Zum Vorsteuerabzug bei der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt); Einfuhr für das Unternehmen, Zeitpunkt der Lieferung

Anmerkung zu: BMF-Schr. v. 16.07.2020

Praxisproblem

Bisher regelt Abschn. 15.8 Abs. 4 Sätze 1 und 2, dass eine Einfuhr für das Unternehmen gegeben ist, wenn der Unternehmer den eingeführten Gegenstand im Inland zur Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr abfertigt und danach im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit zur Ausführung von Umsätzen einsetzt. Diese Voraussetzung ist bei dem Unternehmer gegeben, der im Zeitpunkt der Überführung in die Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr die Verfügungsmacht über den Gegenstand besitzt.

In der Praxis kam es bisher häufig zu Streitigkeiten, wann ein Gegenstand „für das Unternehmen“ desjenigen eingeführt wurde, der den Vorsteuerabzug der EUSt geltend machen kann. Streitig war oft, ob sich der Übergang der Verfügungsmacht bei der Verwirklichung einer Einfuhr nach den Vorschriften zur Bestimmung des Leistungsorts bei Lieferungen nach § 3 Abs. 6 UStG ermittelt und demzufolge auch die Berechtigung zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG bestimmt.

Beispiel

Ein inländisches Unternehmen U erwirbt von einem in China (Drittstaat) ansässigen Unternehmen Metalle. Die Lieferungen erfolgen aus China ins Inland. Als Lieferbedingungen werden die Incoterms „DAP (delivered at place) Bestimmungsort in Deutschland“ vereinbart. Die Einfuhr beim Zoll wird im Namen und für Rechnung des U abgewickelt, so dass U Schuldner der EUSt wird. Diese wird von U als Vorsteuer geltend gemacht, der Vorsteuerabzug aber von der Betriebsprüfung beanstandet, da U zum Zeitpunkt der Einfuhr aufgrund der vereinbarten Lieferbedingungen „DAP“ keine Verfügungsmacht gehabt habe. U vertritt dagegen die Auffassung, nach § 3 Abs. 6 S. 1 UStG sei die Verfügungsmacht bereits mit Beginn der Lieferung (Beginn der Beförderung oder Versendung) übergegangen. Auf die tatsächliche Verfügungsmacht in Form des Besitzes an der Ware aufgrund der vereinbarten Lieferkonditionen und der Umstände der Einfuhr im Einzelfall komme es nicht an.

In seinem Urteil v. 24.04.1980, V R 52/73, hatte sich der BFH mit der Frage beschäftigt, wer die Einfuhr für sein Unternehmen ausführt und damit zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG berechtigt ist. Der BFH knüpfte an das Innehaben der Verfügungsmacht zum Zeitpunkt der Einfuhr an, da dies eine eindeutige Beurteilung der Berechtigung möglich mache. Der Verschaffung der Verfügungsmacht stehe gleich, dass nach § 3 Abs. 7 S. 1 UStG 1967 die Lieferung mit Beginn der Beförderung als ausgeführt und somit die Verfügungsmacht als verschafft gilt. Nach aufgetretenen Zweifeln hatte der BFH mit Urteil v. 11.11.2015, V R 68/14, unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils v. 25.06.2015, C-187/14 (DSV Road), entschieden, weiter an der Verfügungsmacht als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG festzuhalten. Allerdings bedürfe diese Voraussetzung einer Präzisierung, wonach die Einfuhr für das Unternehmen erfolge, wenn die EUSt Kostenbestandteil der eigenen Ausgangsumsätze werde.

In der Verwaltungspraxis wurde bisweilen die Auffassung vertreten, die ursprüngliche Rechtsauffassung des BFH, der Verschaffung der Verfügungsmacht die umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften zum Lieferzeitpunkt gleichzustellen, sei überholt, da § 3 Abs. 7 UStG 1967 in § 3 Abs. 6 UStG aufgegangen ist und einen anderen Regelungsinhalt habe. Während § 3 Abs. 7 UStG 1967 eine abschließende Leistungserbringung fingierte, regele § 3 Abs. 6 UStG nur eine Fiktion für den umsatzsteuerrechtlichen Ort der Lieferung, auch wenn gleichzeitig für umsatzsteuerliche Zwecke der Zeitpunkt der Lieferung geregelt werde. Somit könne der (fiktive) Übergang der Verfügungsmacht auf den Leistungsempfänger in Fällen des § 3 Abs. 6 S. 1 UStG nicht stets mit Beginn der Beförderung erfolgen. Vielmehr seien die zivilrechtlich vereinbarten Lieferbedingungen für die Bestimmung der Verschaffung der Verfügungsmacht zu berücksichtigen. Dies wurde in der Verwaltungspraxis auch aus dem BFH-Urteil v. 06.12.2007, V R 24/05, hergeleitet. In diesem Urteil habe der BFH zwar ausgeführt, dass sich der Leistungszeitpunkt nach dem Leistungsort des § 3 Abs. 6 UStG richtet, dies setze aber stets voraus, dass es tatsächlich zu einer Lieferung komme. Ob eine Lieferung vorliege, hänge aber von der tatsächlichen Verschaffung der Verfügungsmacht ab. Werde die Verfügungsmacht erst nach der Beförderung verschafft, lägen Ort und Zeitpunkt der Lieferung nicht am Beginn der Beförderung. Somit müsse stets die tatsächliche Verschaffung der Verfügungsmacht geprüft werden. Nur wenn die Verfügungsmacht im Rahmen der Beförderung (spätestens bei Auslieferung nach Zwischenlagerung) tatsächlich verschafft werde, würden der Lieferort und der Lieferzeitpunkt an den Beginn der Beförderung „verlagert“.

Andererseits konnte auch schon bisher aus den Regelungen des UStAE geschlossen werden, dass für die Bestimmung der Verschaffung der Verfügungsmacht in Fällen wie in obigem Beispiel nicht auf die zivilrechtlich vereinbarten Lieferbedingungen abzustellen ist. Eine ausdrückliche Regelung zum Lieferzeitpunkt findet sich in § 3 UStG nicht. Die Fiktion des § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG bestimmt, dass der Lieferort sich dort befindet, wo die Beförderung oder Versendung der Warenbewegung an den Abnehmer beginnt. Bezugnehmend auf das BFH-Urteil v. 06.12.2007, V R 24/05, konkretisiert Abschn. 3.12 Abs. 7 UStAE Satz 1 UStAE, dass § 3 Abs. 6 und 7 UStG den Lieferort und damit zugleich auch den Zeitpunkt der Lieferung regeln. Bei einer Beförderung oder Versendung aus einem Drittlandsgebiet liegt der Zeitpunkt der Lieferung nach dieser Fiktion daher bereits bevor die Ware die Grenze passiert hat. Nach der bisherigen Regelung in Abschn. 15.8 Abs. 5 Satz 2 UStAE ist für den Abzug der EUSt als Vorsteuer regelmäßig die Verfügungsmacht im Sinne einer Eigentümerstellung des Abnehmers erforderlich. Bereits aus Abschn. 3.12 Abs. 7 Satz 1 UStAE ergibt sich, dass der Abnehmer bei Fallgestaltungen, die nicht zur Verlagerung des Lieferorts in das Inland nach § 3 Abs. 8 UStG führen, die Verfügungsmacht über die Ware im Zeitpunkt der Einfuhr besitzt. Bei einer im Drittland beginnenden Beförderung oder Versendung, die in das Inland gelangt und der Abnehmer die Ware zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr abfertigt, ist nach Abschn. 15.8 Abs. 4 Satz 2 UStAE eine Einfuhr für das Unternehmen gegeben. Der Abnehmer kann die entstandene EUSt als Vorsteuer unter Berücksichtigung der weiteren Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG abziehen.

In der Literatur war die Lösung des Problems bisher ebenfalls umstritten. Es fanden sich sowohl Meinungen, die der Lösung der Rechtsprechung und der Verwaltungsauffassung zustimmen (Merkel/ Schmid in UR 2019, 753-761), als auch solche, die diese ablehnen (Frye in: Rau/Dürrwächter, UStG, 184. Lieferung 9.2019, § 6a UStG, Rn. 160 ff; jeweils m. w. N.). Der Auffassung, der Zeitpunkt der Lieferung sei nach § 3 Abs. 1 und nicht nach Abs. 6 UStG zu bestimmen, konnte aber auch entgegengehalten werden, dass § 3 Abs. 1 UStG lediglich bestimmt, dass eine Verschaffung der Verfügungsmacht erfolgen muss, aber nicht, wann diese umsatzsteuerlich eintritt.

Entscheidung

Vor diesem Hintergrund hat die Verwaltung mit BMF-Schreiben v. 16.07.2020 es offensichtlich zur Klarstellung und nicht zuletzt aus Gründen der Steuervereinfachung für erforderlich gehalten, umsatzsteuerlich Ort und Zeitpunkt der Lieferung ausdrücklich einheitlich zu bestimmen.

Dazu wurde die bisherige Regelung in Abschn. 15.8 Abs. 4 Sätze 1 und 2 UStAE (Eine Einfuhr für das Unternehmen ist gegeben, wenn der Unternehmer den eingeführten Gegenstand im Inland zur Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr abfertigt und danach im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit zur Ausführung von Umsätzen einsetzt. Diese Voraussetzung ist bei dem Unternehmer gegeben, der im Zeitpunkt der Überführung in die Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr die Verfügungsmacht über den Gegenstand besitzt (vgl. auch BFH-Urt. v. 24.04. 1980, V R 52/73, BStBl II S. 615)) um folgende neue Sätze 3 bis 6 ergänzt:

„Für diese Zwecke ist der Zeitpunkt der Lieferung nach der umsatzsteuerlichen Ortsbestimmung (§ 3 Abs. 6 bis 8 UStG) zu ermitteln (vgl. Abs. 5 und Abschn. 3.12. Abs. 7). Dies gilt auch beim Reihengeschäft. Die der Lieferung zu Grunde gelegten Lieferklauseln (z. B. Incoterms®) sind insoweit hingegen als zivilrechtliche Verpflichtungen unbeachtlich. Kommt tatsächlich keine Lieferung zustande, gelten Abs. 11 und 12.“

Der bisherige Satz 3 in Abschn. 15.8 Abs. 4 UStAE wurde neuer Satz 7 und wie folgt gefasst: „Nicht entscheidend ist, wer die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet hat und wer den für den vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer eingeführten Gegenstand tatsächlich über die Grenze gebracht hat.“

Abschn. 15.8 Abs. 5 Satz 1 UStAE wurde wie folgt gefasst: In den Fällen des § 3 Abs. 8 UStG steht der Abzug der Einfuhrumsatzsteuer nur dem Lieferer zu, wenn er den Gegenstand zur eigenen Verfügung im Inland zur Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr abfertigt und danach an seinen Abnehmer liefert (vgl. auch die Beispiele in Abschn. 3.13 Abs. 2).“

Abschn. 15.8 Abs. 6 UStAE (In den Fällen des § 3 Abs. 8 UStG ist davon auszugehen, dass dem Abnehmer die Verfügungsmacht an dem Gegenstand erst im Inland verschafft wird. Dementsprechend ist in diesen Fällen der Lieferer zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer berechtigt. Beim Reihengeschäft gilt dies für den Lieferer in der Reihe, der die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet.) wurde gestrichen.

Praxishinweis

Die Verwaltung hat nunmehr eindeutig klargestellt, dass es in Einfuhrfällen bzgl. der Verschaffung der Verfügungsmacht nicht auf zivilrechtliche Vereinbarungen nach den Incoterms® ankommt, sondern dass der Zeitpunkt der Lieferung bzw. die Verschaffung der Verfügungsmacht an dem Einfuhrgegenstand ausschließlich nach der umsatzsteuerlichen Ortsbestimmung (§ 3 Abs. 6 bis 8 UStG) zu ermitteln sind. Das gilt auch bei Reihengeschäften. Die der Lieferung zu Grunde gelegten Lieferklauseln (z. B. Incoterms®) sind als zivilrechtliche Verpflichtungen unbeachtlich. Die Grundsätze des BMF-Schreibens v. 16.07.2020 sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

Die Aussagen zum Reihengeschäft in Abschn. 15.8 Abs. 6 in der bisherigen Form waren nicht mehr zutreffend, da in den Fällen einer ruhenden Lieferung im Reihengeschäft die Ortsbestimmung nach § 3 Abs. 7 UStG erfolgt und es in diesem Fall nicht auf die Entrichtung oder die Schuldnerschaft der EUSt ankommt. Die Schuldnerschaft der EUSt ist nur in den Fällen des § 3 Abs. 8 UStG relevant, der jedoch nur bei bewegten Lieferungen („Gelangt der Gegenstand der Lieferung bei der Beförderung…“) zur Anwendung kommt. Daher hätte die bisherige Formulierung in den Fällen, in denen der Lieferer einer ruhenden Lieferung im Reihengeschäft die EUSt entrichtet, zu falschen Ergebnissen geführt.

Kommt tatsächlich keine Lieferung zustande, gelten die Abs. 11 und 12 in Abschn. 15.8 UStAE. D. h.: Wird ein Gegenstand im Rahmen einer beabsichtigten Lieferung (§ 3 Abs. 6 oder 8 UStG) im Inland eingeführt, von dem vorgesehenen Abnehmer jedoch nicht angenommen, ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der Unternehmer zum Abzug der EUSt berechtigt, der im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht über den Gegenstand besitzt. Hierbei sind die in Abschn. 15.8 Abs. 11 UStAE beschriebenen Fälle (Abfertigung des Gegenstands zur Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr auf Antrag des Abnehmers oder seines Beauftragten bzw. Abfertigung des Gegenstands zur Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr auf Antrag des Absenders oder seines Beauftragten) zu unterscheiden.

Geht der eingeführte Gegenstand während des Transports an den vorgesehenen Abnehmer im Inland verloren oder wird er vernichtet, bevor eine Lieferung ausgeführt worden ist, kommt der Abzug der EUSt nur für den Absender in Betracht. Das Gleiche gilt, wenn der Gegenstand aus einem anderen Grund nicht an den vorgesehenen Abnehmer gelangt (Abschn. 15.8 Abs. 12 UStAE).

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass dieGesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz (JStG) 1997 zur Änderung des § 3 Abs. 6 UStG (BT-Drucks. 13/4839, BGBl. I 1996, S. 2049 ff) auf den ersten Blick der nunmehr gefundenen Regelung entgegenstehen könnte. Dort heißt es: „Die Regelung ist - entsprechend Artikel 8 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie - nur noch ortsbezogen und trifft keine Aussage mehr zum Zeitpunkt der Lieferung. Der Lieferzeitpunkt bestimmt sich für jede einzelne Lieferung nach dem Zivilrecht.“ Hierzu ist jedoch anzumerken, dass der Gesetzgeber mit dem JStG 1997 insbes. Reihengeschäfte neu regeln wollte (vgl. Gesetzesbegründung, Zu Artikel 16, Allgemeines). Die Gesetzesbegründung ist daher in dem Zusammenhang der Einführung der Unterscheidung zwischen bewegter und ruhender Lieferung bei Reihengeschäften zu lesen, was sich auch aus dem Folgesatz zu dem oben zitierten Passus ergibt („Bei der zivilrechtlichen Bestimmung des Lieferzeitpunktes ist zu berücksichtigen, dass die einzelnen Lieferungen gedanklich nacheinander stattfinden“). Sachverhalte wie die jetzt mit BMF-Schreiben v. 16.07.2020 geregelten waren deshalb offensichtlich seinerzeit nicht gemeint.

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