Begriff der Lieferung beim Kfz-Leasing

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 04.10.2017, C-164/16, Mercedes-Benz Financial Services UK Ltd

Praxisproblem

Bei dem britischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um den Begriff der Lieferung nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL in bestimmten Fällen von Kfz-Leasing. Nach der Vorschrift gilt folgender Umsatz als Lieferung: Die Übergabe eines Gegenstands aufgrund eines Vertrags, der die Vermietung eines Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums oder den Ratenverkauf eines Gegenstands vorsieht, der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird.

Sachverhalt

Die Klägerin bietet Finanzprodukte in Bezug auf den Kauf von Kraftfahrzeugen an. Streitig war, ob in bestimmten Leasingfällen mit Kaufoption umsatzsteuerrechtlich Lieferungen vorliegen. Im Ausgangsverfahren ging es um Mietkaufvertäge mit einer Mietzeit von 36 Monaten mit einer anschließenden Kaufoption. Die Verträge legten eine bestimmte erlaubte Kilometerleistung fest und verlangten vom Kunden eine Zahlung, wenn das Fahrzeug bei der Rückgabe mehr als die erlaubte Leistung zurückgelegt hat. Der bei der Ausübung der Kaufoption zu entrichtende Betrag wurde so berechnet, dass er dem voraussichtlichen Marktwert des Fahrzeugs zum Fälligkeitszeitpunkt des Vertrags (unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Kilometerstands) bzw. dem „Restwert“ entsprach.

Beispiel:
Mietkauf eines Fahrzeugs mit einem Barzahlungspreis von 22.325 GBP, einer Anzahlung von 3.325 GBP (15 %) und einer optionalen Kaufzahlung in Höhe von 9.500 GBP (42,5 %). Mit den monatlichen Zahlungen wird dann die Differenz zwischen dem Barzahlungspreis (abzgl. der Anzahlung) und dem Restwert zzgl. Zinsen beglichen.

Die britische Finanzbehörde trug vor, Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL betreffe Mietkaufverträge mit vertraglichen Bestimmungen, die festlegen, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird. Es komme dabei nicht darauf an, ob diese letzte Rate oder ein Teil davon optional sei. Artikel 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL auf Mietkaufverträge zu beschränken, bei denen der Kauf am Ende rechtlich oder wirtschaftlich verpflichtend sei, würde dem Zweck der Vorschrift widersprechen, da das Bestehen einer Kaufoption für einen Mietkaufvertrag charakteristisch sei.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL gelte nicht für alle Mietkaufverträge, die eine Kaufoption enthalten, sondern nur für Verträge, bei denen die Ausübung der Kaufoption das übliche Ergebnis sei. Ob die Übertragung von Eigentum das übliche Ergebnis ist, müsse zu Beginn des Vertrags mit Blick auf seinen wirtschaftlichen Zweck objektiv bestimmt werden, um festzustellen, ob es im wirtschaftlichen Interesse des Kunden liegt, das Optionsrecht auszuüben. Da es sich bei den streitigen Mietkaufverträgen um Verträge handele, bei denen es zu einem Kauf kommen, dieser aber genauso gut unterbleiben kann, sähen diese Verträge nicht vor, dass i. S. v. Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL das Eigentum regelmäßig übertragen werde. Die Klägerin ging somit in Fällen, in denen die Kaufoption nicht ausgeübt wird, bei der Überlassung des Fahrzeugs von einer Dienstleistung aus.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass der in Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL verwendete Ausdruck „Mietvertrag, der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird“ dahin auszulegen ist, dass er auf einen Standard-Mietvertrag mit Kaufoption anzuwenden ist, wenn aufgrund der finanziellen Vertragsbedingungen davon ausgegangen werden kann, dass, wenn der Vertrag bis zum Ende seiner Laufzeit ausgeführt wird, die Optionsausübung zum gegebenen Zeitpunkt als die einzig wirtschaftlich rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer erscheint. Ob dies im Ausgangsfall zutrifft, muss das nationale Gericht entscheiden.

Praxishinweis

Nach dem Urteil darf ein Kfz-Leasingvertrag, wenn er zu einer Lieferung (und nicht zu einer Dienstleistung) führen soll, dem Leasingnehmer keine echte wirtschaftliche Alternative in dem Sinne bieten, dass er zu dem Zeitpunkt, an dem er eine Wahl zu treffen hat, je nach Interessenslage den Gegenstand entweder erwerben, dem Leasinggeber zurückgeben oder weiter mieten kann. Aus den – zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung und objektiv zu beurteilenden – Vertragsbestimmungen muss zur Annahme einer Lieferung deutlich hervorgehen, dass das Eigentum am Gegenstand automatisch auf den Leasingnehmer übergehen soll, wenn der Vertrag bis zum Vertragsablauf plangemäß ausgeführt wird. Aus dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL ergibt sich nach dem Urteil, dass er sich nicht wie Abs. 1 dieser Vorschrift auf die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen, bezieht, sondern, genauer, auf den „Erwerb des Eigentums“ an diesem Gegenstand. Somit muss ein Leasingvertrag, um zu einer Lieferung zu führen, auch ausdrücklich eine Klausel zum Übergang des Eigentums an dem Leasinggegenstand vom Leasinggeber auf den Leasingnehmer enthalten.

Im Prinzip ist der EuGH der Rechtsauffassung der Klägerin gefolgt.

Das Urteil hat auch Bedeutung für das deutsche Recht. Werden Gegenstände im Leasingverfahren überlassen, ist die Übergabe des Leasinggegenstands durch den Leasinggeber an den Leasingnehmer nach nationalem Recht eine Lieferung, wenn der Leasingnehmer nach den vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung berechtigt ist, wie ein Eigentümer über den Leasinggegenstand zu verfügen. Hiervon kann in der Regel ausgegangen werden, wenn der Leasinggegenstand einkommensteuerrechtlich dem Leasingnehmer zuzurechnen ist (vgl. Abschn. 3.5 Abs. 5 UStAE). Erfolgt die Überlassung eines Gegenstands außerhalb des Leasingverfahrens (z. B. bei Mietverträgen i. S. d. § 535 BGB mit dem Recht zum Kauf), ist die Überlassung des Gegenstands aufgrund eines Vertrags, der die Vermietung oder die Verpachtung dieses Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums oder den Verkauf dieses Gegenstands gegen eine nicht nur einmalige Zahlung vorsieht, eine Lieferung, wenn der Vertrag den Übergang des zivilrechtlichen Eigentums an dem Gegenstand spätestens mit der letzten vereinbarten fälligen Zahlung vorsieht. Ist der Übergang des zivilrechtlichen Eigentums von weiteren Willenserklärungen, z. B. der Ausübung eines Optionsrechts abhängig, liegt eine Lieferung erst in dem Zeitpunkt vor, in dem dieser Wille übereinstimmend erklärt wird. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Überlassung des Gegenstands eine sonstige Leistung (vgl. Abschn.3.6 Abs. 6 UStAE).

Diese Sichtweise entspricht im Ergebnis dem nun vorliegenden Urteil. Die vorliegende Entscheidung des EuGH bestätigt auch EuGH, Urt.  v. 16.02.2012, C-118/11, Eon Aset Menidjmunt. In diesem Urteil hat der EuGH entschieden, wenn der Leasingvertrag über ein Kraftfahrzeug vorsieht, dass das Eigentum an dem Fahrzeug am Ende der Vertragslaufzeit auf den Leasingnehmer übertragen wird oder dass der Leasingnehmer über wesentliche Elemente des Eigentums an dem Fahrzeug verfügt, insbesondere, dass die mit dem rechtlichen Eigentum an dem Fahrzeug verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf ihn übertragen werden und die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht, ist der Umsatz mit dem Erwerb eines Investitionsguts gleichzusetzen.

Ihre Ansprechpartner