EuGH-Vorlage: Vorsteuerabzug der EUSt - Verfügungsmacht notwendig?

Anmerkung zu: EuGH-Verf. C-621/19, Weindel Logistik Service

Praxisproblem

Bei dem slowakischen Vorabentscheidungsersuchen C-621/19, Weindel Logistik Service, geht es um die Auslegung der Art. 167 und 168 Buchst. e MwStSystRL. Im Kern geht es um die Frage, ob eine Einfuhr für das Unternehmen bzw. der Vorsteuerabzug aus der EUSt voraussetzt, dass dem Unternehmer die Verfügungsmacht an dem eingeführten Gegenstand zusteht.

Das Vorlagegericht hat dem EuGH die folgenden Fragen gestellt:

  1. Sind die Art. 167 und 168 Buchst. e MwStSystRL dahin auszulegen, dass das Recht auf Abzug der MwSt, die der Steuerpflichtige auf die Einfuhr von Gegenständen zu entrichten hat, von dem Eigentum an diesen Gegenständen oder dem Recht, mit diesen Gegenständen wie ein Eigentümer zu verfahren, abhängig ist?
  2. Ist Art. 168 Buchst. e MwStSystRL dahin auszulegen, dass das Recht auf Abzug der MwSt, die der Steuerpflichtige auf die Einfuhr der Gegenstände zu entrichten hat, nur dann entsteht, wenn die eingeführten Gegenstände für die Zwecke der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen in Form einer Veräußerung dieser Gegenstände im Inland, einer Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat oder einer Ausfuhr in einen Drittstaat verwendet werden?
  3. Ist unter den gegebenen Umständen die Voraussetzung eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs der erworbenen Gegenstände mit den Ausgangsumsätzen erfüllt bzw. ist unter den gegebenen Umständen die Anwendung der standardisierten Auslegung des Rechts auf Vorsteuerabzug möglich, die auf einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang der erworbenen Gegenstände mit den Ausgangsumsätzen i. V. m. Kostenelementen beruht, die nicht bei den Gegenständen entstanden sind und daher nicht im Preis der Ausgangsumsätze zum Ausdruck kommen konnten?

Sachverhalt

Die Klägerin führte Gegenstände aus der Schweiz, Hongkong und China in die Slowakei ein. Dort wurden die Gegenstände umverpackt und anschließend ins Drittland ausgeführt oder geliefert. Eigentümer der Gegenstände waren die gesamte Zeit über die Auftraggeber der Klägerin.

Da die Klägerin die Gegenstände in den zollrechtlichen freien Verkehr der EU überführte, war sie Schuldnerin der EUSt. Die Klägerin entrichtete die EUSt und beanspruchte in entsprechender Höhe den Vorsteuerabzug. Die slowakische Zollbehörde versagte den Vorsteuerabzug mit der Begründung, dass die Klägerin nicht Eigentümerin der eingeführten Gegenstände bzw. nicht in der Lage gewesen sei, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen. Zudem ständen die im Zusammenhang mit der Einfuhr der Gegenstände entstandenen Kosten in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin, da sie diese nicht für eigene Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen verwendet habe.

Hiergegen wendet sich die Klägerin. Zu deren Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass bei der Einfuhr von Gegenständen der Vorsteuerabzug nicht davon abhänge, dass der Schuldner der EUSt in der Lage sei, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen. Zudem habe sie die Gegenstände für die Zwecke ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit eingeführt.   

Im Vorverfahren hatte der slowakische Oberste Gerichtshof entschieden, dass die Klägerin ordnungsgemäß vorgegangen sei, als sie auf den Betrag der Steuer, den sie für die Einfuhr der Gegenstände habe zahlen müssen, ihr Recht auf Vorsteuerabzug geltend gemacht habe. Der wirtschaftliche Zusammenhang bestehe nämlich in dem Umstand, dass die Klägerin ohne eine Einfuhr der Gegenstände nicht die vereinbarten Dienstleistungen in Bezug auf diese Gegenstände habe erbringen können. Die Steuerbehörde hätte rechtswidrig gehandelt, als sie sich gegenüber der Klägerin ohne gesetzlichen Grund auf eine quasi unmögliche Voraussetzung berufen hätten. Die Klägerin könne die Dienstleistungen der Umverpackung der Gegenstände auch erbringen, ohne dass ein Eigentumsrecht an ihnen bestehe, da keine Bestimmung des Gesetzes dies verbiete. Andernfalls würde der Grundsatz der Neutralität verletzt.

Die Steuerbehörde erkannte mit neuen Entscheidungen vom Januar 2014 ohne Änderung des Sachverhalts aus den gleichen Gründen einen Anspruch der Klägerin auf Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum Februar bis Dezember 2008 nicht an. Die Steuerbehörde wiederholte ihre frühere Begründung und erweiterte sie um die Schlussfolgerungen der 94. Sitzung des Mehrwertsteuerausschusses v. 19.10.2011, aus denen sich ergibt, dass bzgl. der EUSt kein Vorsteuerabzugsrecht besteht, wenn der Unternehmer nicht das Recht erlangt hat, die Gegenstände wie ein Eigentümer zu verwenden und wenn die Kosten für den Erwerb der Gegenstände keinen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit seiner wirtschaftlichen Tätigkeit haben.

Die Klägerin macht geltend, dass sie ein Recht auf Abzug der EUSt habe, da sich das Eigentumsrecht bzw. der Übergang des Rechts, mit den Gegenständen wie ein Eigentümer zu verfahren, ausschließlich die Lieferung der Gegenstände an den Käufer beziehe. Sie sei nicht die Käuferin gewesen, daher könne diese Voraussetzung auf ihren Fall nicht angewandt werden. Bei der Einfuhr von Gegenständen würden die Steuerpflicht und das Recht auf Steuerabzug nicht davon abhängen, dass ein Eigentumsrecht oder ein Recht, mit den Gegenständen wie ein Eigentümer zu verfahren, entstehe. Sie macht geltend, dass sie die Gegenstände für die Zwecke ihrer hauptsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit eingeführt habe.

Die slowakische Finanzbehörde macht geltend, dass auch bei der Einfuhr von Gegenständen eine der Voraussetzungen dafür, einen Abzug der MwSt geltend machen zu können, im Erwerb des Eigentums oder des Rechts, die Gegenstände wie ein Eigentümer zu verwenden, bestehe sowie in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Tätigkeit, dem Anfallen von Kosten für den Erwerb der Gegenstände oder für die Bewirkung der Lieferung von Gegenständen oder Dienstleistungen für die Zwecke der [Ausübung der] wirtschaftlichen Tätigkeit.

Praxishinweis

Das deutsche Recht ist von dem anhängigen EuGH-Verfahren betroffen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG kann der Unternehmer die entstandene EUSt für Gegenstände, die für sein Unternehmen in das Inland eingeführt worden sind, als VSt abziehen. Ein solcher Vorsteuerabzug setzt nach Abschnitt 15.8 Absatz 4 UStAE jedoch voraus, dass dem Unternehmer die Verfügungsmacht an dem eingeführten Gegenstand zusteht. Diese Verwaltungsauffassung steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BFH. Dieser hat zuletzt in seinem Urteil vom 11.11.2015, V R 68/14, - unter Aufgabe seiner zuvor im Urteil vom 23.09.2004, V R 58/03, geäußerten Zweifel - diese Rechtsauffassung ausdrücklich bestätigt. Das vorliegende Verfahren wirft aber die Frage auf, ob es bei Lohnveredelungsunternehmen wie im Ausgangsfall, die Ware importieren und nach Be- oder Verarbeitung wieder ausführen, tatsächlich Verfügungsmacht an dem Einfuhrgegenstand erlangen müssen, um die EUSt als VSt abziehen zu können. Hier könnte auch argumentiert werden, dass die Ware für Zwecke des Unternehmens eingeführt wird (für Zwecke der Lohnveredelungstätigkeit des Unternehmens), so dass es auf eine Verfügungsmacht an dem Gegenstand i. S. einer eigentümerähnlichen Position des Einführers nicht ankomme könnte. Wenn der EuGH die Abzugsfähigkeit der EUSt bejaht, könnte dies auch Auswirkungen auf Spediteure haben, die Importwaren zum zoll- und einfuhrumsatzsteuerlich freien Verkehr anmelden und dadurch EUSt-Schuldner werden und bisher keine Vorsteuerabzugsberechtigung besitzen.

Eine andere Frage stellt sich zudem inwiefern die EuGH-Entscheidung „FedEx“ v. 10.07.2019, C-26/18, Auswirkungen auf diese Fragestellung hat. In der „FedEx“-Entscheidung hat der EuGH entschieden, dass die Waren in den Wirtschaftskreislauf der Europäischen Union zum Zwecke des Verbrauchs gelangt sein müssen. Vorliegend wurden die Waren offenbar wieder exportiert und dies war im Vorhinein beabsichtigt.

Insgesamt ist anzuraten die Entwicklung zu beobachten und etwaige Verfahren und Rechtsbehelfe offen zu halten.

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