Begriff der Werklieferung

Anmerkung zu: BMF-Schr. v. 01.10.2020

Praxisproblem

Gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 UStG ist „die Be- oder Verarbeitung eines Gegenstandes durch den Unternehmer mittels selbst beschaffter Stoffe, die keine Zutaten oder sonstige Nebensachen darstellen, als Lieferung (Werklieferung)“ anzusehen. Bisher regelte Abschn. 3.8 Abs. 1 Satz 1 UStAE ausgehend von dieser gesetzlichen Definition den Begriff der Werklieferung dahingehend, dass eine Werklieferung vorliegt, wenn der Werkhersteller für das Werk selbstbeschaffte Stoffe verwendet, die nicht nur Zutaten oder sonstige Nebensachen sind. Danach liegt eine Werklieferung vor, wenn der Auftragnehmer einen Gegenstand auftragsgemäß be- oder verarbeitet, also auch herstellt, und dabei Hauptstoffe verwendet, die er selbst beschafft hat. Demgegenüber wurde der Begriff der Werklieferung in Rnr. 35 des BFH-Urt. v. 22.08.2013, V R 37/10, BStBl II 2014, 128, näher bestimmt. In dieser Entscheidung hat der BFH festgestellt, dass Werklieferungen vorliegen, sobald zusätzlich zur Verschaffung der Verfügungsmacht (§ 3 Abs. 1 UStG) ein fremder Gegenstand be- oder verarbeitet wird. Darüber hinaus entschied der BFH, dass die Be- oder Verarbeitung eigener Gegenstände des Leistenden nicht für die Annahme einer Werklieferung ausreichend ist.

Sachverhalt

Die zivilrechtliche Grundlage für eine Werklieferung i. S. d. § 3 Abs. 4 besteht regelmäßig im Abschluss eines Werkvertrages (§ 631 BGB) oder eines Werklieferungsvertrages gem. § 651 BGB zwischen dem Besteller und dem leistenden Unternehmer. Der (Werk-)Unternehmer übernimmt dabei die vertragliche Verpflichtung, das Werk aus einem von ihm zu beschaffenden Stoff herzustellen, es sodann dem Besteller zu übergeben und ihm das Eigentum daran zu verschaffen. Im Gegensatz zu einem Kaufvertrag, bei dem die vom Unternehmer an den Käufer zu liefernde Sache bereits gegenständlich vorhanden ist, muss der Werkunternehmer den Gegenstand des Leistungsaustausches erst noch herstellen. Eine Werklieferung i. S. d. § 3 Abs. 4 setzt danach voraus, dass der Unternehmer die Herstellung des Werkes in Form einer Stoffbe- oder -verarbeitung übernommen hat. Die Be- oder Verarbeitungspflicht des Unternehmers darf dabei nicht nur von untergeordneter Bedeutung, sondern muss wesentlicher Inhalt des Leistungsaustausches sein.

Nach Auffassung des BFH ist es für die Annahme einer Werklieferung nicht ausreichend, wenn es sich bei der Be- oder Verarbeitung eines Gegenstandes um eigene Gegenstände des leistungserbringenden Unternehmers handelt (Rz. 35 des BFH-Urt. v. 22.08.2013, V R 37/10, BStBl II 2014, 128). Umgekehrt zum bisherigen Verständnis für eine Werklieferung müsse der leistende Unternehmer fremde Gegenstände (Hauptstoffe) bearbeiten. Dies war bisher eher ein Ausschlusskriterium für eine Werklieferung.

Entscheidung

Mit BMF-Schreiben v. 01.10.2020 hat die Verwaltung sich unter Änderung von Abschn. 3.8 Abs. 1 Satz 1 UStAE der Auffassung des BFH angeschlossen. Mit der Neufassung wurde geregelt, dass eine Werklieferung vorliegt, „wenn der Werkhersteller für das Werk einen fremden Gegenstand be- oder verarbeitet und dafür selbstbeschaffte Stoffe verwendet, die nicht nur Zutaten oder sonstige Nebensachen sind (vgl. BFH-Urt. v. 22.08.2013, V R 37/10, BStBl 2014 II S. 128).“

Praxishinweis

Eigentlich ist aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 4 Satz 1 UStG nicht zu entnehmen, dass die Werklieferung stets die Be- oder Verarbeitung eines fremden Gegenstandes verlangt. Auch wenn der Werkunternehmer alle Hauptstoffe selbst beschafft und damit keinen „fremden“ Gegenstand be- oder verarbeitet, dürfte weder der Wortlaut des § 3 Abs. 4 S. 1 UStG noch das Unionsrecht zur Annahme einer reinen Lieferung und zur Negierung einer Werklieferung zwingen. Nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 4 S. 1 UStG kommt es darauf an, dass der Unternehmer es „übernommen“ hat, einen Gegenstand zu be- oder verarbeiten und er dabei selbstbeschaffte Stoffe verwendet, die nicht lediglich Zutaten oder sonstige Nebensachen sind. Die Übernahme einer Be- oder Verarbeitung liegt nur dann vor, wenn der Liefergegenstand bei Abschluss des Umsatzgeschäftes noch nicht vorhanden ist und der Liefergegenstand noch nach Maßgabe des vereinbarten Be- oder Verarbeitungsvorgangs her- bzw. fertiggestellt werden muss. Aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht ist daher zunächst Voraussetzung, dass der Be- oder Verarbeitungsvorgang als Dienstleistungselement ein wesentliches Element des vereinbarten Leistungsvorgangs ist. Das ist insbes. der Fall, wenn der Unternehmer aus den verwendeten Stoffen einen Gegenstand anderer Marktgängigkeit herstellen soll. Zu diesem Dienstleistungselement muss die Verwendung selbst beschaffter Hauptstoffe hinzukommen, damit die einheitliche Leistung als Werklieferung beurteilt werden kann.

Mit der Neuregelung in Abschn. 3.8 Abs. 1 Satz 1 UStAE wird der bisherige Anwendungsbereich der Werklieferung signifikant eingeschränkt. Leistungsvorgänge, bei denen der Werkhersteller alle Hauptstoffe selbst beschafft hat, dürften jetzt nicht mehr als Werklieferung anzusehen sein, da kein fremder Gegenstand mehr bearbeitet wird. Dies könnte in der Praxis zu neuen Abgrenzungsschwierigkeiten bei einheitlichen Leistungsvorgängen mit Lieferungs- und Dienstleistungselementen führen, die durch § 3 Abs. 4 UStG in seiner bisherigen Auslegung durch die Verwaltung nicht auftraten.

Nach der geänderten Verwaltungsauffassung liegt in Abgrenzung zu einer bloßen Warenlieferung eine Werklieferung (nur noch) vor, wenn der Unternehmer dem Abnehmer nicht nur die Verfügungsmacht an einem Gegenstand verschafft, sondern zusätzlich einen fremden Gegenstand be- oder verarbeitet. Nicht ausreichend für die Annahme einer Werklieferung ist demgegenüber die Be- oder Verarbeitung eigener Gegenstände des Leistenden. Auch die Herstellung beweglicher Gegenstände wie z. B. PKW aufgrund der Vereinbarung besonderer Spezifikationen wie Sonderausstattungen dürfte nicht (mehr) zu einer Werklieferung führen. Nach der neu ausgerichteten Verwaltungsauffassung betrifft § 3 Abs. 4 UStG einheitliche, aus Liefer- und Dienstleistungselementen bestehende Leistungen in Form der Be- und Verarbeitung eines nicht dem Leistenden gehörenden Gegenstandes. Für die erforderliche Abgrenzung zwischen Lieferung und sonstiger Leistung ist nach ständiger EuGH- und BFH-Rechtsprechung das Wesen des Umsatzes aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers zu bestimmen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist zu entscheiden, ob die charakteristischen Merkmale einer Lieferung oder einer sonstigen Leistung überwiegen.

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