BFH zu den Folgen eines nicht ordnungsgemäß erledigten Verbrauchsteuerversandverfahrens

BFH Beschluss vom 22.8.2013, VII R 20/12

Praxisproblem

Die Besteuerung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren spielt in finanzgerichtlichen Urteilen immer wieder eine nicht unerhebliche Rolle; insbesondere im Zusammenhang mit der Beförderung von Waren von einem Mitgliedstaat der EU in einen anderen Mitgliedstaat der EU.

Da an den Binnengrenzen keine Kontrollen durchgeführt werden, wurde für den Warenverkehr mit verbrauchsteuerpflichtigen Gütern ein Überwachungssystem geschaffen – das sogenannte Verbrauchsteuerversandverfahren - welches mittlerweile elektronisch im Rahmen von EMCS (Excise Movement and Control System) abzuwickeln ist und lediglich in Ausnahmefällen papiermäßig durchgeführt werden darf.

Der nachfolgend dargestellte Fall liegt in einem Zeitraum, in dem noch das papiermäßige Steuerversandverfahren galt. Die Grundsätze können jedoch auch auf die heutigen Fälle übertragen werden.

Sachverhalt

Während des Zeitraums vom 31. Mai 2007 bis zum 7. November 2007 eröffnete der Kläger drei Steueraussetzungsverfahren in dem Spirituosen von einem Steuerlager in Deutschland zu einem in Schweden ansässigen Steuerlager des Unternehmens U befördert werden sollten. Als Ort der Lieferung wurde in den jeweiligen Verwaltungsdokumenten eine abweichende Anschrift in Schweden angegeben, nachstehend F. Ausweislich des ausgestellten Frachtbriefs sollten in allen drei Fällen die Spirituosen von der Spedition Y nach F befördert werden, wo einzelne Mitarbeiter die Empfangsbestätigung des begleitenden Verwaltungsdokumentes im Namen des Unternehmens U unterzeichneten.

Mit der Begründung, der Kläger habe die geforderte Sicherheitsleistung nicht erbracht, weshalb er auch ein Steueraussetzungsverfahren nicht wirksam habe eröffnen können, setzte das zuständige Hauptzollamt (HZA) gegen den Kläger mit insgesamt drei Branntweinsteuerbescheiden die für die nach Schweden versandten Spirituosen entstandene Branntweinsteuer fest.

Auf erneutes Ersuchen bestätigte die schwedische Finanzverwaltung dem HZA, dass U die Waren weder bestellt noch erhalten habe. Sie habe niemals mit dem Kläger in Geschäftsverbindungen Gestanden. Auch die unterzeichnenden Mitarbeiter würden weder für das Unternehmen U arbeiten, noch unterhalte U in F ein Steuerlager. Ferner konnte der wahre Empfänger des mit den begleitenden Verwaltungsdokumenten beförderten Alkohols nicht ausfindig gemacht werden. Die in den Dokumenten eingetragene Verbrauchsteuernummer stimme ebenfalls nicht mit derjenigen überein, die U zugeteilt worden sei.

Infolgedessen urteilte das Finanzgericht (FG), der Kläger habe den Nachweis einer ordnungsgemäßen Erledigung der Steueraussetzungsverfahren nicht erbringen können. Demnach sei die vom HZA erhobene Branntweinsteuer nach § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG gegen den Kläger rechtens. Als Ort der Zuwiderhandlungen oder Unregelmäßigkeiten wird gemäß dem Art. 20 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 von der Erhebungskompetenz Deutschlands ausgegangen, da dort das Steueraussetzungsverfahren mit Ziel Schweden eröffnet wurde.

Mit seiner Revision machte der Kläger geltend, das FG habe fälschlicherweise angenommen, der Ort der Zuwiderhandlung habe nicht festgestellt werden können, da aus Sicht des Klägers die Waren erst in Schweden dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden seien. Somit sei die Schlussfolgerung, der Branntwein sei auf deutschem Steuergebiet dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden, eine reine Unterstellung. Aus diesem Grund beantragte der Kläger die Aufhebung des Urteils des FG und der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen.

Entscheidung

Der BFH hält die Revision des Klägers, die entgegen der Rechtsauffassung des HZA die behauptete Rechtsverletzung hinreichend bezeichnet, für unbegründet. Somit ist der Kläger gemäß § 143 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BranntwMonG Steuerschuldner für alle drei Lieferungen geworden.

Nach § 143 Abs. 3 Satz 1 BranntwMonG gelten innergemeinschaftliche Steueraussetzungsverfahren im Steuergebiet als entzogen, wenn der Versender nicht innerhalb einer Frist von vier Monaten ab dem Tag des Versandbeginns den Nachweis führt, dass die Erzeugnisse am Bestimmungsort angelangt oder aufgrund einer als eingetreten geltenden Unregelmäßigkeit nicht am Bestimmungsort angelangt sind. Ausreichend für die Erhebung der Steuerschuld im Sinne von § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG ist allein der Umstand, dass die Waren nicht am Bestimmungsort angekommen sind und dass der tatsächliche Ort der Entnahmehandlung unbekannt ist.

Die Erhebungskompetenz der Steuerschuld wird dem Abgangsmitgliedstaat zugewiesen, von wo aus die verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht am Bestimmungsort eingetroffen sind und in denen der Ort der Zuwiderhandlung oder der Unregelmäßigkeit nicht festgestellt werden kann (vgl. Art. 20 Abs. 3 SystemRL). Dabei wird fingiert, dass auch dort die genannten Ereignisse eingetreten sind und auch dort die Steuer nach Art. 6 Abs. 1 SystemRL entstanden ist. Demzufolge ist es für den BFH rechtmäßig, Deutschland die Erhebungskompetenz der Steuerschuld zuzuweisen. Das BFH hat damit deutlich gemacht, dass diese Grundsätze auch in Streitfällen zu beachten sind, in denen man nicht final klären kann, wo die Zuwiderhandlungen oder Unregelmäßigkeiten i. S. des § 20 Abs. 3 SystemRL tatsächlich begangen worden sind.

Bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2011 ist es dem Kläger nicht gelungen, den Nachweis zu führen, dass die von ihm versandten Erzeugnisse am Bestimmungsort in Schweden angekommen und dort in ein Steuerlager des Unternehmens U aufgenommen worden sind. Auch einen der in § 143 Abs. 3 Nr. 2 und 3 BranntwMonG genannten Alternativnachweise hat er nicht erbracht, so dass die Tatbestandsmerkmale des § 143 Abs. 3 BranntwMonG erfüllt sind. Infolgedessen ist für den gesamten Branntwein, den der Kläger zur Durchführung der drei Steueraussetzungsverfahren aus dem Steuerlager entnommen hat, im Steuergebiet die Branntweinsteuer entstanden.

Auch der Umstand, dass das HZA seine Erkenntnisse dem Kläger erst am 8. November 2007 und damit zu einem Zeitpunkt mitgeteilt hat, zu dem der Kläger bereits das dritte Steueraussetzungsverfahren eröffnet hatte, lässt die Entstehung der Steuer unberührt. Der BFH entschied, dass sofern das HZA im Einzelfall unter Inanspruchnahme des elektronischen Informationsaustausches nach der VO Nr. 2073/2004 nähere Informationen über die Bezugsberechtigten der in den Verwaltungsdokumenten angegebenen Verfahrensbeteiligten einholt, besteht keine Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung der Beteiligten über das Ergebnis solcher Nachforschungen.

Praxishinweis

Seit dem 1. Januar 2011 wurde das ausschließlich papiergestützte Verfahren zur Beförderung verbrauchsteuerpflichtigen Waren unter Steueraussetzung durch das EMCS (Excise Movement and Control System) ersetzt. Dadurch wurde das begleitende Verwaltungsdokument durch ein Elektronisches (e-VD) ersetzt. Vom Abgangsmitgliedstaat wird das e-VD an den Bestimmungsmitgliedstaat übermittelt, von wo aus es an den Empfänger der Waren weitergeleitet wird. Dieser gibt nach Ankunft der verbrauchersteuerpflichtigen Waren am Bestimmungsort eine Eingangsmeldung ab, woraufhin der Bestimmungsmitgliedstaat die von ihm überprüfte Eingangsmeldung an den Abgangsmitgliedstaat übermittelt. Von dort aus gelangt die Eingangsmeldung der verbrauchersteuerpflichtigen Waren an den Versender weiter. Diese Meldung dient im EMCS dem Versender als Nachweis eines ordnungsgemäß erledigten Steueraussetzungsverfahrens.

Als Ersatznachweise kommen unterschiedliche Dokumente in Betracht, wobei ein vom Empfänger vorgelegtes Dokument, das dieselben Angaben enthält wie die Eingangsmeldung und in dem dieser den Empfang der verbrauchsteuerpflichtigen Waren bestätigt, als hinreichender Beleg gilt.

In besonderen Fällen (neue Geschäftsbeziehung, hohes Steueraufkommen etc.) könnte vom Empfänger ein solches Dokument verlangt werden.