Regelungen der EG-Dual-use-VO zur Ausfuhrkontrolle von Dual-use Gütern sind nicht abschließend

Gerichtliche Entscheidungen zur EG-Dual-use-VO sind selten. Noch seltener sind jedoch solche, die sich mit den in der EG-Dual-use-VO enthaltenen Öffnungsklauseln und ihrer Reichweite beschäftigen. Zu diesen Öffnungsklauseln äußerte sich nun das VG Frankfurt a.M. in einem interessanten Beschluss (VG Frankfurt a. M. (6. Kammer), Beschluss v. 12.02.2021 – 6 L 3232/20.F), in welchem es klar stellte: Die Notwendigkeit der Kontrolle von Dual-use Gütern erschöpft sich nicht in der Gefahr einer missbräuchlichen militärischen Verwendung, sondern kann auch aus anderen Gründen gerechtfertigt sein.

Sachverhalt

Hintergrund des genannten Beschlusses war die Ausfuhr mehrerer Brennelemente von Deutschland in ein grenznahes Atomkraftwerk in der Schweiz. Zum Zwecke der Ausfuhr in dieses Atomkraftwerk hatte ein deutsches Unternehmen sowohl einen Antrag auf Genehmigung der Ausfuhr von Kernbrennstoffen nach § 3 Abs. 3 AtomG als auch einen Genehmigungsantrag nach Art. 3 Abs. 1 EG-Dual-use-VO zur Ausfuhr von Dual-use Gütern beantragt und auch erhalten.

In Folge der Genehmigungserteilung erhoben mehrere Dritte – „Anwohner“ des Atomkraftwerkes auf deutscher Seite sowie ein Umweltschutzverband – Widerspruch gegen die atomrechtliche Genehmigung mit dem Argument, das Atomkraftwerk weise Sicherheitsmängel auf und die erlassende Behörde sei gehalten, keinen Beitrag zur Gefährdung der eigenen Bevölkerung zu leisten. Hinsichtlich ihrer Widerspruchsbefugnis beriefen sich die Dritten auf Drittschutz bzw. auf das Verbandsklagerecht.

Das exportierende Unternehmen beantragte daraufhin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes festzustellen, dass die atomrechtliche Ausfuhrgenehmigung nach § 3 Abs. 3 AtomG sofort vollziehbar ist. Diesem Antrag kam das VG Frankfurt a. M. nach und stellte die sofortige Vollziehbarkeit fest.

Neben Fragen zur Zulässigkeit von Drittwidersprüchen und Einzelheiten zu Vorschriften des AtomG und der Verbandsklage äußerte sich das Gericht auch zu der Frage, wie sich eine Ausfuhrgenehmigung nach § 3 Abs. 3 AtomG zu einer Ausfuhrgenehmigung nach Art. 3 Abs. 1 EG-Dual-use-VO verhält, denn die Antragstellerin begründet ihren Antrag unter anderem damit, dass die Widersprüche keine aufschiebende Wirkung entfalteten, da die Genehmigungspflicht nach § 3 Abs. 3 AtomG von solchen Genehmigungspflichten nach der EG-Dual-use-VO als vorrangigem und abschließendem Unionsrecht verdrängt würde.

Dies sah das Gericht anders und stellte in seinem Beschluss klar: Die Regelungen der EG-Dual-use-VO zur Ausfuhrkontrolle von Dual-use Gütern sind keineswegs abschließend.

Das augenscheinlich widersprüchliche Verhalten der Antragstellerin, eine Ausfuhrgenehmigung nach § 3 Abs. 3 AtomG zu beantragen und im folgenden Rechtsstreit diesen Antrag dann als von der EG-Dual-use-VO verdrängt anzusehen, sah auch das Gericht – sprach der Antragstellerin deshalb jedoch nicht ihr Rechtsschutzbedürfnis ab.

Kontrolle von Dual-use Gütern aus anderen Gründen?  

Das Gericht stützt sich in seiner Argumentation dabei vorrangig auf die verschiedenen in der EG-Dual-use-VO vorgesehenen Öffnungsklauseln. Zunächst verweist es auf die in Art. 4 Abs. 5 und Art. 8 Abs. 1 EG-Dual-use-VO vorgesehenen Öffnungsklauseln für nicht von Anhang I der EG-Dual-use-VO erfasste Dual-use Güter. Diese Öffnungsklauseln ermöglichen es Mitgliedsstaaten, auch solche nicht von Anhang I erfassten Dual-use Güter aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Menschenrechtserwägungen einer Genehmigungspflicht zu unterwerfen, oder deren Ausfuhr zu untersagen bzw. Vorschriften einzuführen, die die Kontrolle der in Art. 4 Abs. 1 EG-Dual-use-VO genannten ‚kritischen Verwendungszwecke‘ verschärfen. Die entscheidende Vorschrift sieht das Gericht jedoch in Art. 4 Abs. 8 EG-Dual-use-VO.

Art. 4 Abs. 8 EG-Dual-use-VO stelle klar, dass die EG-Dual-use-VO das Recht der Mitgliedsstaaten, einzelstaatliche Maßnahmen gemäß Art. 11 VO (EWG) Nr. 2603/69 („Ausfuhr-Verordnung“ – jetzt: Art. 10 VO (EU) 2015/479) zu ergreifen, unberührt lässt. Dieses Recht erstrecke sich nach Ansicht des Gerichts nicht bloß auf die in Art. 4 EG-Dual-use-VO geregelte Ausfuhrkontrolle von nicht von Anhang I der EG-Dual-use-VO erfassten Gütern, sondern grundsätzlich auf alle in den Anwendungsbereich der EG-Dual-use-VO einbezogenen Dual-use Güter.

Alles andere ergäbe aus Sicht des Gerichts einen Wertungswiderspruch, denn Dual-use Güter könnten nicht bloß als Güter mit doppeltem (also zivilen und militärischen) Verwendungszweck beschrieben werden, sondern sich auch durch weitere Eigenschaften auszeichnen, die eine Ausfuhrkontrolle aus anderen Gründen notwendig mache – der Sinn und Zweck der EG-Dual-use-VO bestehe aber vorrangig in einer Kontrolle zur Verhinderung einer missbräuchlichen militärischen Verwendung. Gründe außerhalb einer missbräuchlichen militärischen Verwendung, welche eine Kontrolle notwendig machten, seien der EG-Dual-use-VO fremd.

Um eine solche weitergehende Kontrolle von Dual-use Gütern zu ermöglichen, diene die in Art. 4 Abs. 8 EG-Dual-use-VO geschaffene Möglichkeit für die Mitgliedsstaaten, Maßnahmen nach Art. 10 VO (EU) 2015/479 auch für Dual-use Güter zu ergreifen. Art. 10 VO (EU) 2015/479 sieht vor, dass mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen u.a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen gerechtfertigt sein können.

Der Schutzzweck des Art. 10 VO (EU) 2015/479 sei somit nicht deckungsgleich mit dem der EG-Dual-use-VO und lasse weitergehende Ausfuhrkontrollen – sowohl der von Anhang I erfassten als auch der hiervon nicht erfassten Dual-use Güter – aus oben genannten Gründen zu.

Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeute dies, dass sich die Gefahr von Brennelementen eben nicht bloß aus einer missbräuchlichen militärischen Verwendung ergebe, sondern auch aus weiteren Gründen. Diese Gründe ließen sich u. a. unter die in Art. 10 VO (EU) 2015/479 genannte öffentliche Sicherheit fassen, welche nicht nur durch das Destabilisieren staatlicher Organe gefährdet sei, sondern auch durch die Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlage durch radioaktive Verseuchung.

Geringe Praxisrelevanz und trotzdem…

Auch wenn zu vermuten ist, dass der Beschluss des VG Frankfurt a. M. sich auf die tägliche Praxis der Wirtschaftsbeteiligten nicht in größerem Maße auswirken wird, wirft er doch ein interessantes Licht auf die Randbereiche der Ausfuhrkontrolle und insbesondere auch auf bestimmte, in der täglichen Anwendung weniger anzuwendende Vorschriften der EG-Dual-use-VO. Gleichzeig zeigt der Beschluss die enge Verknüpfung der EG-Dual-use-VO zu ihren grundsätzlich sicherheits- und gefahrenabwehrrechtlichen Grundlagen.

Link

Beschluss des VG Frankfurt a. M.  v. 12.02.2021, 6 L 3232/20.F

Quelle

Bürgerservice Hessenrecht

 

 

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