Vorsteuerabzug, unentgeltliche Wertabgabe, Ausbaumaßnahme an einer öffentlichen Gemeindestraße

Anmerkung zu: EuGH-Urt. v. 16.09.2020, C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein Industrie AG

Praxisproblem

Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH v. 13.03.2019, XI R 28, ging es um die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Ausbaumaßnahmen an einer öffentlichen Gemeindestraße, die der Erfüllung einer behördlichen Auflage dienen. Insbes. stellte sich die Frage, ob die auf Eingangsleistungen im Rahmen der Ausbaumaßnahmen an einer öffentlichen Gemeindestraße entfallende USt den Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt. Bejahendenfalls stand zu entscheiden, ob die zur Erfüllung einer behördlichen Auflage vorgenommenen Ausbaumaßnahmen an der Gemeindestraße eine entgeltliche Lieferung darstellen, wobei die Genehmigung des Betriebs eines Steinbruchs unter dieser Auflage als Gegenleistung anzusehen ist. Falls diese Frage wiederum verneint würde, war weiter fraglich, ob die unentgeltliche Übertragung der öffentlich gewidmeten Straße an die Gemeinde einer entgeltlichen Lieferung von Gegenständen gleichgestellt wird.

Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob Ausbaumaßnahmen an einer öffentlichen Gemeindestraße durch die Klägerin zu einer unentgeltlichen Wertabgabe i. S. d. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG an eine straßenbaulastpflichtige Stadt B führen. Dies würde für die Klägerin nach Abschn. 15.15 Abs. 1 UStAE zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs führen. In seinem Vorlagebeschluss führte der BFH aus, dass der Klägerin nach nationalem Recht kein Vorsteuerabzug aus den bezogenen Eingangsleistungen zustehe, weil diese im direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit, nämlich der unentgeltlichen Lieferung der Straßenausbaumaßnahme an die Stadt B, stünden. Der BFH zweifelte jedoch in mehrfacher Hinsicht an der Vereinbarkeit dieser auf das nationale Recht gestützten Auffassung mit Unionsrecht.

Entscheidung

Zur 1. Vorlagefrage hat der EuGH entschieden, dass der Unternehmer ein Recht auf Abzug der Vorsteuer für die zugunsten einer Gemeinde durchgeführten Arbeiten zum Ausbau einer Gemeindestraße hat, wenn diese Straße sowohl von dem Unternehmer selbst im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als auch von der Öffentlichkeit benutzt wird, soweit diese Ausbauarbeiten nicht über das hinausgingen, was erforderlich war, um es dem Unternehmer zu ermöglichen, seine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben und ihre Kosten im Preis der von dem Unternehmer getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind. Der EuGH hat ausgehend von seiner Sveda-Rechtsprechung ausgeführt, dass es zwar zutrifft, dass in einem Fall, in dem die von einem Steuerpflichtigen erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen für Umsätze verwendet werden, die nicht in den Anwendungsbereich der MwSt fallen, weder zur Erhebung der Steuer auf der folgenden Stufe noch zum Abzug der Vorsteuer kommen kann. In diesen Fällen ist der direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen den Eingangskosten und den anschließenden wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen unterbrochen. Allerdings war im vorliegenden Fall, dass die Öffentlichkeit auf der in Rede stehenden Gemeindestraße kostenlos fahren kann, irrelevant. Denn die Arbeiten zum Ausbau der Straße wurden nicht für die Bedürfnisse der betreffenden Gemeinde oder des öffentlichen Verkehrs durchgeführt, sondern um die Gemeindestraße an den Schwerlastverkehr anzupassen, der vom Betrieb des Kalksteinbruchs durch die Klägerin hervorgerufen wird. Außerdem wurde diese Straße in der Folge sowohl von diesem Schwerlastverkehr als auch von anderen Fahrzeugen genutzt. Jedenfalls können die der Klägerin für den Ausbau der Gemeindestraße entstandenen Kosten mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit als Unternehmer in Verbindung gebracht werden, so dass sich vorbehaltlich der vom BFH durchzuführenden Prüfung diese Ausgaben nicht auf Tätigkeiten beziehen, die von der Steuer befreit sind oder außerhalb des Anwendungsbereichs der MwSt liegen.

Die 2. Vorlagefrage (ob die Genehmigung zum Betrieb eines Steinbruchs, die einseitig erteilt wurde, die von einem Unternehmer, der ohne Gegenleistung in Geld Arbeiten zum Ausbau einer Gemeindestraße durchgeführt hat, erhaltene Gegenleistung darstellt) hat der EuGH verneint. Zwar besteht zwischen der Gemeinde und der Klägerin ein Rechtsverhältnis. So hat sich mit der Vereinbarung über die Erschließung der Gemeindestraße zum einen die Gemeinde verpflichtet, den Ausbau der Straße zu planen und auszuführen und der Klägerin die ausgebaute Straße im Fall eventueller Entwicklungen des Kalksteinbruchs ohne Beschränkung zur Verfügung zu stellen, und zum anderen die Klägerin verpflichtet, alle Kosten in Verbindung mit diesem Ausbau zu tragen, ohne dass diese Vereinbarung eine Zahlungspflicht für die Gemeinde vorsieht. Eine solche Vereinbarung kann nach dem Urteil jedoch nicht den Rechtsrahmen bilden, innerhalb dessen gegenseitige Leistungen – der Ausbau der Gemeindestraße und die Erteilung der Genehmigung zum Betrieb des Kalksteinbruchs – ausgetauscht werden. Aus organisatorischer Sicht wurden die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Arbeiten nämlich auf einer der Gemeinde gehörenden Straße durchgeführt, wohingegen die Genehmigung zum Betrieb des Kalksteinbruchs von der Bezirksregierung erteilt wurde. Zweitens, so der EuGH, war die Genehmigung zum Betrieb des Steinbruchs eine einseitige Entscheidung der Bezirksregierung und ein einseitiger Hoheitsakt kann nach bisheriger EuGH-Rechtsprechung grds. kein Rechtsverhältnis begründen, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden (vgl. EuGH v. 11.05.2017, C-36/16, Posnania Investment). Drittens haben die Arbeiten zum Ausbau der Gemeindestraße im Ausgangsverfahren zu keiner Zahlung irgendeiner Gegenleistung in Geld geführt.

Die 3. Vorlagefrage des BFH, ob die Arbeiten zum Ausbau einer der Öffentlichkeit offenstehenden Gemeindestraße, die von einem Steuerpflichtigen unentgeltlich zugunsten einer Gemeinde durchgeführt wurden, einen Umsatz darstellen, der nach Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichzustellen ist, hat der EuGH ebenfalls verneint. Der EuGH wiederholt seine Rechtsprechung, dass der Zweck dieser Vorschrift darin besteht, sicherzustellen, dass der Steuerpflichtige, der für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals einen Gegenstand entnimmt, und der Endverbraucher, der einen Gegenstand gleicher Art erwirbt, gleichbehandelt werden. Die Besteuerung der in Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie genannten Entnahmen dient nämlich der Verhinderung von unversteuertem Endverbrauch. Da die Arbeiten an die Gemeinde erbracht wurden, steht für den EuGH fest, dass kein Fall des Verbrauchs für den privaten Bedarf oder den des Personals des Unternehmens vorlag und auch die Zuordnung zu unternehmensfremden Zwecken ausgeschlossen war, da die Arbeiten für die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Klägerin durchgeführt wurden. Dieser letztgenannte Umstand steht der Anwendung von Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie nicht entgegen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH setzt Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen, den dieser unentgeltlich weitergibt, dann einer (steuerbaren) Lieferung gegen Entgelt gleich, wenn dieser Gegenstand zu einem Vorsteuerabzug berechtigt hat, ohne dass es grds. entscheidend wäre, ob diese Weitergabe für die Zwecke des Unternehmens stattfindet (vgl. EuGH v. 27.04.1999, C-48/97, Kuwait Petroleum).  Ebenso steht der vom vorlegenden BFH erwähnte Umstand, dass die Gemeindestraße nicht von der betreffenden Gemeinde zu privaten Zwecken genutzt wird, sondern vielmehr gratis dem öffentlichen Verkehr offensteht, der Anwendung von Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie grds. nicht entgegen. Im Sinne dieser Bestimmung betrifft die Entnahme eines Gegenstands für eine Verwendung zu solchen Zwecken jedenfalls die Entnahme und Verwendung durch den Steuerpflichtigen, im vorliegenden Fall die Klägerin, und nicht durch einen Dritten, also die betreffende Gemeinde. Die Arbeiten zum Ausbau dieser Straße wurden jedoch ausgeführt, um den Bedürfnissen der Klägerin nachzukommen, und das Ergebnis dieser Arbeiten – die Straße, die erschlossen wurde, um den Schwerlastverkehr aufzunehmen, der vom Betrieb des Kalksteinbruchs hervorgerufen wird – wird vor allem für ihre Bedürfnisse genutzt.  Angesichts dessen, dass die Lieferung der von der Klägerin unentgeltlich durchgeführten Arbeiten zum Ausbau der Gemeindestraße an die betreffende Gemeinde nicht geeignet ist, zu einem unversteuerten Endverbrauch oder einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung zu führen, stellen solche Arbeiten jedoch keinen Umsatz dar, der einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt i. S. v. Art. 5 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie gleichzustellen ist. Selbst wenn die Gemeindestraße dem öffentlichen Verkehr offensteht, ist nach der EuGH-Entscheidung nämlich der tatsächliche Endverbrauch dieser Straße zu berücksichtigen. Zum einen kommen aber die Arbeiten zum Ausbau dieser Straße der Klägerin zugute und weisen einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit auf, die zu besteuerten Umsätzen führt, und zum anderen gehören die Kosten der von der Klägerin bezogenen, mit den Arbeiten zum Ausbau der Straße in Verbindung stehenden Eingangsleistungen zu den Kostenelementen der von ihr vorgenommenen Ausgangsumsätze.

Praxishinweis

Insbes. durch Beantwortung der 1. Vorlagefrage ist es zu einer Klarstellung bzgl. der Möglichkeit des Vorsteuerabzugs bei unentgeltlichen Leistungen gekommen. Die Frage der Zuordnung von Eingangsleistungen zum nichtwirtschaftlichen Bereich oder zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit eines Unternehmers ist nach der Beantwortung der Vorlagefragen durch den EuGH präziser beantwortet worden als bisher. Da der EuGH das Vorsteuerabzugsrecht bejaht hat, widerspricht dies der geltenden Verwaltungsauffassung und insbes. Abschn. 15.2d Abs. 1 Nr. 13 UStAE (Vorsteuerabzug bei Errichtung von Erschließungsanlagen gem. BMF-Schr. v. 07.06.2012, BStBl I 2012 S. 621). Nach Abschn. 15.2d Abs. 1 Nr. 13 UStAE ist der Erschließungsträger bei unentgeltlicher Übertragung von Erschließungsanlagen vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, da tatbestandlich eine Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG vorliegt. Auch nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BFH-Urt. v. 13.01.2011, V R 12/08) standen in einem solchem Fall die bezogenen Eingangsleistungen des Erschließungsträgers im direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung an die Gemeinde. Mittelbare Zwecke, wie etwa die spätere steuerpflichtige Lieferung der Grundstücke, blieben unberücksichtigt. Der EuGH setzte sich in seinem Urteil v. 14.09.2017 C-132/16, Iberdrola, mit dem Vorsteuerabzug bei Instandsetzungsdienstleistungen an einem im fremden Eigentum stehenden Immobilienobjekt auseinander, das im Anschluss unentgeltlich an die Gemeinde übertragen wurde. Konkret ging es um die Instandsetzung einer Pumpstation, um die von Iberdrola neu errichteten Ferienhäuser an die Abwasserinfrastruktur anzuschließen. Dabei stellte der EuGH bzgl. des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs auf die steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit Iberdrolas ab - allein weil die Instandsetzung der Pumpstation unerlässlich für den Anschluss der geplanten Appartements an die Pumpstation war. Er beschränkte jedoch den Vorsteuerabzug auf den Umfang der Instandsetzungsarbeiten, die objektiv notwendig waren, um den Bedarf der von Iberdrola errichteten Appartements zu decken. Ob hier tatsächl. ein Widerspruch zwischen EuGH und BFH bzw. der Verwaltungsauffassung bestand, war fraglich. Denn der EuGH ging in der Sache Iberdrola von einer unentgeltlichen Erbringung von Dienstleistungen aus. Dienstleistungen erfüllen jedoch in solchen Fällen nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a UStG, weil sie für unternehmerische Zwecke erfolgen. Gemäß BMF-Schr. v. 07.06.2012, BStBl I 2012, 621, Tz. IV 2, besteht bei unentgeltlichen Dienstleistungen kein unmittelbarer und direkter Zusammenhang zu einem besteuerten Ausgangsumsatz; für den Vorsteuerabzug ist vielmehr auf die Gesamttätigkeit des Erschließungsträgers abzustellen. Diesem widerspricht der EuGH im vorliegenden Urteil. Eine unentgeltliche Wertabgabe hinsichtl. der Überlassung der Ausbauarbeiten an der Gemeindestraße an die Gemeinde liegt nicht vor, weil bereits die Ausbauarbeiten zum Vorsteuerabzug berechtigen und der Umsatztätigkeit des Unternehmens dienen.

Bereits seit der EuGH Entscheidung in der Rechtssache „Sveda“ war absehbar, dass der EuGH im vorliegenden Fall gegen eine unentgeltliche Wertabgabe und zugunsten eines Vorsteuerabzugs entscheiden würde. Die in den Rechtssachen „Sveda“ und „Iberdrola“ vom EuGH vertretenen Grundsätze, Vorgänge, die notwendige Voraussetzung einer unternehmerischen Tätigkeit sind, nicht mit der Versagung des Vorsteuerabzugs zu belasten, erscheinen nachvollziehbar. Andererseits ergab sich aus der Rechtssache „Kuwait Petroleum“, dass von einem Unternehmen unentgeltlich zur Verkaufsförderung abgegebene Sachprämien grds. der Besteuerung unterliegen. Es kommt entweder zur Besteuerung als unentgeltlicher Ausgangsumsatz oder bei entsprechender Zweckbestimmung beim Einkauf unmittelbar zur Versagung des Vorsteuerabzugs. Im vorliegenden Fall waren aber die Erschließungsmaßnahmen notwendige Voraussetzung für eine unternehmerische Tätigkeit, während die unentgeltliche Abgabe von Sachprämien eine freiwillige Entscheidung des Unternehmers darstellten. Außerdem dient das Institut der unentgeltlichen Wertabgabe, wie nunmehr nochmals vom EuGH bestätigt, grds. der Vermeidung eines unversteuerten Letztverbrauchs durch Einschaltung von Unternehmern in eine Leistungsbeziehung.

Die vorliegende Entscheidung des EuGH zugunsten des Vorsteuerabzugsrechts kann in Einzelfällen erhebliche positive Effekte für die betroffenen Unternehmen haben. Soweit ein Bauprojekt selbst zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist eine entsprechende Entlastung bzgl. des Vorsteueranteils in den Baukosten von Erschließungsmaßnahmen unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung der Maßnahme (Lieferung, Werklieferung oder sonstige Leistung) möglich.

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