des Klägers an der Scheideanstalt beteiligt sei. Der Kläger war seit 2008 Kunde der Bank. Dort unterhielt er 2010 ein Gehaltskonto und ein unternehmerisches Girokonto. Seit dem Frühjahr 2010 hatte er bei der Bank zudem ein Edelmetallkonto, auf dem die Edelmetalle gebucht wurden.

Zum Hintergrund seiner Einschaltung gibt der Kläger an, die Lieferungen des Altgolds seien über ihn abgewickelt worden, weil er aus der Goldbranche komme und Vertrauen genieße. Als Gewinnmarge habe er ca. 0,5 % des für die Transaktionen erzielten Preises einbehalten. So habe er pro Kilogramm Gold Einnahmen von 400 bis 500 € erzielt. Die ihm in Rechnung gestellten Scheidekosten habe er vollständig an seine Lieferanten weitergegeben.

Im Sommer 2010 wurde die Bank zum Hauptabnehmer des Klägers. Von Juli 2010 bis 20.08.2010 kaufte die Bank in der Hauptsache Feingold im Nettowert von ca. 4.3 Mio € vom Kläger. Der Gegenwert wurde dem Edelmetallkonto des Klägers bei der Bank gutgeschrieben. Damit bezahlte der Kläger seine Lieferanten.

Im August 2010 erstattete die Bank beim LKA eine Geldwäsche-Verdachtsanzeige gegen den Kläger. In der Anzeige gab die Bank an, dass seit Ende Juli 2010 „explosionsartige Umsatzsteigerungen“ des Klägers aus Edelmetallverkäufen stattgefunden hätten. Der Kläger habe Geld an diverse Zahlungsempfänger in der Bundesrepublik Deutschland transferiert. Auf die erhebliche Umsatzsteigerung angesprochen, habe der Kläger gegenüber der Bank angegeben, dass er zurzeit Urlaub habe und deshalb den gewerblichen Umsatz aus Schmuckanlieferungen bzw. Schmuckverkauf habe steigern können. Die verschiedenen Schmucklieferanten würden die Schmuckteile bei ihm körperlich anliefern und er bringe die Ware dann zur Scheideanstalt. Dieses Geschäftsmodell erscheine wenig glaubhaft. Hinzu kämen die „wohl auch schon auffällig gewordenen Geschäftspartner“ des Klägers.
In seiner Umsatzsteuererklärung für 2010 erklärte der Kläger die Lieferungen von Altgold als steuerpflichtige Umsätze zum Regelsteuersatz und zog u.a. die an die GmbHs gezahlte USt als Vorsteuer ab. Aus der Erklärung ergab sich ein Überschuss zugunsten des Klägers.
Das FA stimmte dieser Steuererklärung nicht zu, sondern nahm nach Durchführung einer Steuerfahndungsprüfung an, der Kläger sei kein Unternehmer und nicht der wahre Lieferer des Altgolds. Die GmbHs seien ebenfalls nicht die tatsächlichen Lieferer des Altgolds. Schließlich bestünden gravierende formelle Mängel der Gutschriften und Rechnungen. Der Kläger schulde deshalb USt nach § 14c Abs. 2 UStG, ohne zum Vorsteuerabzug aus den angeblichen Lieferungen der GmbHs berechtigt zu sein.

Das FG Baden-Württemberg wies im ersten Rechtsgang die Klage zum weit überwiegenden Teil ab und ließ die Revision nicht zu. Zwar sei der Kläger ein Unternehmer, der das Gold tatsächlich an die Bank geliefert habe; er schulde daher auch keine USt gemäß § 14c Abs. 2 UStG. Offen ließ das FG, ob die GmbHs tatsächlich Lieferungen von Altgold an den Kläger ausgeführt hätten oder deren Rechnungen nur „Abdeckrechnungen“ seien. Jedenfalls sei der Vorsteuerabzug insoweit zu versagen, weil der Kläger habe wissen können, dass die betreffenden Umsätze in einen von den Vorlieferanten begangenen „Mehrwertsteuerbetrug“ einbezogen gewesen seien.

Der BFH hob im Verfahren über die Zulassung der Revision das FG-Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück. Die tatsächlichen Feststellungen des FG trügen seine Annahme, dass der Kläger habe wissen „können“, dass die Umsätze in einen von den GmbHs begangenen „Mehrwertsteuerbetrug“ einbezogen gewesen seien, nicht, weil das FG nicht festgestellt habe, welchen „Mehrwertsteuerbetrug“ diese begangen haben sollen.

Das FG wies die Klage im zweiten Rechtsgang erneut zum weit überwiegenden Teil ab. Es versagte wie im ersten Rechtsgang den Vorsteuerabzug aus den angeblichen Eingangsumsätzen (angebliche Lieferungen der GmbHs), ebenfalls mit Verweis darauf, dass der Kläger habe wissen können, dass die betreffenden Umsätze in einen von den Vorlieferanten begangenen „Mehrwertsteuerbetrug“ einbezogen gewesen seien.

Entscheidung

Der BFH hat die Revision gem. § 126a FGO als unbegründet abgewiesen und führt im Wesentlichen (auch unter Bezugnahme auf die bisherige EuGH-Rechtsprechung) Folgendes aus:
Zwar war die nationale Regelung des § 25f Abs. 1 Nr. 2 UStG, nach dem der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG zu versagen ist, sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich u.a. mit seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem ein anderer Beteiligter auf einer nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer einbezogen war, im Streitzeitraum 2010 gemäß § 27 Abs. 30 UStG noch nicht anzuwenden. Jedoch haben die Mitgliedstaaten unionsrechtlich nach Art. 325 Abs. 1 AEUV Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit Maßnahmen zu bekämpfen, die wirksam und abschreckend sind. Dabei umfassen die finanziellen Interessen der Union auch die Einnahmen aus der MwSt. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist die Bekämpfung von Betrug, Steuerhinterziehung und etwaigen Missbräuchen ein Ziel, das auch mit der MwStSystRL anerkannt und gefördert wird; deshalb ist u.a. eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt. Die nationalen Behörden und Gerichte haben u.a. das Recht, einen Vorsteuerabzug zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Aber nicht nur der Vorsteuerabzug, sondern alle im Rechtssystem der EU vorgesehenen Rechte sind generell zu versagen, unabhängig davon, welches Recht aus dem Bereich der MwSt von der betrügerischen Handlung betroffen ist.

Dies gilt, wenn der Steuerpflichtige selbst eine „Steuerhinterziehung“ begangen hat; Steuerpflichtige, die selbst eine Steuerhinterziehung begangen haben, haben die Folgen ihres betrügerischen Verhaltens z.B. dadurch zu tragen, dass sie die Vorsteuer auf alle Waren oder Dienstleistungen, die für die Erbringung der eigenen Leistungen herangezogen wurden, auch dann nicht in Abzug bringen können, wenn auf die Umsätze, für die keine Rechnung ausgestellt wurde, nach einer Steuerprüfung rückwirkend MwSt erhoben wird.  

Gleiches gilt aber auch dann, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige, dem die Gegenstände geliefert wurden, die als Grundlage für die Begründung des Rechts auf Vorsteuerabzug dienen, wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in einen vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerbetrug einbezogen war. Allein die Tatsache, dass der Steuerpflichtige in irgendeiner Weise davon wusste oder hätte wissen müssen, gilt dabei für die Zwecke der MwStSystRL als Beteiligung an der Steuerhinterziehung; die einzige für die Versagung des Abzugsrechts in einer solchen Situation entscheidende aktive Handlung besteht im Erwerb der Gegenstände, so dass es keiner sonstigen aktiven Beteiligung an der Steuerhinterziehung oder der Verschleierung der Lieferbeziehungen und des Lieferers bedarf. Die Bösgläubigkeit des Steuerpflichtigen muss nicht erwiesen sein. Ebenso irrelevant ist, ob er durch den Umsatz einen Steuervorteil erlangt hat. Der Begriff der „Lieferkette“ ist dabei nicht auf besondere Konstellationen beschränkt.

Hinsichtlich des Grades der erforderlichen Sorgfalt des Steuerpflichtigen, der sein Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, hat der EuGH entschieden, dass von einem Wirtschaftsbeteiligten gefordert werden darf, dass er alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung in diesem Sinne führt. Wenn Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung vorliegen, kann er nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer, von dem er Gegenstände oder Dienstleistungen zu erwerben beabsichtigt, Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen. Die Steuerverwaltung darf aber vom Steuerpflichtigen weder die Durchführung komplexer und umfassender Überprüfungen seines Lieferanten verlangen noch ihm faktisch die ihr obliegende Kontrolle übertragen; nicht generell verlangt werden darf in diesem Zusammenhang die Prüfung, ob der Aussteller der Rechnung über die Gegenstände, für die dieses Recht geltend gemacht wird, Steuerpflichtiger ist, über die fraglichen Gegenstände verfügte und sie liefern konnte sowie seinen Verpflichtungen hinsichtlich der Erklärung und Abführung der MswSt nachgekommen ist.

Welche Maßnahmen im konkreten Einzelfall vom Steuerpflichtigen vernünftigerweise verlangt werden können, um die Beteiligung an einem fremden Mehrwertsteuerbetrug zu verhindern, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Diese Umstände sind gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts zu ermitteln, die die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen dürfen. Dass der Steuerpflichtige von einem fremden Mehrwertsteuerbetrug wusste oder hätte wissen müssen, muss das FA anhand objektiver Umstände nachweisen, da die Feststellungslast insoweit bei ihm liegt. Hat das FA nicht dargetan oder das FG nicht festgestellt, dass ein Mehrwertsteuerbetrug oder eine sonstige rechtswidrige Handlung i.S. des Art. 325 AEUV begangen worden ist, kommt eine Versagung des Vorsteuerabzugs nach der sog. Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH nicht in Betracht.

Nach der vorliegenden BFH-Entscheidung ist das FG von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und hat unter Beachtung der Hinweise des Senats aus dem Beschwerdeverfahren begründet, von welchen Steuerhinterziehungen der (Verantwortlichen der) GmbHs es überzeugt ist. Diese Würdigung ist in Bezug auf alle GmbHs aufgrund der vom FG festgestellten Tatsachen möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze und bindet daher den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO. Insbesondere handelt es sich bei den vom FG geschilderten Vorgängen um Betrügereien zu Lasten der finanziellen Interessen der EU i.S. des Art. 325 Abs. 1 AEUV. Ferner hat das FG nach Auffassung des BF unter Anwendung der oben genannten Rechtsgrundsätze nachvollziehbar begründet, warum es davon überzeugt sei, dass der grob fahrlässig handelnde Kläger davon hätte wissen müssen. Das FG habe dabei unter ausdrücklicher Auseinandersetzung mit den Hinweisen des BFH begründet, warum es trotz dieser Hinweise weiterhin zu dieser Überzeugung gelangt ist. Es habe maßgeblich darauf abgestellt, dass es in kurzer Zeit zu einem sehr hohen Umsatzwachstum gekommen war und dass das FG die Erklärungen, die der Kläger dafür gegeben habe, nicht nachvollziehen konnte, die Lieferungen an den Kläger trotz des hohen Werts der Ware ohne Sicherheit und dokumentierte Vertragsbeziehungen erfolgt waren, der Kläger gegenüber der Bank unrichtige Angaben gemacht hatte und nach Weigerung der Bank, weiterhin Altgold von ihm anzukaufen, einen neuen Vertriebskanal eröffnet hatte, um das Geschäft möglichst lange fortführen zu können, die Vertragspartner des Klägers in Branchenkreisen schon auffällig geworden waren und die Zwischenschaltung des Klägers aus wirtschaftlicher Sicht gänzlich sinnlos erschienen war.

Aus der Sicht des Klägers soll aus dem angefochtenen FG-Urteil nicht ersichtlich sein, dass und inwiefern er in Bezug auf den Umgang der Lieferanten mit ihren steuerlichen Pflichten hätte misstrauisch werden können. Außerdem habe das FG die Voraussetzungen eines Kennenmüssens in seinem Urteil nicht „dargelegt“. Die Revision betont dabei mehrfach, dass der Kläger von den GmbHs tatsächlich Altgold geliefert erhalten, dieses an die Bank weitergeliefert, ordnungsgemäße Gutschriften erteilt und seine Lieferanten, die nicht alsbald „von der Bildfläche verschwunden“ seien, bezahlt habe. Mit diesen Einwendungen bleiben nach Auffassung des BFH die Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO sowie die vom FG für seine tatsächliche Würdigung angeführten objektiven Anhaltspunkte unbeachtet. Davon, dass das FG die Anwendbarkeit der Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH nur zu Lasten des Klägers unterstellt hätte, könne bei der angefochtenen Vorentscheidung keine Rede sein. Vielmehr sei die Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze auf den Streitfall im zweiten Rechtsgang revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die von der Revision betonten Umstände stünden der tatsächlichen Würdigung des FG, dass die (Verantwortlichen der) GmbHs jeweils eine Steuerhinterziehung durch unberechtigte Geltendmachung des Vorsteuerabzugs aus Abdeckrechnungen begangen haben, um den wahren Lieferer des an sie gelieferten Altgolds zu verschleiern, ebenso wenig entgegen wie der – von der Auffassung der Staatsanwaltschaft abweichenden – Annahme des FG, dass der Kläger dies zumindest habe wissen müssen.

Besonders erwähnenswert ist aus Sicht des BFH, dass der Bank als Abnehmerin das Umsatzwachstum auffällig erschien und sie den Kläger dazu befragt hat. Im Rahmen seiner Befragung habe der Kläger sowohl nach den tatsächlichen Feststellungen des FG als auch nach der vom FG in Bezug genommenen Geldwäsche-Verdachtsanzeige gegenüber der Bank zu den Hintergründen dieses Umsatzwachstums unrichtige Angaben gemacht und nach der Geldwäsche-Verdachtsanzeige den Versuch unternommen, über M als alternativen Absatzweg den GmbHs die Möglichkeit zu eröffnen, ihre von der Bank beanstandeten Geschäfte fortzusetzen. Aus der Sicht eines redlichen Steuerpflichtigen bestehe zu unrichtigen Angaben gegenüber seinem Abnehmer, der ihn zu den Hintergründen von „explosionsartigen Umsatzsteigerungen“ befragt, weil diese ihn misstrauisch machen, keinerlei Anlass. Außerdem wäre der Umstand, dass ein Abnehmer ihn als Lieferanten zu den Gründen des explosionsartigen Umsatzwachstums befragt, für einen redlichen Steuerpflichten Anlass, als Abnehmer gegenüber seinen Lieferanten ebenso zu verfahren und nicht gegenüber der Bank unrichtige Angaben zu machen. Gleiches gelte bei einem redlichen Steuerpflichtigen für die Umsätze aufgrund der erfolgten Beendigung des Goldankaufs durch die Bank, die in Verbindung mit der Geldwäsche-Verdachtsanzeige der Bank (vor allem aufgrund der erfolgten Überweisungen an die GmbHs) stand. Diese vom FG festgestellten Tatsachen ließen den vom FG gezogenen Schluss, dass der Kläger von Anfang an von deren Steuerhinterziehungen zumindest hätte wissen müssen, zumindest als möglich erscheinen. Der Kläger habe versucht, mit falschen Angaben aktiv dazu beizutragen, dass die Steuerhinterziehungen der GmbHs weitergehen konnten. Dies rechtfertige die vom FG gezogenen Schlüsse. Da die Falschangaben des Klägers gegenüber der Bank schon einige Tage nach dem ersten Umsatz ohne Rücksprache mit den vier GmbHs erfolgt seien, sei auch der Schluss gerechtfertigt, dass der Kläger von Anfang an von den Steuerhinterziehungen hätte wissen müssen.

Praxishinweis

Insgesamt hat der BFH die bisherige EuGH-Rechtsprechung nachvollzogen. Unklar bleibt aber auch nach dieser Entscheidung, was genau ein „wissen“ oder „hätte wissen müssen“ des Unternehmers über Steuerbetrug in der Leistungskette bedeutet, damit ihm ein Vorsteuerabzug versagt werden kann.

Mit § 25f UStG wurde zum 1.1.2020 eine Sanktionsvorschrift in das UStG eingefügt, die den Umsatzsteuerbetrug in Form des unberechtigten Vorsteuerabzugs und der unberechtigten Geltendmachung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen dadurch bekämpfen soll, dass Unternehmern, die in eine Umsatzsteuerhinterziehung oder eine unberechtigte Geltendmachung des Vorsteuerabzugs oder einer Schädigung des Umsatzsteueraufkommens auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe einbezogen waren, der Vorsteuerabzug oder die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen versagt wird. Die Versagung setzt voraus, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder einem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Umsatzsteuerhinterziehung oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens einbezogen war. Der den Vorsteuerabzug bzw. eine Steuerbefreiung begehrende Unternehmer trägt grundsätzlich zunächst in tatsächlicher Hinsicht die Feststellungslast für das Vorliegen der Begünstigung (Vorsteuerabzug bzw. Steuerbefreiung). Im Weiteren sind aber die objektiven Umstände, die für eine wissentliche Einbindung des Unternehmers in einen Umsatzsteuerbetrug (oder ein „hätte wissen müssen“) sprechen, von der Finanzverwaltung zu beweisen. Insofern ist an der BFH-Entscheidung verwunderlich, dass er nicht grundsätzlich in Frage gestellt hat, dass das FG bei seinen Tatsachenfeststellungen auf das Verhalten des Klägers selbst abstellt, aber nicht auf die Frage, ob das FA seiner Beweislast nachzuweisen, dass der Kläger „wusste oder hätte wissen müssen“ und damit der Würdigung des Verhaltens des Klägers durch das Finanzamt ausreichend nachgekommen ist.

Wenig nachvollziehbar an der BFH-Entscheidung ist auch:
Der BFH zitiert das EuGH-Urteil v. 1.7.2021 – C-519/21, (Tribunal Económico Administrativo Regional de Galicia) in der Weise, dass Steuerpflichtige, die selbst eine Steuerhinterziehung begangen haben, die Folgen ihres betrügerischen Verhaltens z.B. dadurch zu tragen hätten, dass sie die Vorsteuer auf alle Waren oder Dienstleistungen, die für die Erbringung der eigenen Leistungen herangezogen wurden, auch dann nicht in Abzug bringen können, wenn auf die Umsätze, für die keine Rechnung ausgestellt wurde, nach einer Steuerprüfung rückwirkend MwSt erhoben wird. Dies könnte so verstanden werden, dass einem Umsatzsteuer hinterziehenden Unternehmer der Vorsteuerabzug auf die Eingangsumsätze, die mit einem betrugsbehafteten Ausgangsumsatz des Unternehmers verbunden sind, zu versagen ist. Dies hat der EuGH in der Sache C-519/21 jedoch nicht entschieden. Der EuGH führt aus, dass der Unionsgesetzgeber unabhängig von den Sanktionen, die von den Mitgliedstaaten zur Bekämpfung rechtswidriger und insbesondere betrügerischer Verhaltensweisen festgelegt wurden, selbst dafür gesorgt habe, dass Steuerpflichtige, die die Grundregeln der MwStSystRL, insbesondere im Bereich der Rechnungsstellung, nicht eingehalten haben, die Folgen ihres Verhaltens tragen, indem sie die Mehrwertsteuer auch dann nicht in Abzug bringen können, wenn auf Umsätze, für die keine Rechnung ausgestellt wurde, nach einer Steuerprüfung rückwirkend Mehrwertsteuer erhoben wird. Damit kann nach den Umständen des Ausgangsfalls in der Sache C-519/21 nur gemeint sein, dass für die Leistungsbezieher des Klägers (der für seine Umsätze keine Rechnungen erteilt und die Umsätze auch nicht erklärt hatte), ein Vorsteuerabzug selbst dann ausscheidet, wenn die Finanzverwaltung diese Umsätze nachversteuert. Bisher ist nicht höchstrichterlich entschieden, dass ein Unternehmer den Vorsteuerabzug bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 UStG nicht geltend machen kann, wenn er die USt auf die auf dem Vorsteuerabzugs basierenden Ausgangsumsätze hinterzieht.

Ihre Ansprechpartner