EuGH: Vorabentscheidungsverfahren Bank Melli gegen Telekom Deutschland GmbH

(Rechtssache C-124/20) – Schlussanträge des Generalanwalts

In dem vom OLG Hamburg (OLG Hamburg, Beschluss v. 02.03.2020 – 11 U 116/19) beim Gerichtshof der Europäischen Union („EuGH“) vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen im Zusammenhang mit einem Zivilrechtsstreit der iranischen Bank Melli gegen die Telekom Deutschland GmbH („Telekom“) über die Wirksamkeit der Kündigung von Telekommunikationsdienstleistungen hat am 12.05.2021 der Generalanwalt seine Schlussanträge gestellt (Schlussantrag Generalanwalt Hogan, ECLI:EU:C:2021:386).

Die Hamburger Zweigniederlassung der nach iranischem Recht errichteten Bank Melli nahm für ihre Kommunikationsstrukturen Dienstleistungen der Telekom in Anspruch. Nach dem Austritt der USA aus dem Iran-Atomabkommen („Joint Comprehensive Plan of Action“ - JCPOA) im Jahre 2018 wurde die Bank Melli von der US-Administration („Office of Foreign Assets Control“ – OFAC) durch Aufnahme auf die SDN-Liste („Special Designated Nationals List“) mit Primärsanktionen belegt. Die Telekom kündigte daraufhin die Verträge mit der Bank Melli außerordentlich sowie ordentlich. Die Bank Melli hält auch die ordentliche Kündigung insoweit für unwirksam, als dass die Telekom damit gegen Art. 5 VO (EG) Nr. 2271/96 (nachstehend: EG-Blocking-VO) verstoße. Dieser lautet in Absatz 1 wie folgt:

„Keine Person im Sinne des Artikels 11 darf selbst oder durch einen Vertreter oder einen anderen Vermittler aktiv oder durch bewusste Unterlassung Forderungen oder Verboten, einschließlich Aufforderungen ausländischer Gerichte, nachkommen, die direkt oder indirekt auf den im Anhang aufgeführten Gesetzen oder den darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen beruhen oder sich daraus ergeben.“

Der Anhang der EG-Blocking-VO führt gegenwärtig ausschließlich US-Rechtsakte auf, die jeweils extraterritoriale (Sekundär-)Sanktionen beinhalten (u. a. 31 CFR Part 560 – Iranian Transactions and Sanctions Regulation).

In dem Berufungsverfahren vor dem OLG Hamburg hat der Senat zwecks Auslegung der maßgeblichen Vorschriften der EG-Blocking-Verordnung den EuGH um Vorabentscheidung ersucht. Mit den vorliegenden Schlussanträgen des Generalanwalts ist in diesem Verfahren nun ein wichtiger Schritt getan. Es bleibt abzuwarten ob der EuGH, wie es häufig der Fall ist, den Anträgen des Generalanwalts folgt.

Dieser vertritt die Ansicht, dass das Verbot, den erfassten ausländischen Sekundärsanktionen nachzukommen, für die EU-Wirtschaftsteilnehmer i. S. d Art. 11 EG-Blocking-VO auch dann gelte, wenn es zuvor zu keiner konkreten Verpflichtung durch ausländische Stellen gekommen sei. Danach – und so legt es auch der Wortlaut von Art. 5 EG-Blocking-VO nahe – kommt es hinsichtl. der erfassten US- Sekundärsanktionen gerade nicht auf weitere Umsetzungsmaßnahmen seitens der US-Behörden, oder Justiz gegenüber den EU-Wirtschaftsbeteiligten an. Das Verbot, diesen US-Sanktionen nachzukommen, gilt vielmehr abstrakt und bereits aus sich heraus.

Des Weiteren – und dies ist von besonderer Bedeutung für EU-Wirtschaftsbeteiligte, die in Geschäftsbeziehungen mit iranischen Vertragspartnern stehen – ergebe sich aus der EG-Blocking-VO die Pflicht, im Falle einer Beendigung dieser Geschäftsbeziehungen darzutun, dass diese nicht davon motiviert ist, den betroffenen ausländischen Sekundärsanktionen nachzukommen. Insoweit stehe der kündigende EU-Wirtschaftsteilnehmer in der Pflicht, dies – im Falle eines Rechtsstreits – zur Überzeugung des Gerichts darzutun. Folgt das Gericht dem Generalanwalt in diesem Punkt, sollten Unternehmen ihre Beweggründe für die Beendigung einer bestehenden Geschäftsbeziehung mit Iran-Bezug nachvollziehbar dokumentieren. Dabei könnten sich Unternehmen, so der Generalanwalt, hinsichtl. ihrer Kündigungsmotive jedoch darauf berufen, dass sie „aktiv eine kohärente und systematische Unternehmenspolitik der sozialen Verantwortung verfolgten, aufgrund derer sie u. a. Geschäfte mit jeglichem Unternehmen ablehnten, die Verbindungen zum iranischen Regime haben.“ (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung 78/21, S. 3).

Schließlich bestehe nach Ansicht des Generalanwalts für nationale Gerichte – und danach auch für das hier vorlegende OLG Hamburg – die Plicht, EU-Wirtschaftsbeteiligte, die unter Verstoß gegen Art. 5 EG-Blocking-VO Geschäftsbeziehungen zwecks Einhaltung der betroffenen US- Sekundärsanktionen beendet haben, zu verpflichten, diese aufrechtzuerhalten.

Diese Auslegung des Verbots aus Art. 5 EG-Blocking-VO bedeutet, dass die Privatautonomie der EU-Wirtschaftsbeteiligten ein Stück weit beschränkt ist. Es ist ihnen untersagt, ihre Geschäftsvorgänge an den von der EG-Blocking-VO betroffenen ausländischen extraterritorialen Sanktionen auszurichten und ihnen insoweit „nachzukommen“. Soweit bereits bestehende Geschäftsbeziehungen beendet werden sollen, begründet der Generalanwalt die von ihm erkannte Darlegungslast (betreffend den Umstand, dass die Beendigung kein „Nachkommen“ der ausländischen Sanktionen darstellt) damit, dass ein „stillschweigendes“ Befolgen zu verhindern sei.

Falls der EuGH dem Generalanwalt folgt, muss das OLG Hamburg darüber befinden, ob es davon überzeugt ist, dass die Telekom der Bank Melli nicht zwecks Befolgung der US-Sekundärsanktionen gekündigt hat. Hier wird es insbesondere darauf ankommen, wie das Gericht den Umstand bewertet, dass die Telekom auch die Verträge mit mindestens vier weiteren Kunden mit Iran-Bezug und Sitz in Deutschland kündigte. Dabei verwendete die Telekom ein gleichlautendes Kündigungsschreiben mit identischem Datum (vgl. OLG Hamburg, Beschluss v. 02.03.2020 – 11 U 116/19).

Link

Schlussanträge des Generalanwalts Hogan v. 12.05.2021

Quelle

Gerichtshof der Europäischen Union

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