Einfuhrumsatzsteuer und Ort der Einfuhr

Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 8.9.2022, C-368/21 (Hauptzollamt Hamburg)

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg v. 10.6.2021 (4 K 130/20, UR 2021) ging es um den Ort der Einfuhr. Der Kläger wandte sich gegen die Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) durch Deutschland auf ein unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften ins Unionsgebiet verbrachtes Fahrzeug.

Sachverhalt

Der Kläger erwarb im Januar 2019 in Georgien einen in Georgien auf seinen Namen zugelassenen Pkw. Im März 2019 fuhr er mit dem Fahrzeug von Georgien über die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland, ohne das Fahrzeug in der Union zu einer Einfuhrzollstelle zu befördern und zu gestellen. In Deutschland benutzte der Kläger das Fahrzeug für private und – was das beklagte Hauptzollamt bestreitet – geschäftliche Fahrten. Bei einer dieser Fahrten wurde der Kläger im März 2019 von einer Kontrolleinheit des Zolls kontrolliert.

Die Zollbehörde setzte Zoll und EUSt gegen den Kläger fest. Zur Begründung gab sie an, dass der Kläger das Fahrzeug entgegen seiner Pflicht aus Art. 139 Unionszollkodex (UZK) nicht an der ersten Zollstelle im Unionsgebiet gestellt habe. Daher sei das Fahrzeug vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden, sodass eine Einfuhrzollschuld gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entstanden sei. Der Kläger sei Zollschuldner gemäß Art. 79 Abs. 3 Buchst. a UZK, weil er zur Gestellung verpflichtet gewesen wäre. Die EUSt sei in entsprechender Anwendung der genannten Zollvorschriften gemäß § 21 Abs. 2 UStG entstanden.

Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL unterliegt die Einfuhr von Gegenständen der Mehrwertsteuer. Nach Art. 30 Abs. 1 MwStSystRL gilt als Einfuhr eines Gegenstands die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr befindet, in die Union. In Art. 60 MwStSystRL heißt es zum „Ort der Einfuhr von Gegenständen“: Die Einfuhr von Gegenständen erfolgt in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Gemeinschaft verbracht wird. Nach Art. 70 MwStSystRL treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt.

Für das FG Hamburg war unzweifelhaft, dass die Zollschuld gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entstanden war. Das Fahrzeug wurde unter Verstoß gegen die Beförderungspflicht nach Art. 135 Abs. 1 UZK und die Pflicht zur Gestellung bei der ersten Zollstelle gemäß Art. 139 Abs. 1 UZK und damit vorschriftswidrig ins Zollgebiet der Union verbracht. Eine konkludente Überführung des Fahrzeugs in das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung durch Passieren der Zollstelle gemäß Art. 141 Abs. 1 Buchst. b UZK-DelVO, die dazu geführt hätte, dass kein Zoll entstanden wäre, ist ersichtlich nicht erfolgt. Denn das Fahrzeug war nicht – wie es Art. 250 Abs. 2 Buchst. d UZK in Verbindung mit Art. 212 Abs. 3 Buchst. a und b UZK-DelVO voraussetzt – auf den Namen einer außerhalb der Union ansässigen Person zugelassen und wurde nicht von einer solchen Person verwendet. Der Kläger ist vielmehr, da er seinen Wohnsitz in Deutschland hat, im Zollgebiet der Union ansässig (vgl. Art. 5 Nr. 31 UZK).

Das beklagte Hauptzollamt war für die Festsetzung der Zollschuld zuständig. Zwar ist der Ort des Entstehens der Zollschuld gemäß Art. 87 Abs. 1 Unterabs. 2 UZK der Ort, an dem der Tatbestand, der die Zollschuld entstehen lässt, erfüllt ist. Dies war hier grundsätzlich Bulgarien, weil es der Ort ist, an dem das Fahrzeug erstmals vorschriftswidrig ins Zollgebiet der Union verbracht wurde und die Pflichtverletzung damit verwirklicht worden ist. Gleichwohl war Deutschland vorliegend gemäß Art. 87 Abs. 4 UZK zuständig für die Erhebung der Zölle. Ist eine Zollschuld nach Artikel 79 UZK in einem anderen Mitgliedstaat entstanden und beträgt der dieser Schuld entsprechende Einfuhrabgabenbetrag weniger als 10 000 EUR, so gilt die Zollschuld als in dem Mitgliedstaat entstanden, in dem ihre Entstehung festgestellt wurde. Dies war im März 2019 in Deutschland.

Rechtlich zweifelhaft war für das FG Hamburg die Frage, ob Deutschland auch für die Festsetzung der EUSt zuständig war. Dies wäre der Fall, wenn die Auslegung der Art. 30 und 60 MwStSystRL ergibt, dass der Ort der Einfuhr in Deutschland lag, obwohl der Kläger das Fahrzeug vor der Ankunft in Deutschland durch mehrere Mitgliedstaaten hindurchgesteuert hatte. Anderenfalls wäre die Frage, ob die Zuständigkeitsfiktion gemäß Art. 87 Abs. 4 UZK entsprechende Anwendung auf die EUSt finden kann. Dies war Gegenstand der zweiten Vorlagefrage.

Das FG versteht die neuere Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis von Zollrecht und Einfuhrmehrwertsteuerrecht so, dass die Mitgliedstaaten die zollrechtlichen Vorschriften nur insoweit auf die EUSt entsprechend anwenden dürfen, wie dies nicht gegen die MwStSystRL verstößt. Dies bedeutet, dass ein zollrechtlicher Pflichtenverstoß, der in einem Mitgliedstaat begangen wird, nur dann zur Entstehung der EUSt in diesem Mitgliedstaat führt, wenn die Ware auch im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne dort eingeführt worden ist. Nur dann befindet sich der Ort der Einfuhr gemäß Art. 60 MwStSystRL in diesem Mitgliedstaat. Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH und der Rezeption dieser Rechtsprechung durch die deutschen Finanzgerichte hätte nach Auffassung des FG der Ort der Einfuhr im Vorlagefall in Bulgarien gelegen. Zweifel an diesem Ergebnis ergaben sich für das FG jedoch aufgrund des EuGH-Urteils v. 3.3.2021, C-7/20.

Nach der bisherigen EuG-Rechtsprechung kann neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und somit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten (EuGH v. 2.6.2016, C-226/14 und C-228/14, Eurogate Distribution und DHL Hub Leipzig; EuGH v. 1.6.2017, C-571/15, Wallenborn Transports; EuGH v. 10.7.2019, C-26/18, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung; EuGH v. 3.3.2021, C-7/20, VS). Allerdings kann eine solche Vermutung widerlegt werden, wenn nachgewiesen wird, dass trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens, das zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld in dem Mitgliedstaat führte, in dem dieses Fehlverhalten begangen wurde, ein Gegenstand im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. In diesem Fall tritt der Tatbestand der EUSt in diesem anderen Mitgliedstaat ein (EuGH v. 10.7.2019, C-26/18, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung; EuGH v. 3.3.2021, C-7/20, VS).

Diese EuGH-Urteile sind zu Gegenständen ergangen, die unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften durch verschiedene Mitgliedstaaten transportiert wurden. Vorliegend ging es jedoch nicht um Gegenstände, die transportiert wurden, sondern um eine Ware – ein Fahrzeug – , die selbst als Transportmittel eingesetzt wurde. In Anwendung der zuvor dargelegten Grundsätze des EuGH zum Eingang einer Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union auf Transportmittel und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung deutscher FG wäre das FG Hamburg in Bezug auf das Ausgangsverfahren zu dem Ergebnis gekommen, dass das Fahrzeug des Klägers in Bulgarien in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen war, weil es dort erstmals innerhalb der Union als Transportmittel benutzt wurde. Daher wäre dort der Ort der Einfuhr im Sinne von Art. 60 MwStSystRL. Zweifel an diesem Rechtsverständnis ergaben sich für das FG Hamburg jedoch aus dem EuGH-Urteil v. 3.3.2021, C-7/20, VS. Dessen Sachverhalt war in entscheidungserheblicher Hinsicht identisch mit dem vorliegenden Fall.

Das FG Hamburg war der Ansicht, dass im Ausgangsverfahren das Fahrzeug bereits in Bulgarien benutzt wurde und dadurch erstmalig dort in den Wirtschaftskreislauf der Union eingegangen war. Denn der Kläger habe das Fahrzeug tatsächlich für die Durchfahrt durch Bulgarien benutzt. Das FG konnte nicht erkennen, wodurch sich diese Nutzung des Fahrzeugs als Beförderungsmittel – die nach dem EuGH-Urteil in der Sache VS keinen Eingang in den Wirtschaftskreislauf der Union begründen soll – von den später in Deutschland durchgeführten Fahrten unterscheiden soll, die nach Einschätzung des EuGH in der Rechtssache VS (erst) dort zu einem Eingang des Fahrzeugs in den Wirtschaftskreislauf geführt hätten. Das rein zeitliche Moment, dass das Fahrzeug in Bulgarien lediglich vorübergehend und einmalig, in Deutschland dagegen anhaltend und wiederholt genutzt wurde bzw. genutzt wird, könne für die Frage des Eingangs der Ware in den Wirtschaftskreislauf nicht ausschlaggebend sein.

Die zweite Vorlagefrage des FG stellte sich nur, wenn der Ort der Einfuhr im Sinne von Art. 30 und 60 MwStSystRL in einem anderen Mitgliedstaat als Deutschland liegen sollte. Nur in diesem Fall sei es relevant, ob die deutschen Zollbehörden durch den Fiktionstatbestand des Art. 87 Abs. 4 UZK zuständig werden für die Festsetzung der EUSt. Die Voraussetzungen des gemäß § 21 Abs. 2 UStG entsprechend anwendbaren Art. 87 Abs. 4 UZK wären im Vorlagefall erfüllt: Die EUSt-Schuld würde bei einer Einfuhr in Bulgarien dort gemäß des entsprechend anwendbaren Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK als entstanden gelten. Der in Deutschland zu erhebende EUSt-Betrag beträgt im vorliegenden Fall weniger als 10.000 €. Entscheidend sei damit lediglich, ob die entsprechende Anwendung von Art. 87 Abs. 4 UZK, die § 21 Abs. 2 UStG anordnet, gegen die MwStSystRL verstößt. In diesem Fall dürfe Art. 87 Abs. 4 UZK nicht auf die Einfuhrmehrwertsteuer angewandt werden.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat entschieden, die Art. 30 und 60 MwStSystRL sind dahin auszulegen, dass der mehrwertsteuerrechtliche Ort der Einfuhr eines in einem Drittstaat zugelassenen Fahrzeugs, das unter Verstoß gegen zollrechtliche Vorschriften in die EU verbracht wird, in dem Mitgliedstaat liegt, in dem derjenige, der den zollrechtlichen Pflichtenverstoß begangen hat, ansässig ist und das Fahrzeug tatsächlich nutzt.

Entsprechend der vom EuGH in der Rs. Fedex (EuGH v. 10.7.2019, C-26/18, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung) erstmalig entwickelten Stufenfolge kann auf der ersten Stufe neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen, wenn aufgrund eines Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind und somit einem Verbrauch, d. h. dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang, zugeführt werden konnten.

Eine solche Vermutung kann auf der zweiten Stufe allerdings widerlegt werden, wenn nachgewiesen wird, dass ein Gegenstand trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens, das in dem Mitgliedstaat, in dem es begangen wurde, zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld führte, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. Dann tritt der Tatbestand der Einfuhrmehrwertsteuer in dem anderen Mitgliedstaat ein.

Nach Auffassung des EuGH komme die erstmalige Benutzung des Fahrzeugs im Gebiet der Union als Transportmittel seinem „Verbrauch“ – dem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang im Sinne des Urteils in der Rs. Fedex gleich oder zumindest ein Zwischenstadium zu diesem Verbrauch darstelle, was bedeuten würde, dass das Fahrzeug im vorliegenden Fall in Bulgarien in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt wäre.

Ein in einem Drittland zugelassenes Fahrzeug, das nicht „verbraucht“ werden kann, sondern mit dem der Steuerpflichtige vom Drittland aus in seinen Wohnsitzmitgliedstaat fuhr, um das Fahrzeug dort tatsächlich und dauerhaft zu nutzen, gelangt nach Auffassung des EuGH erst im Mitgliedstaat des faktischen Gebrauchs in den Wirtschaftskreislauf der Union. Maßgeblich für die Annahme eines dem Verbrauch entsprechenden Gebrauchs ist damit der Mitgliedstaat, in dem das Fahrzeug tatsächlich und dauerhaft genutzt wird. In diesem Zusammenhang kann der Wohnort des Nutzers als Anhaltspunkt für eine solche Nutzung dienen.

Die 2. Vorlagefrage musste der EuGH daher aus seiner Sicht nicht mehr beantworten.

Fazit

Der EuGH hat seine bisherige Rechtsprechung bestätigt (insbesondere sein Urteil vom 3.3.2021, C-7/20 (VS)). Die EUSt für zollpflichtige Gegenstände entsteht in dem Mitgliedstaat, in dem ein Verstoß gegen eine Verpflichtung aus unionsrechtlichen Zollvorschriften festgestellt wurde, sofern die fraglichen Waren in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union eingetreten sind, auch wenn sie körperlich in einem anderen Mitgliedstaat in das Zollgebiet der Union gelangt sind.

Der EuGH hat auch seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass neben der Zollschuld eine Mehrwertsteuerpflicht bestehen kann, wenn aufgrund des Fehlverhaltens, das zur Entstehung der Zollschuld führte, angenommen werden kann, dass die fraglichen Waren in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt sind. Allerdings kann eine solche Vermutung widerlegt werden, wenn nachgewiesen wird, dass trotz des zollrechtlichen Fehlverhaltens, das zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld in dem Mitgliedstaat führte, in dem dieses Fehlverhalten begangen wurde, ein Gegenstand im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem dieser Gegenstand zum Verbrauch bestimmt war, in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. In diesem Fall entsteht die EUSt in diesem anderen Mitgliedstaat (vgl. EuGH v. 10.7.2019, C-26/18, Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung).

Im Ausgangsverfahren war davon auszugehen, dass das Fahrzeug trotz seiner erstmaligen Benutzung in Bulgarien und des Umstands, dass es dort zum Zweck der Durchreise körperlich in das Gebiet der Union gelangt war, in seinem Bestimmungsmitgliedstaat, im konkreten Fall in Deutschland, tatsächlich benutzt wurde. Da das Fahrzeug in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist, erfolgte seine Einfuhr folglich gemäß den Art. 30 und 60 der Richtlinie 2006/112 in eben dem Mitgliedstaat Deutschland.

Neu an der Entscheidung sind die Ausführungen des EuGH, dass ein in einem Drittland zugelassenes Fahrzeug, das, nicht „verbraucht“ werden kann, sondern mit dem der Steuerpflichtige von diesem Land aus in seinen Wohnsitzmitgliedstaat fuhr, in dem das Fahrzeug tatsächlich und dauerhaft genutzt wurde, in diesem Mitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt ist. Obwohl es nicht selbst in diesen Mitgliedstaat befördert wurde, sondern in dem Mitgliedstaat, in dem es körperlich in das Unionsgebiet gelangte, als Transportmittel benutzt wurde, diente seine Nutzung im letztgenannten Mitgliedstaat nur dazu, es in den Mitgliedstaat seiner endgültigen Bestimmung zu bringen, um es dort tatsächlich und dauerhaft zu nutzen. In diesem Zusammenhang kann der Wohnort des Nutzers als Anhaltspunkt für eine solche Nutzung dienen.

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