Zur Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG auf die Lieferung von Strom und Wärme an zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer

Anmerkung zu: BMF-Schr. v. 07.07.2020

Praxisproblem

Mit BMF-Schreiben v. 23.02.2016 (BStBl I 2016, 240) hatte die Verwaltung infolge des BFH-Urteils v. 05.06.2014, XI R 44/12 (BStBl  II 2016, 187), klargestellt, dass die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG bei Leistungen an einen zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer jedenfalls dann keine Anwendung findet, wenn der vom Leistungsempfänger in Anspruch genommene Vorsteuerabzug keiner Vor­steuerberichtigung nach § 15a UStG unterliegt. Nach Abschn. 10.7 Abs. 6 Satz 3 UStAE ist dies der Fall, wenn die bezogene Leistung der Art nach keinem Berichtigungstatbestand des § 15a UStG unterfällt.

Bei der Lieferung von Strom und Wärme an einen zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer wäre nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 5 UStG die Mindestbemessungsgrundlage grds. anwendbar, da es sich um eine Lieferung nach § 3 Abs. 1 UStG handelt, die ihrer Art nach dem Berichtigungstatbestand des § 15a Abs. 2 UStG unterliegt. Bei der Lieferung von Strom oder Wärme handelt es sich um die Lieferung eines Wirtschaftsgutes i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG, da gem. Abschn. 3.1. Abs. 1 Satz 2 UStAE von § 3 Abs. 1 UStG auch solche Wirtschaftsgüter erfasst würden, die im Wirtschaftsverkehr wie körperliche Sachen behandelt werden, wie z. B. Wärme oder Strom. Die Lieferung von Wärme oder Strom unterliegt damit ihrer Art nach dem Berichtigungstatbestand nach § 15a Abs. 2 UStG. Nicht entscheidend ist somit, ob im konkreten Fall tatsächlich eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 2 UStG durchgeführt wird oder durchgeführt werden kann. Im Umkehrschluss zu Abschn. 10.7. Abs. 6 UStAE wäre somit bisher die Mindestbemessungsgrundlage z. B. bei Wärmelieferungen an einen zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Gesellschafter einer Biogasanlage anwendbar gewesen.

Entscheidung

Gleichwohl hat die Verwaltung mit BMF-Schreiben v. 07.07.2020 nunmehr in Abschn. 10.7 Abs. 6 Satz 4 (neu) UStAE geregelt, dass bei der Lieferung von Strom und Wärme an einen zum vollen Vorsteuerabzug Berechtigten die Mindestbemessungsgrundlage keine Anwendung findet, wenn die Leistung im Zeitpunkt der Lieferung verbraucht wird.

Praxishinweis

§ 15a Abs. 2 UStG setzt voraus, dass sich die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßge­benden Verhältnisse ändern. Bei der Lieferung von Strom und Wärme kann nach dem BMF-Schreiben v. 07.07.2020 im Regelfall aufgrund der Verwendung im Zeitpunkt der Leistung eine Vorsteuerberichtigung ausgeschlossen werden. Der Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 5 UStG stehe in diesen Fällen entgegen, dass es sich dabei um eine Ausnahmevorschrift zur Verhütung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen handelt, die eng auszulegen ist.

Gleichwohl besteht bei Energielieferungen eine Möglichkeit der Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG, wenn z. B. die Energie gespeichert und später anderweitig verwendet wird oder die Leistung im Voraus bezahlt und ebenfalls später anders verwendet wird. Aus dem BMF-Schreiben dürfte außerdem nicht gefolgert werden können, dass eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 2 UStG immer ausgeschlossen wäre, wenn die betreffende bezogene Energielieferung bereits im Zeitpunkt der Lieferung verbraucht wird. Denn dies würde außer Acht lassen, dass solche (wenngleich verbrauchte) Energie Teil der Herstellungskosten eines neuen Gegenstands sein kann, der ggf. der Vorsteuerberichtigung unterliegt. Die Berichtigung nach § 15a Abs. 2 UStG betrifft die auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des betreffenden Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge. Der Begriff der Herstellungskosten lehnt sich weitgehend an den entsprechenden ertragsteuerlichen Begriff an. Nach § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB, der wiederum Rückgriff nimmt auf die Rechtsprechung zum Steuerrecht, sind Herstellungskosten u. a. "die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern (...) für die Herstellung eines Vermögensgegenstands" entstehen.

Ist der Empfänger einer Energielieferung z. B. ein landwirtschaftlicher Erzeuger, sind die Berichtigungsobjekte einer etwaigen Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 2 UStG (insbes. infolge eines Wechsels der Besteuerungsform, vgl. § 15a Abs. 7 UStG) ggf. die Erzeugnisse des landwirtschaftlichen Betriebs, also insbes. die von diesem Betrieb selbst erzeugten Tiere und Pflanzen. Bei einer solchen Vorsteuerberichtigung sind dann ggf. alle mit dem Herstellungsprozess zusammenhängenden Vorsteuern zu berücksichtigen, also u. a. auch die für die Herstellung der Tiere, Pflanzen, usw. bezogene Energie (vgl. OFD Karlsruhe v. 29.02.2016, UR 2017, 35; vgl. auch FG Niedersachsen v. 24.09.2018, 11 K 1/18, wonach entgeltliche Wärmelieferungen an eine Schwestergesellschaft, die selbst Regelbesteuerer ist, nicht § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG unterliegen, diese Norm aber anwendbar ist, wenn der Leistungsempfänger Durchschnittssatzbesteuerer ist).

Die Grundsätze des BMF-Schreibens v. 07.07.2020 sind in allen offenen Fällen anzuwenden. In Fällen, in denen der Lieferant des Stroms bzw. der Wärme seine Leistung mit gesondertem Steuerausweis in Rechnung gestellt hat, sind die Regelungen des § 14c Abs. 1 UStG zu beachten. Für Umsätze, die vor dem 07.07.2020 ausgeführt wurden, wird es von der Verwaltung auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen der Mindestbemessungsgrundlage unterwirft. In den Fällen, in denen der Lieferant des Stroms oder der Wärme seine Leistung mit gesondertem Steuerausweis in Rechnung gestellt hat, gilt die Steuer auf die Mindestbemessungsgrundlage als Steuer i. S. v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG.

 

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