Neues zur umsatzsteuerlichen Organschaft: Organträger kein Steuerschuldner?!

Schlussanträge der Generalanwältin in den Rechtssachen C-141/20 und C-269/20

Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft nach § 2 Absatz 2 Nr. 2 UStG beschäftigt seit Jahren verstärkt die obersten nationalen und europäischen Gerichte. Stand dabei bisher verstärkt in Deutschland die Frage im Vordergrund, welche Rechtsformen als Organträgerin, also der Gesellschaft, die für umsatzsteuerrechtliche Zwecke in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist, zulässig sind, muss sich die Rechtsprechung in jüngster Zeit mit der Frage auseinandersetzen, ob die umsatzsteuerrechtliche Organschaft überhaupt in der jetzigen rechtlichen Ausgestaltung unionsrechtskonform ist.

Anhängige EuGH Verfahren C-141/20 und C-269/20

Bereits 2019 hat der XI. Senat (Vorlagebeschluss vom 11.12.2019, XI R 16/18) und dann folgend 2020 der XI. Senat (Vorlagebeschluss vom 07.05.2020, V R 40/19) des Bundesfinanzhofs dem EuGH (mit den dort jetzt anhängigen Rechtssachen C-141/20 und C-269/20) unter anderem die für die Systematik des deutschen Umsatzsteuerrechts entscheidende Frage vorgelegt, ob die jetzige nationale Regelung, wonach der Organträger, in dessen umsatzsteuerrechtliches Unternehmen andere Gesellschaften als Organgesellschaften finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich eingegliedert sind, als einziger Steuerpflichtiger dieser dann entstandenen Organschaft anzusehen ist, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.  

Handlungsbedarf: Schlussanträge der Generalanwältin zu Rechtssache C-141/20 und C-269/20

In den für das nationale Umsatzsteuerrecht, aber auch für den deutschen Fiskus finanziell bedeutsamen Verfahren C-141/20 und C-269/20 liegen zwar aktuell noch keine Entscheidungen des EuGH vor, allerdings hat die für beide Verfahren zuständige Generalanwältin, Laila Medina, beim EuGH nunmehr ihre Schlussanträge veröffentlicht. Dieses ist besonders bedeutsam, da sich der EuGH in seinen Entscheidungen häufig der rechtlichen Argumentation der jeweiligen Generalanwälte anschließt.  

In beiden Schlussanträgen, hier vom 13.01. und vom 27.01.2022, hat die Generalanwältin mit Blick auf die in diesem Zusammenhang identischen Vorlagefragen der beiden BFH-Senate bestätigt, dass Personen, die zwar rechtlich selbständig, aber durch finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, als eine Mehrwertsteuergruppe in Bezug auf die Verpflichtungen im Bereich der Mehrwertsteuer als ein Steuerpflichtiger anzusehen sind und als solche behandelt werden können. Dennoch steht das Unionsrecht, so die Generalanwältin, einer nationalen Regelung entgegen, wonach nur die herrschende Gesellschaft der Mehrwertsteuergruppe als der Steuerpflichtige angesehen werden kann, während die anderen Mitglieder der Gruppe ihre Selbständigkeit verlieren und als nicht steuerpflichtig angesehen werden.

Für die deutsche Regelung zur Organschaft in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG könnte dieses bedeuten, dass soweit der EuGH in dieser Auslegung der Generalanwältin folgt, der Organträger nicht mehr als Steuerschuldner der gesamten Organschaft anzusehen wäre. Soweit ebenfalls auch nicht die jeweiligen Organgesellschaften in Anspruch genommen werden können, wovon auszugehen wäre, verbliebe nur die Mehrwertsteuergruppe selbst für die Inanspruchnahme als Steuerpflichtige – und genau diese ist im deutschen Umsatzsteuerrecht so als Steuerschuldner nicht existent. Aus Sicht der Generalanwältin ist die Mehrwertsteuergruppe an sich als fiktive und eigenständige Steuerpflichtige anzusehen, welche einen Vertreter bestellen kann, der die Verantwortung für sie übernimmt. Als Konsequenz wäre es mehr als fraglich, ob die deutsche Finanzverwaltung überhaupt noch Umsatzsteuerüberhänge von deutschen Organschaften eintreiben könnte. Vor allem ist – sofern der EuGH dem folgt – der Organträger nicht mehr Steuerpflichtiger für den gesamten Organkreis.

Spätestens jetzt wäre daher zu prüfen, ob gegen laufende Umsatzsteuerfestsetzungen mit Verweis auf die beiden genannten EuGH Verfahren Einspruch eingelegt und Vorjahre verfahrensrechtlich hier noch offen gehalten werden sollten, um von einer dann eventuell entsprechenden Entscheidung des EuGH zu profitieren.

Weitere bedeutsame Feststellungen der Schlussanträge sind, dass die derzeitigen deutschen Eingliederungsmerkmale zu restriktiv sind und – darauf lassen die Beispiele der Generalanwältin schließen – Innenumsätze doch steuerbar sind und sich lediglich in der Mehrwertsteuergruppe deklaratorisch aufheben.

Wir raten allen an einer Organschaft Beteiligten, den Handlungsbedarf dahingehend zu prüfen, ob Verfahren noch offen gehalten werden und ggf. bereits Vorkehrungen für die EuGH-Entscheidung zu treffen sind. Je nach Auswirkungen wird man sich auf das Unionsrecht oder die derzeitige Regelung berufen wollen. Auch wenn die Schlussanträge nicht das Urteil des EuGH vorwegnehmen, so folgt dieser regelmäßig den Schlussanträgen. In Deutschland ist bereits die neue „Umsatzsteuergruppe“ in Planung. Diese werden nun sicherlich beschleunigt, sollte der EuGH die umsatzsteuerrechtliche Organschaft ebenfalls als unionsrechtswidrig betrachten. Es bleibt spannend. Bei Fragen sprechen Sie uns gern an.

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