Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Grundsätze sog. Missbrauchs-Rechtsprechung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen nicht auf den Fall der Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen übertragbar sind

Anmerkung zu: BFH, Urt. v. 12.03.2020, V R 20/19

Praxisproblem

Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung ist die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Lieferer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern. Der BFH folgt dieser Auffassung.

Die Finanzverwaltung hat diese sog. Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH zu den innergemeinschaftlichen Lieferungen auf die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen übertragen. So wurde durch die Finanzbehörden in der Praxis die Steuerbefreiung versagt, wenn der Vorwurf des Steuerbetrugs (im Rahmen der Einfuhr) im Drittland bestand und dem Unternehmer unterstellt wurde, er habe davon gewußt oder hätte es wissen müssen. Mit BMF-Schreiben vom 25.06.2020 hat die Finanzverwaltung diese Auffassung betont. Wir berichteten im Newsletter Nr. 9/2020. Dieses BMF-Schreiben wurde veröffentlicht, obwohl in zwei anhängigen Revisionsverfahren die Frage noch höchstrichterlich zu klären war.

Mit Urteil v. 12.03.2020, welches nun veröffentlicht worden ist, hat der BFH die Frage abschließend entschieden. Hierzu lagen allerdings widersprüchliche Entscheidungen des FG Köln und des FG Rheinland-Pfalz vor, gegen welche sich die Klägerinnen mit der Revision wandten. Während das FG Köln im Februar 2019 die Anwendung der Missbrauchs-Rechtsprechung für Ausfuhrlieferungen bejaht hat (FG Köln v. 19.02.2019, 8 K 2906/16; BFH V R 20/19), hat das FG Rheinland-Pfalz dies im Mai 2019 abgelehnt (FG Rheinland-Pfalz v. 28.05.2019, 3 K 1391/17; BFH V R 24/19).

Da die Finanzverwaltung mit BMF-Schreiben v. 25.06.2020 durch Änderung einiger Abschnitte des UStAE zu § 6 UStG bereits Konsequenzen aus der jüngeren EuGH-Rechtsprechung zur Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen gezogen hat, ist diese Auffassung wahrscheinlich anzupassen. Der BFH hat nun mit Urteil v. 12.03.2020, V R 20/19, erstmals ausdrücklich entschieden, dass die Steuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung nicht aufgrund einer vom Abnehmer zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begangenen Steuerhinterziehung versagt werden darf.

Sachverhalt

In der Revisionssache V R 20/19 beim BFH, die aufgrund des Urteils des FG Köln v. 19.02.2019, 8 K 2906/16, anhängig war, ging es um Kfz-Lieferungen eines deutschen Händlers in die Türkei. Unstreitig war, dass die Fahrzeuge tatsächlich in die Türkei gelangt waren. Streitig war aber, ob diese Lieferungen als Ausfuhrlieferungen steuerfrei waren, weil das Finanzamt davon ausging, der Händler habe durch die Erteilung unterfakturierter Zweitrechnungen, die das Entgelt im Vergleich zu den zutreffenden Erstrechnungen nicht vollständig ausgewiesen hätten, eine Steuerverkürzung in der Türkei ermöglicht. In der Türkei seien mit diesen unterfakturierten Rechnungen die Sonderverbrauchsteuer ÖTV und die Umsatzsteuer KDV bei der Einfuhr der Fahrzeuge hinterzogen worden. Das FG Köln hatte die Steuerbefreiung für die Ausfuhrlieferungen unter Bezugnahme auf die Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH der letzten Jahre versagt. Auch nachweislich erfolgte Ausfuhrlieferungen seien ebenso wie nachweislich erfolgte innergemeinschaftliche Lieferungen im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung der Vorschriften zur Ausfuhrlieferung und zur innergemeinschaftlichen Lieferung dann nicht steuerfrei, wenn der Unternehmer gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder einem sonstigen Betrug des Erwerbers verknüpft ist und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder einen sonstigen Betrug zu verhindern.

Entscheidung

Der BFH hat entschieden, dass das Ausstellen einer unterfakturierten Zweitrechnung nicht dazu führt, die Steuerbefreiung für die Ausfuhrlieferung aufgrund einer vom Abnehmer zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaates begangenen Steuerhinterziehung zu versagen.

Eine vergleichbare Entscheidung ist im Verfahren V R 24/19 ergangen, welche ebenfalls am 12.03.2020 verhandelt worden ist. Insoweit hat der BFH – teilweise inhaltsgleich zum Urteil V R 20/19 – entschieden, dass das Ausstellen einer gesplitteten Rechnung nicht dazu führt, die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferung aufgrund einer vom Abnehmer zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begangenen Steuerhinterziehung zu versagen.

Streitgegenstand waren insoweit 37 Lieferungen von Kraftfahrzeugen an Abnehmer mit Sitz in der Türkei, wobei die Klägerin jeweils zwei getrennte Rechnungen, eine über den Fahrzeugverkauf und eine weitere Rechnung über eine „Restzahlung“ erteilte. Unstreitig war auch hier, dass die Fahrzeuge in die Türkei gelangten. Auch insoweit vertrat das zuständige Finanzamt die Auffassung, dass die Steuerbefreiung für die insoweit deklarierten Ausfuhrlieferungen auf Grundlage der sog. Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH zu versagen sei, da ein Rechnungssplitting auf Verkaufs- und Provisionsrechnung eine aktive Beteiligung der Klägerin an einem Betrugsmodell darstelle.

Mittels der gesplitteten Rechnungen sei über den tatsächlichen Warenwert getäuscht und den Abnehmern ermöglicht worden, in der Türkei Einfuhrumsatzsteuer und dabei die Özel Tüketim Vergisi (ÖTV) als besondere Verbrauchsteuer und weiter auch die Mehrwertsteuer beim Weiterverkauf zu verkürzen. Bereits die Vorinstanz FG Rheinland-Pfalz hatte zugunsten der Klägerin entschieden, dass die Grundsätze zur Versagung der Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht auf Ausfuhrlieferungen übertragbar seien. Hiergegen wandte sich das Finanzamt mit der Revision. Die Entscheidung des BFH erfolgte teilweise inhaltsgleich zur Entscheidung V R 20/19. Auch insoweit hat der BFH klargestellt, dass der Steuerfreiheit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG nicht entgegenstehe, wenn der Lieferer bei der Ausstellung einer z. B. unterfakturierten Zweitrechnung für die Ausfuhrlieferung wusste oder hätte wissen müssen, dass der Abnehmer mit dem gelieferten Gegenstand eine Steuerhinterziehung zu Lasten des Steueraufkommens eines Drittstaats begehe. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG sei keine derartige Voraussetzung zu entnehmen. Sie ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH.

Praxishinweis

Das BFH-Urteil ist eindeutig und widerspricht überraschend der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung. Die BFH-Entscheidung hat enorme Bedeutung für die Exportwirtschaft, denn die Einfuhr im Drittland und deren Gepflogenheiten sowie dortige Ermittlungen hätten ansonsten eine erhebliche steuerliche Rückkoppelung für den Lieferanten in der Union.

Der BFH weist darauf hin, dass die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung (i. d. R. in Verbindung mit einer Einfuhr im Drittland – welche aber nicht zwingend ist, da sich auch ein anderes Zollverfahren anschließen kann) nicht gleichzusetzen ist mit der Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung, welche zu einem korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerb im EU-Bestimmungsland führt.

Unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtsprechung hebt der BFH hervor, dass die sog. Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH nur die finanziellen Interessen der EU und das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems schützt. Der BFH stellt im Wesentlichen auf die EuGH-Rechtsprechung in der Sache C-653/18 (Unitel spzoo, Urt. v. 17.10.2019) ab. Danach ist die Ausfuhrlieferung steuerfrei, wenn sie die materiellen Voraussetzungen hierfür erfüllt. Das gilt auch dann, wenn der Unternehmer bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat. Nach dem BFH-Urteil ergibt sich aus der bisherigen EuGH-Rechtsprechung nicht, dass die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung versagt werden kann, wenn der Lieferer wusste oder hätte wissen können, dass der Abnehmer mit dem gelieferten Gegenstand eine Steuerhinterziehung zu Lasten eines Drittstaats begeht. Ebenso wenig eine fehlende Identität des Abnehmers (wie in der EuGH-Sache Unitel) kann – so nun der BFH -das Ausstellen unterfakturierter Rechnungen die materiellen Voraussetzungen der Ausfuhrlieferung (das Gelangen des gelieferten Gegenstands in das Drittlandsgebiet) in Frage stellen.

Soweit der EuGH in der Sache Unitel darauf verweist, dass der Begehungsort einer betrügerischen Handlung in einem Drittstaat nicht ausreicht, um das Vorliegen eines Betrugs zu Lasten des gemeinsamen MwSt-Systems auszuschließen, folgt für den BFH hieraus nicht, dass betrügerische Handlungen in einem Drittstaat zur Versagung der Steuerbefreiung einer Ausfuhrlieferung führen. Dies erfordert nur eine Prüfung, ob sich aus Handlungen in einem Drittstaat eine Schädigung des Steueraufkommens der EU ergibt. So könnte es nach dem BFH-Urteil z. B. sein, wenn die Handlungen in dem Drittstaat darauf abzielen, betrügerisch einen Vorsteuerabzug in der EU zu erlangen. Demgegenüber folgt aus der Verkürzung von EUSt in einem Drittstaat kein Nachteil für das EU-MwSt-System.

Gleichwohl weist der BFH noch darauf hin, dass das Geschäftsgebaren mit unterfakturierten Zweitrechnungen entgegen der Auffassung des Finanzamtes trotz Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung nicht unsanktioniert bleiben muss. Zwar gehört die Kopie der für die Lieferung unter den Bedingungen des § 14 UStG zu erteilenden Rechnung bei der Ausfuhrlieferung (anders als bei der innergemeinschaftlichen Lieferung) nicht zum Belegnachweis. Gleichwohl ist aber auch bei Ausfuhrlieferungen das Entgelt buchmäßig aufzuzeichnen. Obwohl die Höhe des Entgelts für die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung unerheblich ist, kommt dem Entgelt dabei dann Bedeutung zu, wenn die Steuerbefreiung zu versagen ist. So ist es z. B., wenn der Liefergegenstand das Inland nicht verlässt oder wenn in den Fällen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG (Abholung durch den ausländischen Abnehmer) die Ansässigkeit des Abnehmers nicht nachgewiesen werden kann. Im Hinblick hierauf kann - so der BFH - jede vorsätzlich oder leichtfertig für die Ausfuhrlieferung unterfakturiert ausgestellte Rechnung zu einer Steuergefährdung nach § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO führen und entsprechend zu ahnden sein. Eine darüber hinausgehende Ahndung mit Auswirkung auf die Steuerbefreiung für die Ausfuhrlieferung weist der BFH in seinem nun ergangenen Urteil jedoch zurück.

Mit der nun veröffentlichten Entscheidung ist eine wichtige Frage für das Umsatzsteuerrecht höchstrichterlich entschieden. Die sog. Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH ist nicht auf Ausfuhrlieferungen übertragbar. Auch betrachtet der BFH dies als eindeutig aus der bisherigen EuGH-Rechtsprechung ableitbar, so dass ein Vorlageverfahren an den EuGH – wie von der Finanzverwaltung angeregt – nicht erforderlich sei. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass das Umsatzsteuer-/Mehrwertsteuersystem nur das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und die finanziellen Interessen der EU schützt. Eine andere Rechtsauffassung hätte auch zu erheblichen Folgefragen geführt – wie der Entscheidung des FG Köln zu entnehmen ist -, bei denen keine klaren Rechtsaussagen der drittländischen Behörden vorlagen und ein FG selbst anhand von Sekundärquellen zum ausländischen Recht entschieden hat. Gleichwohl ist nicht jedes Handeln in Bezug auf Ausfuhrlieferungen ungestraft. Bereits der BFH verweist auf Normen zur Steuergefährdung. Wichtig ist allerdings, dass die Umsatzsteuer nicht zum Sanktionsmittel wird. Das ist auch systemgerecht.

Es war uns eine Freude, diese wichtige Rechtsfrage im Verfahren zugunsten der Mandantin zu klären.

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