Zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens nach § 13b UStG bei Bauleistungen in Fällen von Organschaften

Anmerkung zu: BMF-Schr. v. 27.09.2021

Praxisproblem

Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Bauleistungen

Durch das KroatienG war m. W. v. 01.10.2014 der Anwendungsbereich der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (Reverse-Charge-Verfahren) auf Bauleistungen (§ 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG) und Gebäudereinigungsleistungen (§ 13b Abs. 2 Nr. 8 UStG) geändert, um die Folgen der BFH-Rechtsprechung (BFH-Urt. v. 22.08.2013, V R 37/10, BStBl II 2014, S. 128, und v. 11.12.2013, XI R 21/11, BStBl II 2014, S. 425) in der Praxis zu vermeiden (für Zeiträume vor dem 01.10.2014 hatte der BFH die gesetzliche Regelung einschränkend dahingehend ausgelegt, dass es für die Entstehung der Steuerschuld allein darauf ankommt, ob der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet).

In den in § 13b Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 UStG genannten Fällen schuldet der Leistungsempfänger m. W. v. 01.10.2014 die Steuer unabhängig davon, ob er sie für eine von ihm erbrachte Leistung i. S. d. § 13b Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 UStG verwendet, wenn er ein Unternehmer ist, der nachhaltig entsprechende Leistungen erbringt.

Hinweis:

Es ist nach der Gesetzesregelung davon auszugehen, dass die Nachhaltigkeit von Bauleistungen erfüllt ist, wenn dem Unternehmer das nach den abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständige Finanzamt auf Antrag oder von Amts wegen eine im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes gültige Bescheinigung (nach dem Vordruckmuster USt 1 TG) erteilt hat.

Hinweis:

Der Leistungsempfänger ist für an ihn erbrachte, in § 13b Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 UStG genannte Bauleistungen nicht Steuerschuldner, wenn er nicht nachhaltig Bauleistungen erbringt. Die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers gilt deshalb vor allem nicht für Nichtunternehmer sowie für Unternehmer mit anderen als den vorgenannten Umsätzen, z.B. Baustoffhändler, die ausschließlich Baumaterial liefern, oder Unternehmer, die ausschließlich Lieferungen erbringen, die unter das GrEStG fallen. Bauträger, die ausschließlich eigene Grundstücke zum Zwecke des Verkaufs bebauen, führen eine bloße Grundstückslieferung mit der Folge aus, dass sie für an sie erbrachte, in § 13b Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 UStG genannte Leistungen grundsätzlich nicht Steuerschuldner nach § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG sind.

Zu der Rechtslage in den Jahren 2008 bis 2011 hat derBFH mit Urteil v. 23.07.2020, V R 32/19, entschieden, dass bei einer Organschaft der Organträger die Eingangsleistung (hier: Bauleistung) bezieht, so dass es für § 13b Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 UStG auf die Außenumsätze des Organkreises ankomme. Dabei kommt es auf die dem Organträger umsatzsteuerrechtlich zuzuordnenden Außenumsätze und nicht auf die nichtsteuerbaren Innenumsätze der Organgesellschaft innerhalb des Organkreises an.

Entscheidung

Bei Anwendung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers sind dessen nicht steuerbare Innenumsätze unbeachtlich

Mit BMF-Schreiben v. 27.09.2021 hat die Verwaltung die Grundsätze dieses BFH-Urteils, auch wenn es zu Altjahren ergangen ist, allgemein aufgegriffen. Das bedeutet, für die Anwendung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 4 UStG in derzeit geltender Fassung sind nicht steuerbare Innenumsätze unbeachtlich. Dieser Grundsatz gilt allgemein und wird von der Verwaltung auf die Anwendung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers bei Lieferungen von Gas oder Elektrizität nach § 13b Abs. 5 Satz 3 und 4 i. V. m. Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b UStG, bei der Reinigung von Gebäuden und Gebäudeteilen nach § 13b Abs. 5 Satz 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 8 UStG und bei sonstigen Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation nach § 13b Abs. 5 Satz 6 i. V. m. Abs. 2 Nr. 12 UStG übertragen.

Praxishinweis

10 %-Grenze bei Bauleistungen

Ein Unternehmer erbringt zumindest dann nachhaltig Bauleistungen, wenn er mindestens 10 % seines Weltumsatzes (Summe seiner im Inland steuerbaren und nicht steuerbaren Umsätze) als Bauleistungen erbringt (Abschn. 13b.3 Abs. 2 UStAE). Erbringt bei einem Organschaftsverhältnis nur ein Teil des Organkreises (z. B. der Organträger oder eine Organgesellschaft) nachhaltig Bauleistungen, ist der Organträger für die Bauleistungen Steuerschuldner, die an diesen Teil des Organkreises erbracht werden. Die Grundsätze von Abschn. 13b.3 Abs. 1 bis 5 UStAE sind auf den jeweiligen Unternehmensteil entsprechend anzuwenden (Abschn. 13b.3 Abs. 7 UStAE). Bei der Berechnung der 10 %-Grenze gilt nach wie vor, dass nur die Bemessungsgrundlagen der Umsätze zu berücksichtigen sind, die dieser Teil des Organkreises erbracht hat, jedoch sind nunmehr nicht steuerbare Innenumsätze dabei unbeachtlich (Absch. 13b.3 Abs. 7 Satz 3 UStAE).

Lieferungen von Gas, Elektrizität, Wärme oder Kälte

Entsprechendes gilt beim Reverse-Charge-Verfahren bezüglich Lieferungen von Gas, Elektrizität, Wärme oder Kälte. Erfüllt bei einem Organschaftsverhältnis nur ein Teil des Organkreises (z. B. der Organträger oder eine Organgesellschaft) die Voraussetzung als Wiederverkäufer nach § 3g Abs. 1 UStG, ist für Zwecke der Anwendung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b und Abs. 5 Satz 3 und 4 UStG nur dieser Teil des Organkreises als Wiederverkäufer anzusehen (Abschn. 13b.3a Abs. 3 UStAE). Die Grundsätze von Abschn. 13b.3a Abs. 2 und Abschn. 3g.1 Abs. 2 und 3 UStAE sind insoweit nur auf den jeweiligen Unternehmensteil anzuwenden, wobei nunmehr nicht steuerbare Innenumsätze bei der Ermittlung der Wiederverkäufereigenschaft unbeachtlich sind.

Sonstige Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation

Entsprechendes gilt beim Reverse-Charge-Verfahren bezüglich sonstiger Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation (§ 13b Abs. 2 Nr. 12 UStG). Erfüllt bei einem Organschaftsverhältnis nur ein Teil des Organkreises (z. B. der Organträger oder eine Organgesellschaft) die Voraussetzung als Wiederverkäufer von Telekommunikationsleistungen, ist für Zwecke der Anwendung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b Abs. 2 Nr. 12 und Abs. 5 Satz 6 UStG nur dieser Teil des Organkreises als Wiederverkäufer anzusehen. Die Grundsätze von Abschn. 13b.7b Abs. 2 und 3 UStAE sind insoweit nur auf den jeweiligen Unternehmensteil anzuwenden. Nicht steuerbare Innenumsätze sind bei der Ermittlung der Wiederverkäufereigenschaft nunmehr unbeachtlich.

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