Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage beim gekündigten Finanzierungsleasing

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 12.10.2017, C-404/16, Lombard Ingatlan Lízing Zrt.

Praxisproblem

Bei dem ungarischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Auslegung von Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL (Berichtigung der Bemessungsgrundlage). Fraglich war, ob die Vorschrift auch den Fall umfasst, dass bei einem Finanzierungsleasingvertrag der Leasinggeber die Zahlung des Leasingentgelts vom Leasingnehmer nicht mehr verlangen kann, weil der Leasinggeber den Leasingvertrag wegen Vertragsverletzung durch den Leasingnehmer gekündigt hat. Falls dies zu bejahen ist, wollte das Vorlagegericht weiter wissen, ob der Leasingnehmer den Leasinggeber nach Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL auch dann zur Minderung der Steuerungsbemessungsgrundlage berechtigt, wenn der nationale Gesetzgeber von der in Art. 90 Abs. 2 MwStSystRL vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung keine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage ermöglicht hat.

Problematisch war bei diesem Verfahren der im ungarischen nationalen Recht verwendete Begriff des „Scheiterns der Erfüllung“. Im Gegensatz zur deutschen (und französischen) Fassung von Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL, der fünf Fälle der Minderung der Bemessungsgrundlage aufzählt (1. Annullierung; 2. Rückgängigmachung, 3. Auflösung, 4. vollständige oder teilweise Nichtbezahlung; 5. Preisnachlass) nennt die ungarische Fassung nur vier Fälle (1. Elállás [Abstandnahme, Rücktritt], 2. teljesítés meghiúsulása [Scheitern der Erfüllung], 3. Teljes vagy részleges nemfizetés [vollständige oder teilweise Nichtbezahlung], 4. Árengedmény [Preisnachlass]). Der im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen fragliche Begriff „teljesítés meghiúsulása“, der im nationalen Recht Ungarns das Unmöglichwerden der (weiteren) Vertragserfüllung nach Vertragsschluss bezeichnet, lässt sich keinem der in der deutschen Fassung der MwStSystRL genannten Begriffe zuordnen.

Sachverhalt

Die Klägerin hatte in den Jahren 2006 bis 2008 in mehreren Fällen eine Immobilie von einer Gesellschaft erworben. Am Tag des Erwerbs verleaste die Klägerin die Immobilie im Rahmen eines Finanzierungsleasingvertrags geschlossenen Typs an die gleiche Gesellschaft. Die auf das vollständige Leasingentgelt zu entrichtende MwSt erklärte die Klägerin in der entsprechenden Voranmeldung. Die Klägerin kündigte (in Zeiten vor dem 01.01.2010) jeweils wegen Vertragsverletzung durch die Leasingnehmerin den Leasingvertrag. Die zu entrichtende MwSt bezogen auf das nicht gezahlte Leasingentgelt berichtigte die Klägerin. Die ungarische Finanzbehörde verweigerte die Berichtigung mit der Begründung, § 77 HU-MwStG habe vor 2010 noch nicht die Fallgestaltung der Vertragsauflösung wegen Nichtzahlung der Gegenleistung (also Vertragsverletzung durch den Schuldner) erfasst. Die ab 01.01. 2010 geltende Vorschrift des § 77 Abs. 2 Buchst. b HU-MwStG wiederum sei ausschließlich in den Fällen anwendbar, in denen der Vertrag am 01.01.2010 oder danach aufgelöst worden sei. Weil die Klägerin die Verträge vor dem 01.01.2010 gekündigt habe, sei hier die Anwendung der ab 01.01.2010 geltenden Fassung von § 77 Abs. 2 Buchst. b HU-MwStG ausgeschlossen.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die in Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL verwendeten Begriffe „Annullierung“, „Rückgängigmachung“ und „Auflösung“ dahin auszulegen sind, dass sie den Fall umfassen, dass bei einem Finanzierungsleasingvertrag mit fest vereinbarter Eigentumsübertragung der Leasinggeber die Zahlung des Leasingentgelts vom Leasingnehmer nicht mehr verlangen kann, weil er den Leasingvertrag wegen Vertragsverletzung durch den Leasingnehmer gekündigt hat. Die Begriffe der Annullierung, der Rückgängigmachung und der Auflösung beziehen sich auf Situationen, in denen infolge entweder einer rückwirkenden Annullierung oder aber einer nur für die Zukunft wirkenden Auflösung die Verpflichtung des Schuldners zur Begleichung seiner Schuld entweder vollständig erloschen ist oder auf einer endgültig festgelegten Stufe eingestellt wird – mit den Folgen, die sich daran für den Gläubiger knüpfen.

Im Übrigen verweist der EuGH auf seine bisherige Rechtsprechung zu Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Steuerbemessungsgrundlage immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Diese Bestimmung ist Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes der MwStSystRL, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als MwSt keinen höheren als den dem Steuerpflichtigen gezahlten Betrag erheben darf. Artikel 90 Abs. 2 MwStSystRL erlaubt es den Mitgliedstaaten jedoch, im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises des Umsatzes von der Regel nach Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL abzuweichen. Der EuGH führt in diesem Zusammenhang aus, dass diese strikt auf den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises des Umsatzes beschränkte Abweichungsbefugnis auf der Erwägung beruht, dass es unter bestimmten Umständen und aufgrund der Rechtslage in dem betreffenden Mitgliedstaat schwierig sein kann, nachzuprüfen, ob die Gegenleistung endgültig oder nur vorläufig nicht erbracht worden ist. Wird der Kaufpreis vollständig oder teilweise nicht bezahlt, ohne dass es zu einer Auflösung oder Annullierung des Vertrags kommt, schuldet der Käufer weiter den vereinbarten Preis und dem Verkäufer steht, auch wenn er nicht mehr Eigentümer des Gegenstands ist, grundsätzlich immer noch seine Forderung zu, die er vor Gericht geltend machen kann. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine solche Forderung tatsächlich endgültig uneinbringlich wird, wollte (der EuGH verweist insofern auf seine Entscheidung v. 15.04.2014, C-337/13) der Unionsgesetzgeber jedem Mitgliedstaat die Entscheidung überlassen, zu bestimmen, ob der Fall der Nichtbezahlung des Kaufpreises ein Recht auf entsprechende Minderung der Steuerbemessungsgrundlage unter den von ihm festgelegten Bedingungen eröffnet oder ob eine solche Minderung in diesem Fall nicht zulässig ist.

Die Frage, ob sich ein Leasinggeber in dem Fall, dass ein Leasingvertrag wegen Nichtzahlung der vom Leasingnehmer geschuldeten Raten endgültig beendet wurde, gegenüber einem Mitgliedstaat unmittelbar auf Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL berufen kann, damit die Bemessungsgrundlage herabgesetzt wird, auch wenn das einschlägige nationale Recht einen solchen Fall als „Nichtbezahlung“ i. S. v. Art. 90 Abs. 2 MwStSystRL einstuft und im Fall der Nichtbezahlung keine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage erlaubt, hat der EuGH bejaht. Dies gilt grds. allerdings nur für besondere Fälle wie die des Ausgangsverfahrens. Grundsätzlich erlaubt Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL kein Berufungsrecht, weil es nach Art. 90 Abs. 2 MwStSystRL den Mitgliedstaaten erlaubt ist, im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises des Umsatzes von der Regel nach Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL abzuweichen. Die Steuerpflichtigen können sich daher im Fall der Nichtbezahlung des Preises nicht auf ein Recht zur Minderung ihrer Bemessungsgrundlage für die MwSt gem. Art. 90 Abs. 1 der MwStSystRL berufen, wenn der betreffende Mitgliedstaat von der Ausnahme nach Art. 90 Abs. 2 MwStSystRL Gebrauch machen wollte.

Praxishinweis

Die sich hier stellende Rechtsfrage war im Grunde mit dem EuGH-Urteil v. 02.07.2015, C-209/14, NLB Leasing, bereits beantwortet. Zur Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung bei Leasingverträgen verweist der EuGH darin auf sein Urteil v. 16.02.2012, C-118/11, EON Aset Menidjmunt, wie zwischen einem Operating-Leasingverhältnis und einem Finanzierungsleasing zu unterscheiden ist. Beim Finanzierungsleasing werden die mit dem rechtlichen Eigentum verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf den Leasingnehmer übertragen. Dass das Eigentum am Ende der Vertragslaufzeit übertragen werden soll oder die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht, sind Kriterien, die einzeln oder zusammen ermöglichen, festzustellen, ob ein Vertrag als Finanzierungsleasing eingestuft werden kann. Wenn ein Leasingvertrag über eine Immobilie vorsieht, dass das Eigentum an der Immobilie am Ende der Vertragslaufzeit auf den Leasingnehmer übertragen wird oder dass der Leasingnehmer über wesentliche Elemente des Eigentums an der Immobilie verfügt (insbesondere, dass die mit dem rechtlichen Eigentum an der Immobilie verbundenen Chancen und Risiken zum überwiegenden Teil auf ihn übertragen werden und die abgezinste Summe der Leasingraten praktisch dem Verkehrswert des Gegenstands entspricht) ist der aus einem solchen Vertrag resultierende Umsatz mit dem Erwerb eines Investitionsguts (d. h. einer Lieferung) gleichzusetzen.

Zu der Frage, ob die Rückgabe einer geleasten Immobilie an den Leasinggeber als Annullierung, Rückgängigmachung, Auflösung, vollständige oder teilweise Nichtbezahlung oder Preisnachlass i. S. v. Art. 90 MwStSystRL gilt, führte der EuGH bereits in seinem Urteil v. 16.02.2012, C-118/11, EON Aset Menidjmunt, aus, dass nach dieser Vorschrift die Steuerbemessungsgrundlage und damit der Betrag der geschuldeten MwSt immer dann zu berichtigen ist, wenn der Unternehmer nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Außer in den Fällen der Annullierung oder der Auflösung von Verträgen, in denen die Vertragsparteien in die Lage zurückversetzt werden, in der sie sich vor Vertragsschluss befunden haben, und der Steuerpflichtige seine Forderung nicht mehr besitzt, betrifft Art. 90 MwStSystRL nur die Fälle, in denen der Vertragspartner eine Forderung nicht oder nur teilweise erfüllt, die nach dem Vertrag gegen ihn besteht. Die Besteuerungsgrundlage kann somit nicht vermindert werden, wenn der Steuerpflichtige wie vertraglich vereinbart alle Zahlungen für die von ihm erbrachte Leistung tatsächlich erhalten hat oder wenn der Empfänger der Leistung, ohne dass der Vertrag aufgelöst oder annulliert worden wäre, dem Steuerpflichtigen den vereinbarten Preis nicht mehr schuldet.

Der EuGH hat mit dem vorliegenden Urteil auch seine Entscheidung v. 15.05.2014, C-337/13, Almos Agrárkülkereskedelmi, bestätigt. Darin hatte er festgestellt, dass in Anwendung von Art. 90 Abs. 2 MwStSystRL eine nationale Regelung zulässig ist, die für den Fall der Nichtzahlung der Gegenleistung keine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage vorsieht. Eine solche Regelung muss dann jedoch auch alle anderen in Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL genannten Situationen erfassen, in denen nach Bewirkung des Umsatzes die Gegenleistung vom Steuerpflichtigen nicht oder nicht vollständig vereinnahmt wird.

Das vorliegende Urteil hat mittelbar auch für das deutsche Recht Bedeutung. Die Pflicht zur Berichtigung der Steuer und des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 1 UStG besteht auch dann, wenn das Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung uneinbringlich geworden ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Uneinbringlichkeit i. S. d., § 17 Abs. 2 UStG liegt insbesondere vor, wenn der Schuldner zahlungsunfähig ist, wenn den Forderungen die Einrede des Einforderungsverzichts entgegengehalten werden kann (vgl. BFH, Beschl. v. 10.03.1983, V B 46/80, BStBl II S. 389) oder wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung ganz oder teilweise jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (vgl. BFH, Urt. v. 20.07.2006, V R 13/04, BStBl 2007 II S. 22).

Im Übrigen hat Deutschland von Art. 90 Abs. 2 MwStSystRL keinen Gebrauch gemacht. Insbesondere sieht das nationale Umsatzsteuerrecht (§ 10 Abs. 1, § 17 Abs. 1 UStG), wonach in allen Fällen der Uneinbringlichkeit des Entgelts eine entsprechende Minderung der Bemessungsgrundlage folgt, regelmäßig eine Änderung der Bemessungsgrundlage bei vollständiger oder teilweiser Nichtzahlung des Kaufpreises vor.

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