Vorsteuerabzug eines Gesellschafters aus Investitionsumsätzen

Anmerkung zu dem BMF-Schreiben v. 12.04.2022

Praxisproblem

Der BFH hat mit Urteil v. 11.11.2015 - V R 8/15 entschieden, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nach den EuGH-Urteilen v. 29.4.2004 - C-137/02 (Faxworld) und v. 1.3.2012 - C-280/10 (Polski Trawertyn) auch im Zusammenhang mit Übertragungsvorgängen auf Gesellschaften bestehen könne. Die vom Kläger bezogenen Beratungsleistungen seien aber – anders als die Vermögensgegenstände in den Sachverhalten der EuGH-Urteile Faxworld und Polski Trawertyn – auch im Fall einer tatsächlich gegründeten GmbH nicht auf die GmbH übertragbar gewesen. Durch sie seien keine auf eine GmbH übertragbaren Vermögenswerte („Investitionsgüter“) entstanden. Der Gesellschafter einer noch zu gründenden GmbH könne im Hinblick auf eine beabsichtigte Unternehmenstätigkeit der GmbH nur dann zum Vorsteuerabzug berechtigt sein, wenn der Leistungsbezug durch den Gesellschafter bei der GmbH zu einem Investitionsumsatz führen soll.

Sachverhalt

In der EuGH-Sache Faxworld war fraglich, ob eine GbR, die als Vorgründungsgesellschaft einer noch zu gründenden AG fungierte und dabei Wirtschaftsgüter anschaffte, die sie im Rahmen einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen (GiG) nach § 1 Abs. 1a UStG auf die zur Gründung der AG dienende Vorgesellschaft übertrug, unternehmerisch (wirtschaftlich) tätig wurde und für die von ihr angeschafften Gegenstände den Vorsteuerabzug geltend machen kann. Der EuGH hat diese Frage bejaht. Nach der Entscheidung ist die Vorgründungsgesellschaft als Unternehmer anzusehen, weil sie Gegenstände für Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit erworben hat. Die Unternehmereigenschaft hängt nicht davon ab, dass die GbR selbst mit diesen Gegenständen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. „Für Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit“ kann auch die Tätigkeit eines anderen Unternehmers sein (hier: der Vorgesellschaft bzw. der später zu gründenden AG).

In der EuGH-Sache Polski Trawertyn war die Berechtigung eines Personenverbundes von zukünftigen OHG-Personengesellschaftern zum Vorsteuerabzug streitig, der vor der formellen Eintragung der OHG in das Handelsregister der Gesellschaft dienende Investitionsausgaben getätigt wurde. Der EuGH hatte in Bezug auf sein Urteil Faxworld entschieden, dass eine OHG, deren Gesellschafter Investitionen (hier der Erwerb eines Grundstücks) vor Eintragung der OHG ins Handelsregister bzw. vor der umsatzsteuerlichen Registrierung der OHG für Zwecke der wirtschaftlichen Tätigkeit der OGH getätigt haben, für diese Investitionen zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Weiter hat der EuGH entschieden, dass in einem solchen Fall bereits dem Personenverbund der Gesellschafter selbst der Vorsteuerabzug zustehen kann. Wenn der Personenverbund vor Eintragung und mehrwertsteuerlicher Erfassung ihrer Gesellschaft Investitionen getätigt hat, die für die künftige Nutzung durch die Gesellschaft erforderlich sind, ist er als Unternehmer anzusehen und daher grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigt.

Entscheidung

Mit dem BMF-Schreiben v. 12.4.2022 hat die Verwaltung nun die v.g. Rechtsprechung aufgegriffen und verarbeitet. Die Grundsätze wurden in Abschnitt 15b.2 Abs. 4 UStAE zusammengefasst. Sie sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

Praxishinweise

Folgende Grundsätze sind beachtlich:

Weiterreichung von Leistungen durch einen Gesellschafter/Vorgründungsgesellschaft an (spätere) Gesellschaft
Leistet ein Gesellschafter bzw. eine Vorgründungsgesellschaft bezogene Leistungen im Rahmen eines eigenen umsatzsteuerlichen Unternehmens an die Gesellschaft weiter, z. B. über eine GiG, richtet sich der Vorsteuerabzug aus den bezogenen Leistungen nach den allgemeinen Grundsätzen. Einem Gesellschafter bzw. einer Vorgründungsgesellschaft kann unter den übrigen Voraussetzungen der Vorsteuerabzug auch aus einer bezogenen Leistung zustehen, die der Gesellschaft später außerhalb eines Leistungsaustauschs zuwächst (z. B. Weiterleistung durch einen ansonsten nicht unternehmerisch tätigen Gesellschafter).

Es muss sich um einen Investitionsumsatz handeln
Voraussetzung ist, dass es sich aus Sicht der (geplanten) Gesellschaft um einen Investitionsumsatz handelt und die beabsichtigte Tätigkeit der Gesellschaft einen Vorsteuerabzug nicht ausschließt. Unter den Begriff Investitionsumsatz fallen dabei Vermögenswerte (bezogene Lieferungen oder sonstige Leistungen), die der Gesellschafter (bzw. die Vorgründungsgesellschaft) tatsächlich an die Gesellschaft überträgt und die von dieser für ihre wirtschaftliche Tätigkeit genutzt werden. Der Begriff „Investitionsgüter“ ist dabei nicht einschränkend so zu verstehen, dass er nur Wirtschaftsgüter umfasst, sondern kann auch sonstige Leistungen umfassen, sofern diese die Voraussetzungen für einen Investitionsumsatz erfüllen. Der Gesellschafter ist durch den Investitionsumsatz in Bezug auf diesen ausnahmsweise und unter den übrigen Voraussetzungen zum Vorsteuerabzug berechtigt. Dafür genügt es, dass die Eigenschaft des Gesellschafters als Unternehmer aus diesem Investitionsumsatz resultiert.

Vorsteuerabzug auch bei Scheitern der Gesellschaftsgründung
Gleiches gilt, wenn der Investitionsumsatz zwar beabsichtigt ist, aber nur deshalb nicht tatsächlich erfolgt, weil eine geplante Gesellschaftsgründung scheitert. Auch in diesem Fall kann dem erfolglosen Gesellschafter bzw. der Vorgründungsgesellschaft der Vorsteuerabzug aus einem Investitionsumsatz zustehen. Der private Verbrauch oder der Weiterverkauf eines Investitionsumsatzes nach einer gescheiterten Gesellschaftsgründung führt nicht zum Verlust des ursprünglichen Vorsteuerabzugs, sondern zu einer Entnahmebesteuerung bzw. Lieferung im Rahmen eines Hilfsgeschäfts.

Kein Investitionsumsatz ist…
Von einem Investitionsumsatz abzugrenzen sind bezogene Leistungen, die generell nicht an die Gesellschaft übertragen werden können, sondern z. B. durch den Gesellschafter selbst genutzt oder verbraucht werden, oder die zwar von der Gesellschaft genutzt, aber nicht tatsächlich an sie übertragen werden (vgl. BFH v. 26.8.2014 - XI R 26/10 zum Erwerb eines Mandantenstammes durch den Gesellschafter einer Steuerberatungs-GbR).

Gründung einer Kapitalgesellschaft
Ein Gesellschafter oder eine zur Gründung einer Kapitalgesellschaft errichtete Personengesellschaft (sog. Vorgründungsgesellschaft), der bzw. die nach Gründung der Kapitalgesellschaft die bezogenen Leistungen in einem Akt gegen Entgelt an diese veräußert und andere Ausgangsumsätze von vornherein nicht beabsichtigt hatte, ist unter den übrigen Voraussetzungen des § 15 UStG zum Abzug der Vorsteuer für den Bezug von Dienstleistungen und Gegenständen ungeachtet dessen berechtigt, dass die Umsätze im Rahmen einer GiG nicht der USt unterliegen. Maßgebend sind insoweit die beabsichtigten Umsätze der Kapitalgesellschaft.

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